Zweiter Vorgang

[23] Der Vorhang zur Linken ist so weit vorgezogen, dass vorn zwischen ihm und der linken Tür ein Raum entsteht, den man von den Ruhebetten auf der Terrasse aus nicht übersieht. Es ist alles noch wie im ersten Vorgang eingerichtet.

Hotoke kommt Schritt um Schritt, lässig, verhärmt, vom Garten, vor sich hintändelnd, bis auf die Terrasse, indes die Kammerfrau zögernd hinter ihr drein geht. In gemessener Distanz von der Kammerfrau zögern vier Sklavinnen hinterdrein, von denen eine einen goldenen Becher, die andere eine Schale mit üppig getürmten Früchten, die dritte ein kostbares, mächtiges Buch mit Edelsteinen und goldenen Schliessen, die vierte ein Kästchen mit Juwelen trägt.


HOTOKE die jetzt auf der Terrasse steht und unruhig immer wieder nach dem Garten zu ausblickt, redet nebenher unwillig.

Nein – bringt mir nichts! – wenn es ihn nicht gereut

um jede Stunde, die er ferne bleibt –

um jeden Laut der demutvollen Liebe,

die das verzehrte Herz ihm ewig zollt –

und nimmer müde wird. – Nur geht – ich lache[23]

der Sorgfalt seiner Gaben so von ferne,

wo nur die Sklavin tut, was er nicht tut,

weil's längst zur Last ihm ist –

DIE KAMMERFRAU.

Oh, Herrin – nein,

Nehmt doch ein Stück Melone! – Diese Frucht,

so kühl und duftig – Herrin, tut es doch!

tut es dem Kaiser doch zuliebe – hört Ihr!

HOTOKE hüllt sich, müde und gequält, in die kostbare Brokatdecke und streckt sich achtlos auf das Ruhebett, wobei ihr die Kammerfrau behilflich ist.

Warum lässt er mich heut allein? – nun? – sprich!

Heut – wo es draussen harte Tropfen träufelt

und über alle Welt die Trauer ausgiesst.

Noch müder schleicht mein Boot in finstrer Flut

dahin – ganz unterm Lastenhimmel der Enttäuschung.

Im Wachtraum meiner Sehnsucht dünkt mir Liebe

ein Lied des Wahns und nie stillbarer Schmerzen –

aus eines Kindleins weichem Lippenflaum[24]

hinausgesungen wie ein Sieggesang,

der nur die Herzen tört, die er zerbricht.

DIE KAMMERFRAU hat den goldenen Becher genommen, ihn Hotoke hinzureichen.

Nehmt einen Schluck nur aus dem Becher!

HOTOKE unwillig zu den Sklavinnen gewandt.

Fort!

Ich habe kein Begehr – so höre endlich!

Und schick sie fort – die Sklavinnen! Ich will es.

Ich kann das Wispern mit den Muschelketten

nicht hören – und den Ambraduft nicht leiden

aus ihrem Haare. – Störe mich nicht weiter

mit diesen Liebesgaben, die nichts gelten!

DIE KAMMERFRAU.

Auch nicht die Blätter, die der Kaiser sandte,

Euch zu erfreuen, wenn Ihr sie beschaut?

Liebliches Märchenwerk ist drauf gebildet,

die Schwermut und den Willen zu verscheuchen,

der Euch gebunden hält. Oh, Eure Seele

wird wie ein Kindlein werden, lachen wieder, so wie die Lerche lacht.


Hotoke hat ihr einen funklen Zornblick zugeworfen.
[25]

DIE KAMMERFRAU zu den Sklavinnen.

Ihr seht es – geht!


Die Sklavinnen gehen durch den Garten zurück und verschwinden.


HOTOKE den Kopf ganz überrück, die linke Hand unruhig mit den Juwelenketten tändelnd, die um eine neben ihr stehende, hohe, goldene Vase nachlässig herumgeschlungen sind und herabhängen, plaudert hin.

Ist es nicht sonderbar, durch alle Zeiten

ist sie besungen – unsterbliche Liebe!

Oh Blütenkelch von schwermütigem Duft –

nicht lange, und du stirbst und hauchst Verwesung!


Sie nimmt einen ausgelassenen, fast drolligen Ton an. Lachend.


Was tu ich nur, wenn mir's so geht, wie Babbuk?

dem Buckligen, dem armen Schneiderlein,

dem Bruder des Barbiers – der ruhlos stichelt

auf seinem Schneidertisch – und wahrlich arg

die Finger sich zerstach –

DIE KAMMERFRAU.

Was war's mit ihm?

HOTOKE.

Du kennst den Babbuk nicht? – der in der Mühle[26]

am Fenster drüben nur einmal sie sah,

die schlimmen Zauber warf – die Müllerin.

Oh, Gott Gott Gott – der Narr, der schliesslich noch

als Esel eingespannt ins Rad der Mühle

bei Nacht das Mühlwerk umschwang – unterdessen

der Müller Trauben kostete bei ihr –

bei seiner Müllerin –

DIE KAMMERFRAU.

So muss es kommen!

HOTOKE.

Wer sagt mir, dass ich nicht ein Narr wie er?

der arme Babbuk? – Ja, wer sagt es mir,

ob ich mich nicht ganz hoffnungslos verzehre

nach einem Blick, nach einem sanften Laut,

dass nur der Kaiser einmal leise rufe:

Hotoke! – und in meine Augen lache.

Ich habe Zweifel. Zweifel quälen sehr.

Ich sehe nur zu oft, dass er Geschäfte

voranstellt aller Sehnsucht – rastlos ist –

und nur zum Zeitvertreibe flüchtig tut,

was mir ein Leben gilt – viel mehr als Leben.[27]

DIE KAMMERFRAU.

Ja, Herrin – das ist alt. Des Mannes Leben

ist Tun – nur immer Tun. – Sie dünken sich

in diesem ewigen Tun – und Macht erringen

und Ehr und Ansehn – dünken sich die Männer

doch wunder was – und recken ihre Hälse. –

Und viel ist nicht dahinter – glaubt mir's – nirgend.

Ein Mann ist gar nicht wert, dass sich ein Weib

das Herz nach ihm zerreisst, dass sie ihn gar

anbetet, liebt, inbrünstig, demutvoll,

ganz Kind in seinen Armen – er indessen

berechnet und verfügt – will dies und das

besitzen und ergreifen – Sieg gewinnen,

und wenn es gleich um nichts ist – Herr sich fühlen –

es muss ein schön Gefühl sein – bläht die Brust.

HOTOKE.

Ja ja, so ist es, liebe Kammerfrau!

Und dann das Allerschlimmste – die Gelüste!

Kannst du mir sagen, ob den Kaiser nicht

nach Giwau gestern, nach Hotoke heute

gelüstete – und dass er morgen schon[28]

Hotokens Seele gar nicht mehr begreift

und wegwirft wie ein Baum die reife Frucht.

Oh, Kammerfrau – es fliessen meine Tränen.


Sie liegt hingestreckt und hat die Augen geschlossen.


Ich will allein sein. – Nein, nicht weiter reden!

nicht denken – auch nicht träumen will ich mehr –

nur noch das Herz ganz ferne schlagen fühlen.


Sie hat sich plötzlich hastig erhoben.


Nur wenn der Kaiser käme –

DIE KAMMERFRAU.

Ruht nur still!

Ihr wisst, ich wache, Herrin.

HOTOKE hat sich wieder zurückgestreckt und die Augen neu geschlossen.

Danke, Liebe!


In diesem Augenblick ist der Kaiser geräuschlos und ungesehen zur linken Tür hereingeschlichen und steht lauschend in der Nische des Vorhangs.


DIE KAMMERFRAU geht, den Blick sorglich nach Hotoke wendend die Stufen nieder, wo sie den Kaiser erblickt. Sie spricht leise zu ihm.

Herr, nur erschreckt die Herrin nicht. Sie ruht.[29]

DER KAISER.

Kam Giwau nicht?

HOTOKE auf ihrem Ruhebett sich allein glaubend und vor sich hinplaudernd und seufzend.

Nein, meine Lieder sind ganz ausgetrunken.

Der Quell ist leer. – Ich bin jetzt ganz verstummt.

Heimlich geschüchtert von der kranken Schwermut.

Ich mag nicht singen – mag auch nicht mehr tanzen!

Die unschuldvolle Lust ist mir entwichen,

die ruhig strahlte, wie der Morgenstern.

