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[504] Während der alte Lanbek noch so sprach und seinem Sohn Mut einzureden suchte, wurde die Hausglocke heftig angezogen, und bald darauf trat ein Offizier in das Zimmer, dem der Konsulent freundlich entgegeneilte. Wenn man das dunkelrote Gesicht, die freien, mutigen Züge und das kleine, aber scharfblickende Auge dieses Mannes sah, so konnte man die Sage von kühner Entschlossenheit und beinahe fabelhafter Tapferkeit, die er unter dem Herzog Alexander und dem Prinzen Eugenius bewiesen haben sollte, glaublich finden.

»Mein Sohn, der vormalige Aktuarius Lanbek«, sprach der Alte, »der Obrist von Röder, den du wenigstens dem Namen nach kennen wirst.«

»Wie sollte ich nicht«, erwiderte Gustav, indem er sich verbeugte; »wenn unsere Truppen von Malplaquet und Peterwardein erzählen, so hört man diesen Namen immer unter die ersten und glänzendsten zählen.«

»Zuviel Ehre für einen alten Mann, der nur seine Schuldigkeit getan«, antwortete der Obrist; »aber Konsulent, was sagt Ihr dazu, daß der Jude jetzt auch uns ins Handwerk greift? Ich komme zu Euch eigentlich nur, um zu fragen: soll ich, oder soll ich nicht?«

»Wie soll ich das verstehen?« fragte der Konsulent staunend; »Röder, nur jetzt keinen übereilten Streich!«

»Das ist es eben!« rief jener, auf den Boden stampfend, »meine Ehre und die Ehre des ganzen Korps ist gekränkt; einen meiner talentvollsten Offiziere sollte ich nach Fug und Recht kassieren lassen um dieses Hundes willen, und tu ich's, so bin ich morgen selbst außer Dienst.«[504]

»Aber so sprecht doch, Obrist!« sagte der Alte, indem er seinem Sohn winkte, Stühle zu setzen, »setzt Euch, Ihr seid noch in der ersten Hitze.«

»Mein Regiment hat gestern und heute den Dienst«, fuhr jener eifrig fort; »da bringt man nun gestern nacht von der Redoute weg einen Menschen auf unsere Wache mit dem ausdrücklichen Befehl vom Juden, ihn wohl zu bewachen, aber keinen weitern Rapport abzustatten; heute früh zieht der Kapitän Reelzingen auf, findet einen Gefangenen im Offizierszimmer, von welchem nichts im Rapport steht, und denkt Euch – nach einer halben Stunde kömmt der Minister selbst, schickt den Kapitän aus dem Zimmer, verhört auf unserer Wache den Gefangenen insgeheim, entläßt ihn dann und befiehlt dem Kapitän noch einmal, keinen Rapport abzustatten und – nimmt ihm das Ehrenwort ab – er einem Offizier auf der Wache – nimmt ihm das Wort ab, den Namen des Gefangenen nicht zu nennen; dahin also ist es gekommen, daß jeder Schreiber oder gar ein hergelaufener Jude uns kommandiert? Nach Kriegsrecht muß ich den Kapitän kassieren lassen; meine Ehre fordert, daß ich es nicht dulde, denn ich hatte den Dienst, und ich muß mich rühren, sollte es mich auch meine Stelle kosten.«

Die beiden Lanbek hatten sich während der heftigen Rede des Obristen bedeutungsvolle Blicke zugeworfen. »Der Jude ist listiger als wir dachten«, sagte, als jener geendet hatte, der Vater; »also auch auf den Obrist war es abgesehen, auch für ihn war die Falle aufgestellt! Wer meint Ihr wohl, daß der Gefangene war? da, seht ihn, mein leiblicher Sohn saß heute nacht auf Eurer Wache!«

