|
[166] 1737.
Was reget sich in meinem Busen?
Ist es Verwundrung? ist es Lust?
Gelinde Triebe stiller Musen,
Fühl ich euch nicht in meiner Brust?
Nicht der Trompeten wildes blasen,
Nicht eines Sieges schädlichs rasen,
Ein Glück, das tausend elend macht;
Nein, mich rührt eine reine Wonne,
Ein Tag, so neidlos als die Sonne,
An wohlthun reicher als an Pracht!
Was seh ich? eine sanfte Klarheit,
Ein düstres Land wird hell davon:
O Himmels-Kind! du bist die Wahrheit,
Die Segens-Spur verräth dich schon![167]
Dein starker Strahl zerstreut die Schatten,
Die Zeit und Wahn befestigt hatten,
Die Seelen selber machst du neu!
O Schönheit! für den Geist gezieret,
Wen einst dein zwingend Licht gerühret,
Bleibt keinem mindern Gute treu.
Wer ist die Schaar, die dich begleitet?
Auf die dein Blick mit Vorzug fällt?
Ein Weg von Strahlen, der sie leitet,
Bindt an den Himmel unsre Welt.
Der keusche Reiz von ihren Zügen,
Ihr lehrend Spiel, ihr still Vergnügen –
O Musen! eilt nicht von uns hin!
Liebt diesen Sitz, den man euch bauet!
Zeigt euch, wie euch Athen geschauet
Und ward der Erde Lehrerin!
Sie stehn; die eine sucht die Stille
Und ihrer Saiten holde Kraft;
Sie spielt, und der bezwungne Wille
Verlernt die Wuth der Leidenschaft;
Die kluge Zeugin der Geschichte
Zeigt unserm sonst zu kurzen Lichte
Im vorigen das künftige;
Mit ernster Kraft, im letzten fernen,
Sucht jene, jenseits allen Sternen,
Der Gottheit unerschöpfte See.
Mir schwindelt: wo sind Zeit und Gränzen?
Die Nachwelt kömmt und preist dies Fest;
Ich seh ein Licht den Enkeln glänzen,
Dem dieser Tag den Schein verlässt.
Ein Geist, noch unreif zu dem Wesen,[168]
Wird heut zur Größe schon erlesen,
Verknüpft in dieses Tages Riß;
So lagen in Athens beginnen
Des späten Plato starke Sinnen
Verborgen, aber doch gewiß.
So ists, da blüht der Musen Ehre,
Wo man der Weisheit Würde schätzt;
Wo wird mehr Werth auf ächte Lehre,
Auf Trefflichkeit mehr Preis gesetzt?
Die Mutter rühmlicher Exempel,
Belohnung, sichert diesen Tempel
Vor feiger Armuth Sklaverei;
Erhabner Seelen theure Morgen,
Zu edel für gemeine Sorgen,
Stehn hier zum Dienst der Wahrheit frei.
Wer aber ists, der euch beschützet?
Ihr Musen! zeigts der Nachwelt an!
Sagt, wenn der Marmor schon vernützet,
Das, was ihr seht, hat er gethan!
O Fürsten! unter Millionen
Kiest Gott sich einen aus zu Kronen
Und zählt ihm aller Schicksal ein;
O lernt am Beispiel, das ihr schauet,
Gott hat ihm seine Macht vertrauet,
Ein Werkzeug seiner Huld zu sein.
Schweigt, Musen, aber von dem Britten,
Der Helden würdigstem Gebiet;
Sagt nicht, wie kühn der Löw gestritten,
Mengt keine Welfen in sein Lied!
Zu oft malt ein gemeiner Dichter
An seinem Helden Neben-Lichter[169]
Und schwächt sein Lob mit fremdem Ruhm;
Lehrt ihr die Menschen tiefer sehen:
Georgens Thron ist Gottes Lehen
Und der Gebrauch sein Eigenthum!
Er ists, dem so viel Völker danken,
Daß Frieden ihre Saaten schützt;
Der, mit gerechter Klugheit Schranken,
Die Herrschsucht hemmt und Schwache stützt.
Ihn waffnet Macht und Muth zum Kriege,
Doch liebt er Frieden mehr als Siege,
Mehr unser Glück als fremdes Land;
Er ists, der nie aus Ehrsucht kämpfet
Und, was ein Held am letzten dämpfet,
Zu theuren Nachruhm überwand.
Sein Geist dringt durch mit sichrer Stärke,
Wo er gemeine Wohlfahrt findt;
Aus Güte liebt er große Werke,
Und Wunder, wann sie heilsam sind.
Ein Fluß fiel tobend in die Thäler,
Weil die Natur der Erde Fehler
Zu weiser Fürsten Uebung ließ;
Er sprach – und Berge wurden Tiefen,
Und die gezähmten Wellen liefen
Durch Klippen, die er weichen hieß.1
Ja, weiter als die Welt der Alten
Wirft er den segensreichen Blick,
Und würdig, beide zu verwalten,
Macht er noch einer Erde Glück;[170]
Ein wildes Volk lernt Tugend nennen2
Und bessrer Sitten Würde kennen,
Ein jeder Wald wird eine Stadt;
Es eilt, beglückt und gut zu werden,
Und preist das Glück der andern Erden,
Die dich, o Vater! bei sich hat.
Doch, Herr! im göttlichen Gemüthe,
Das für so viele Staaten wacht,
Ist auch für scheue Musen Güte,
Du hast den Tag uns groß gemacht.
Die Völker an der sanften Leine
Sehn heut ein Fest von seltnem Scheine,
Das keiner sah, noch mehr wird sehn;
Und jeder wünscht zu deinem Leben
Von seinen Jahren zuzugeben,
Dich seinen Kindern zu erflehn.
O Musen! wer kann würdig singen?
Ehrt selbst den Stifter eurer Ruh!
Legt einem Geist des Maro Schwingen
Zu meiner Treu und Eifer zu!
Noch rühmt auf den gelinden Saiten
Melpomene die stillen Zeiten,
Wo man den Held als Vater sieht;
Bald aber füllt, gereizt zum kriegen,
George Land und See mit Siegen:
Calliope! dein ist dieß Lied!
Ausgewählte Ausgaben von
Versuch Schweizerischer Gedichte
|
Buchempfehlung
Julian, ein schöner Knabe ohne Geist, wird nach dem Tod seiner Mutter von seinem Vater in eine Jesuitenschule geschickt, wo er den Demütigungen des Pater Le Tellier hilflos ausgeliefert ist und schließlich an den Folgen unmäßiger Körperstrafen zugrunde geht.
48 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro