(CLXXXVII.)
Der gewissenhaffte Bruder.

[323] Das unrechte Gut wird mit Adlersfedern verglichen / welche / wann sie zu andern geleget werden / selbe aufzehren. Das wolerworbene Gut aber ist gleich dem Oehlkrug der Wittib zu Sarpad / welcher sie und ihre Kinder reichlich genehret. In jenem ist der Fluch / in diesem der Segen: Jenes kommt als ein Fallstrick über die Bösen / dieses wird ein Band der brüderlichen Liebe und Christlichen[323] Dienstlaistung / wie wir aus nachfolgender Erzehlung hören werden.

2. In Artois lebte vor wenig Jahren ein alter von Adel / der Gott mit zweyen Söhnen Fulge und Epita gesegnet; ich sage gesegnet / dann es waren wolerzogene und löbliche Jünglinge. Der ältste hatte die Wartung der vätterlichen Güter / als der Erstgeborne / der jüngste muste seines Vattern und Brudern künfftiger Gnaden leben. Dieses Recht / so zu Erhaltung der Geschlechte angesehen / scheinet unrecht / daß die Kinder von gleichen Eltern geboren / ungleiche Erben seyn sollen.

3. Der ältste wurde zu allen ritterlichen Ubungen / der jüngste zu dem studieren und künfftigen Kirchendiensten auferzogen / massen bey selbigen Geschlechte / etliche Geistliche Lehen / welche durch Verjährung erblich worden. Nachdem Fulge die Kinderschuhe vertretten / wolte er sich in dem Kriegswesen versuchen / und nahme seinen Weg in Niederland / auf den Schauplatz der Tapferkeit / da er seine Person meisterlich gespielet / und zu einer Rittmeisters-Stelle gelanget.

4. In dem Winter / da man mit Martis streiten einen Anstand machte / und in der Winterrast lage / fand sich Frau Venus / jme die Zeit zu vertreiben / und zwar in der Gestalt einer schwartzbraunen Niederländerin / welche noch seines Standes / noch seiner Religion war. Fulge gedachte / sich bey diesem Feuer zu wärmen / kōte aber nit zukommen / biß er sich endlich für einen Freyer außgabe / unn solcher Gestalt wurde er angehöret.

5. Zwo Hindernissen stunden in dem Wege: 1. daß Sinesia nit Päbstisch / 2. Daß sein Vatter nit willigen würde in eine so geringe Heyrat. Nachdeme er nun ihre Gegenliebe erworben / beredet er sie / daß sie sich in seiner Religion unterrichten lässet / und verhoffen diese beede deß Vatters Tod / und inzwischen vollziehen sie ihre Treue / bevor deß Priesters Hand solche bestättigte. Sinesia und Fulge waren junge Leute / unter welchen sich die Fruchtbarkeit befande / eh sie solche verlangt unn verhoffet; massen die Jugend selten auf das künfftige dencket.

6. Das Jahr war nit verflossen / als Fulge in einem Treffen[324] tödlich geschossen / nach Hause gebracht wurde / und Sinesia eben in Kindsnöthen lage. Was bittere Frucht der süsse Samen gebracht / ist leichtlich zu ermessen. Sinesia hatte über einen schönen jungen Sohn / den sie zur Welt geboren grosse Freude; viel grösser Hertzenleid aber fühlte sie / als die Artzte ihrem Fulge das Leben absprachen / daß es wol geheissen / Freud und Leid sind einander zu der Ehe gegeben.

7. Sie erinnerte Fulge deß gethanen Eheversprechens / und beweget ihn dahin / daß er auf seinem Todbette sich mit ihr trauen lässet / und der jungen Fulge / welchen er seinen Namen geben lassen / für seinen rechtmässigen Erben erkennet / und deßwegen auch seinen letzten Willen einem Schreiber in die Feder saget / wiewol er bey seines Vattern Lebzeiten / noch nichts eigenthumliches unterhanden hatte.

8. Nach dem Tod besagten Edelmanns / machte sich Sinesia auf / und kommet samt ihrem Sohn zu dem alten Vatter / fället ihm zu Füssen und bittet / daß er ihren Sohn / für seinen Enenckel erkennen wolle; erlanget aber keine andre Gnade / als daß ihr und ihrem Kind ein jährlicher Unterhalt versprochen wurde / und richtet dieser Vatter sein Absehen / auf Epita seinen jüngern Sohn / der den Stammen sortpflantzen / und das adeliche Hauß erhalten solte.

9. Kurtze Zeit hernach verstirbet der alte Vatter / und beschicket sein Hauß / daß Epita der Erbe / der junge Fulge aber seine Unterhalt haben solte. Epita war nun sehr Gewissenhaft / und hielte für unrechtmässig erworbenen Reichthum / welchen ihm sein Vatter / zu Nachtheil deß jungen Fulge zugeeignet hatte / wolte deßwegen mit ihm tauschen / und ihm den Besitz der Güter vorbehalten / sich aber mit seinem Unterhalt vergnügen. Dergleichen brüderliche Liebe und Brüder sind sehr wenig / und wollen sie lieber alles haben / als andern ihren nächsten Vettern geben / etc.

10. Es fügte sich aber / vielleicht aus sondrer Schickung Gottes / daß der junge Fulge / mit seinen Gesellen in dem kalten Wasser badet / und ersäufft: deßwegen dann Epita der nächste Erb / das / was er wolthätig begeben / rechtmässig wiederum[325] empfangen / und seiner Schwägerin ein ehrliches Wittum darvon zugeeignet / mit ihr auch / wie zuvor / also auch hernach / in guter Freundschafft gelebet. Dieses verfahren hat grossen Ruhm / aber wenig nachfolge.

11. Galeazo Hertzog von Meiland hörte einen Sachwalter für Gerichte loben / daß er ein Meister in der Kunst / und wolte eine Prob von ihme erfahren / liesse ihn deßwegen zu sich fordern / und sagen / daß unter andern Hofschulden / auch der Beck 50. Kronen an ihn zu fordern; ob nicht Mittel zu ersinnen / daß die Schuld noch eine Zeit anstehen möchte. Der Schadvocat oder Advocat mit einem Sch / sagt ja / und wann man ihm vertrauen wolle / so habe die Sache zum wenigsten zwey Jahre Verzug / und wolle er den Becken so müd machen / daß er wol gar nichts fordern solle.

12. Hierüber ergrimmt der Hertzog / und sagte / daß er solches gewiß öffter gespielet / und seinen Unterthanen grössern Schaden gethan / als kein Dieb: liesse ihn deßwegen mit dem Strang vom Leben zum Tod richten / und vierteln / die Theile aber auf 4. Strassen der Stadt stecken / andern solchen Raubvögeln / welche unrechts Gut erwerben helffen / zum stetigen Abscheu. Ist also nach dem alten Sprichwort unrechts Gut / ein Pfand der Armut / ein rechterworbener Heller aber / ist so gut / als ein Thaler / weil man einen ehrlichen Namen darbey hat / der mit keinem Gelde zu bezahlen ist. Gott weiß wol / wem / wann / wo und wie er den Weisen mit Reichthum krönnen soll1 / wer ihm Ziel und Zeit fürschreibet / wird darben.

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Sprüch. 14/26.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 323-326.
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