Der Obrist fuhr staunend zurück, und so groß war der Unmut über den Eingriff in seine militärischen Rechte, daß er sich nicht enthalten konnte, einen unwilligen, finstern Blick auf den jungen Mann zu werfen. Als aber der alte Lanbek fortfuhr und ihm erzählte, wie er selbst eigentlich die Ursache dieses Vorfalls gewesen und wie alles andere so sonderbar gekommen sei, als er ihm den arglistigen Plan des Ministers näher auseinandersetzte, da sprang Herr von Röder von seinem Stuhl auf. »Wohlan, Alter!« sagte er mit bewegter Stimme zu dem Konsulenten, »daß er mich verfolgt und haßt, hat am Ende nichts zu bedeuten, und daran ist nur der General Römchingen schuld, der mich nie leiden konnte, aber über dir soll er den Hals brechen, oder ich will nicht selig werden! Herr Aktuarius, die Stelle müßt Ihr[505] annehmen, das ist jetzt keine Frage mehr, denn Euer Vater darf jetzt nicht von seinem Amt kommen, oder Verfassung und Religion stehen auf dem Spiel. Aber zum Herzog will ich gehen, will sprechen, und sollt es mich mein Leben kosten.«

»Das werdet Ihr nicht tun, Obrist!« sagte der Alte mit Nachdruck und Ernst; »leset diesen Brief, den man uns aus Würzburg schickt und sagt mir dann, ob Ihr noch waget zum Herzog zu gehen und zu sprechen.« Der Obrist nahm aus seiner Hand ein Schreiben und fing an zu lesen; doch je weiter er las, desto bestürzter wurden seine Züge, bis er staunend, aber mit zornsprühenden Augen den Alten anblickte und die Arme sinken ließ.

»Vater!« sprach der junge Mann, der betroffen bald den Alten, bald den Obristen betrachtete, »Vater, Sie machen mich hier zum Zeugen eines Auftrittes, bei welchem ich vielleicht besser nicht zugegen gewesen wäre. Ich soll aber gezwungenerweise eine Rolle übernehmen, die mir nicht zusagt. Ich bin zum Expeditionsrat ernannt, und weiß nicht warum; ich darf die Stelle nicht ablehnen, obgleich sie mich vor der Welt zum Schurken macht, und weiß nicht warum; es gehen Dinge vor im Staat und in meines Vaters Hause, man verhehlt sie mir, und ich weiß wieder nicht warum. Herr Obrist von Röder, Sie überreden mich, eine Stelle nicht auszuschlagen, die meines Vaters Namen beschimpft, von Ihnen glaube ich Gründe verlangen zu können, warum ich es nicht tun soll?«

»Gott weiß, er hat recht!« rief Röder, indem er den jungen Mann nachdenkend betrachtete; »ich weiß auch nicht, Alter, warum Ihr ihm nicht längst den Schlüssel gegeben habt. Wenn Ihr ihm übrigens die Augen nicht öffnen wollt, so will ich ihm diesen Dienst tun, weil ich weiß, wie drückend es ist, ein wichtiges Geheimnis halb zu erraten und halb zu ahnen.«

»Es sei«, sagte der Vater, »setzet Euch wieder, wenn ich dich, mein Sohn, bis jetzt nicht mit Dingen dieser Art vertraut gemacht habe, so geschah es nur aus Furcht, für einen allzu stolzen Vater zu gelten, denn wir hatten uns das Wort gegeben, nur erprobten und ausgezeichneten Männern uns anzuvertrauen. Ich darf dir nicht erst sagen, was in drei Jahren, seit Alexander regiert, aus Württemberg geworden ist. Man soll von einem Lanbek nicht sagen können, daß er gegen seinen Herrn gemurrt hätte; er ist ein tapferer Mann und nach Prinz Eugenius vielleicht der erste Feldherr seiner Zeit, aber das Feldregiment taugt wohl im Lager und vor dem Feind, nicht so in der Kanzlei. Er[506] sieht die Regierung des Ländchens, wie er sagt, etwas zu heldenmäßig an, das heißt, er sieht darüber hinweg und läßt andere dafür sorgen.«

»Dieses Ländchen!« rief der Obrist bitter, »dieses schöne Württemberg! es heißt wohl ein alter Spruch, daß, wenn man auch sich alle Mühe gebe, dieses Land doch nicht könne zugrunde gerichtet werden; aber nous verrons! wenn es so fortgeht, wenn man es durch den Verkauf der Ämter, durch Verhöhnung der Besseren, durch Erhebung der niederträchtigsten Bursche geflissentlich verderbt, wenn man seine Kräfte bis aufs Mark aussaugt –«

»Kurz, mein Freund«, fuhr der Alte fort, »es kann nicht so fortgehen. Nach und nach kann es nicht besser werden, denn schon jetzt sitzen bei uns in der Landschaft fünf Schurken, die nicht einmal der Gott-sei-bei-uns für sich repräsentieren ließe, alle Ämter sind verkauft, oder für Süßsche Kreaturen käuflich; also kann es nur schlechter werden. Aber es sind zwei Partieen, die da sagen: ›Es muß anders werden.‹ Die eine Partie ist Süß, der schnöde Jude, der General Römchingen, der feinste von diesen Burschen, Hallwachs, dein neuer Kollege, Metz und noch einige von der Landschaft. Wir wissen, was sie wollen, und es ist nichts Geringeres, als die Stände und den Landtag völlig aufzuheben.«

»Und, Gott sei geklagt«, sagte Herr von Röder, »den Herzog haben sie von seiner edelmütigen Seite gepackt, er ist alles zufrieden. Das Land sei aufgebracht über die Stände, sagen sie ihm, man murre über die Landschaft, und nun hat er sich entschlossen, das Institut wie ein Korps Invaliden aufzulösen, dem Lande die jährlichen Kosten der Stände edelmütig zu schenken und allein zu regieren.«

»Wie? verstehe ich recht?« rief der junge Lanbek, »also unser letzter Schutz gegen den übeln Willen oder gegen die unrichtige Ansicht eines Herrn will man uns rauben? auf die Verfassung ist es abgesehen? doch das ist nicht möglich, Alexander hat sie ja beschworen, und mit welchen Mitteln will er dies wagen? meinen Sie wirklich, Herr Obrist, der württembergische Soldat werde seine eigenen Rechte unterdrücken?«

»Hier sind die Hunde«, erwiderte der Obrist, indem er auf den Brief zeigte, »die man bei diesem Treibjagen hetzen will.«

»Nur ruhig«, sprach der Landschaftskonsulent, »höre mich ganz. Der Herzog ist aufs abscheulichste getäuscht; er glaubt fest, daß es ihm nur ein Wort koste, so werden die Stände nicht mehr[507] sein, und alle Herzen werden ihm zufliegen. So haben es der Jude und Römchingen ihm vorgeschwatzt; aber sie kennen uns besser und wissen, daß Gewalt zu einem solchen Schritt gehört. Hier ist ein Brief an den Erzbischof von Würzburg, den der General Römchingen geschrieben: man wolle zum Besten des Landes einige Änderungen vornehmen, man könne sich aber auf die Truppen im Lande nicht verlassen, daher solle der Bischof bewirken, daß die Truppen des fränkischen Kreises an einem bestimmten Tag an unserer Grenze seien. Auch an einige Reichsstände in Oberschwaben hat er ähnliche Schreiben erlassen.«

»Und im Namen des Herzogs?« fragte der junge Mann.

»Nein, sie lassen ihn nur so durchblicken. Aber eine andere Lockspeise haben sie dem Bischof hingeworfen; man sagt nicht umsonst, daß unser alter Reformator Brenz seit einigen Nächten aus seinem Grab aufstehe und die Kanzel besteige – katholisch wollen sie uns machen. Du staunst? du willst nicht glauben? Auch ich glaube, daß sie es nicht aus Religiosität tun wollen, sondern entweder soll es den Bischof und die Oberschwaben enger für die Sache verbinden, oder meinen sie dem Herzog gefällig zu sein, wenn sie in vierundzwanzig Stunden den Glauben reformieren, wie sie das alte Recht reformieren wollen.«

»Es kann, es darf nicht sein!« rief der junge Mann; »die Grundpfeiler unseres Glückes und unserer Zufriedenheit mit einem Schlag umstürzen? es ist nicht möglich, der Herzog kann es nicht dulden.«

»Er weiß und denkt nicht, daß sie dies alles vorhaben«, sagte der Obrist, »sein Ruhm ist ihm zu teuer, als daß er ihn auf diese Weise beflecken möchte; aber wenn es geschehen ist, ohne daß die Schuld auf ihn fällt, dann, fürchte ich, wird er das Alte nicht wiederherstellen. Zu welchem Zweck, glaubt Ihr denn, habe der Jude dem Herzog das Edikt von gestern abgeschwatzt, worin er für Vergangenheit und Zukunft von aller Verantwortlichkeit freigesprochen wird? das soll ihn schützen in dem kaum denkbaren Fall, wenn der Herzog über die treuen und ergebenen Herren Räte erbost würde, die ihm die unumschränkte Macht zu Füßen legen und in der Stiftskirche einen Krummstab aufpflanzen.«

»Und gegen diese wollt ihr kämpfen?« fragte Gustav besorgt und zweifelhaft.

»Kämpfen oder zusammen untergehen«, sprach der Alte, »Wer mit uns verbunden ist, mußt du jetzt nicht wissen, es genügt dir[508] zu erfahren, daß es die trefflichsten des Adels und die wackersten der Bürger sind. Wir wollten den Kaiser um Schutz anflehen, aber die Umstände sind ungünstig, die Zeit ist zu kurz, um durch alle Umwege zu ihm zu gelangen, und überdies hat der Herzog einen gewaltigen Stein im Brett seit den letzten Kriegen; man würde uns abweisen. Uns bleibt nichts übrig als –«

»Wir müssen«, rief der Obrist mutig und entschlossen, »das praevenire müssen wir spielen; St. Joseph, den 19. März haben sie sich zum Ziel gesteckt; aber einige Tage zuvor müssen wir die Feinde des Landes gefangennehmen, die treuen Truppen nach Stuttgart ziehen, das Landvolk zu unserer Hülfe aufrufen, und wenn es gelungen ist, dem Herzog von neuem huldigen und ihm zeigen, an welchem furchtbaren Abgrund er und wir gestanden. Und dann – er ist ein tapferer Soldat und ein Mann von Ehre, dann wird er erröten vor der Schande, zu welcher ihn jene Elenden verführen wollten.«

»Aber der Herzog«, fragte der junge Mann, »wo soll er sein und bleiben, während ihr diese furchtbare Gegenmine auffliegen lasset?«

»Das ist es ja gerade, was uns zur Eile zwingt«, erwiderte der Obrist; »sie haben ihn überredet, im nächsten Monate die Festungen Kehl und Philippsburg zu bereisen, und hinter seinem Rücken wollen sie reformieren. Den 11. will er abreisen; schon sind die Adjutanten ernannt, die ihn begleiten sollen, und, wenn ich es sagen darf, mit solchem Gepränge, und so viel und laut wird von dieser Reise gesprochen, daß ich fürchte, die ganze Fahrt ist nur Maske und der Herzog wird nicht über die Grenze gehen.«

»Du kennst jetzt unsere Plane«, sprach der alte Herr zu seinem Sohn. »Sei klug und vorsichtig. Ein Wort zuviel kann alles verraten. Darum, wie es unter uns gebräuchlich ist, lege deine Hand in die deines Vaters und dieses tapfern Mannes, und schwöre uns zu schweigen.«

»Ich schwöre«, sagte Lanbek mit fester Stimme, aber bleich und mit starrem Auge; und sein Vater und der Obrist zogen ihn an ihre Brust und begrüßten ihn als einen der Ihrigen.[509]

Quelle:
Wilhelm Hauff: Sämtliche Werke in drei Bänden. Band 2, München 1970, S. 504-510.
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