Sein Auge ist auch achtlos. Ehedem

sah mich sein Auge an mit ruhiger Fülle,

als breitete sich seine tiefste Seele

um meine Seele wie ein reicher Mantel,

als wär sein Auge wie ein tiefes Meer

der Gabe seiner Liebe, die mich hüllte,

mich trug im Jubel – schwelgend im Umfassen. –

Nun ist sein Auge flüchtig – irrt leicht ab –

denkt heimlich dies und das – will freilich scheinen,

dass seine letzten Gründe mir sich auftun,[30]

wo im Verborgenen doch ein Rechnen geht

ob dies und das – und seiner Liebe Mantel

ganz eingefaltet, wie ein Falterflügel

in seine Hüllen längst verschlossen ruht.

DER KAISER gedämpft aber erregt zur Kammerfrau.

Bei meiner Kaisermacht! Wo bleibt nur Giwau?

DIE KAMMERFRAU ganz erstaunt.

Wie? – Giwau?

DER KAISER.

Zweimal hab ich Diener hin-

gesandt zu Giwau – hab sie heissen kommen,

Hotokens Grübeleien und Misstrauen ganz

mit ihrer Lieder Demut zu zerstreuen.

Wenn Giwau jetzt zum dritten Male wagt,

sich wegzuwenden – wieder nur die Diener

umsonst rückkehren – nun, dann mag der Hass,

der aufbrennt, Giwau treffen!


Die letzten Worte hat er in plötzlichem Überwallen laut gesprochen.


HOTOKE auf ihrem Ruhebett, wie aus Träumen aufgeschreckt.

Kammerfrau![31]

Ein trüber Unstern brütet heute. – Giwau!

Wer schreit den Namen Giwau laut heraus,

der mich wie keiner schreckt?

DIE KAMMERFRAU hat sofort eine sorgliche Freundlichkeit angenommen und eilt bis an die Stufen zurück.

Geliebte Herrin,

der Kaiser kommt.

HOTOKE ist sogleich freudig aufgesprungen.

Der Kaiser? – ja? – er kommt?

Liebt er mich noch? Denkt er noch manchmal mein?

Bin ich ihm nicht zu freudelos und arm?

zu matt das Leben in mir? Ist er nicht

erzürnt, dass meiner Lieder Quell versiegt?

der süsse Schwung des Tanzes hingeschwunden –? –

dass ich mich nur wie eine Hündin müssig

hindehne, träge, wach nicht und nicht schlafend –

und ohne Grund gequält und ohne Ziel

erstarrt ausspähend. – Lieber Herr, das Auge,

das trüb geworden, sieht die Sonne nicht,

wenn sie auch strahlt.[32]

DER KAISER ist während dieser Worte langsam und zärtlich die Stufen emporgeschritten.

Geliebtes Leben! – Kind!

Du Seidenweiche! nur was redest du

im Unmut ewiger Zweifel?

HOTOKE scheu, ohne ihm entgegen zu gehen.

Lieber Herr,

nur sage mir, warum sprachst du von Giwau?

warum riefst du nach ihr? Bist du es müde –

des weissen Leibes? – meiner brünstigen Lippen? –

des sanften Schmerzes von dem Biss der Zähne?

Hegst du neu Sehnsucht, wie der Wind hingeht?

DER KAISER während Hotoke spröde und zögernd rückwärts zum Ruhebett Schritt um Schritt heran tritt.

Nein nein, Hotoke! – Warum stehst du scheu

nur weggewendet? – Warum zweifelsüchtig

in Ferne bleiben? Stolze, die du bist!

Nein, Giwau kommt, die reichsten Tongespinste

und ihrer Tänze Feier still entfalten,

dass sich der Seele heisses Flammenfeuer,[33]

aus deinen Augen tief in meine Augen,

wie Steine blitzend, fängt. Ich gab Befehl ...

HOTOKE ihm ins Wort fallend.

Dass Giwau komme – so wie eine Magd,

die man bestellt, dass sie der Herrin tanze?

Mir? – Mir? – Hotoken – alle Zukunft hülle,

dass ich es bin? – dass ich es wieder lebe –

die einzig Auserkorene meines Kaisers?

die Königsblume üppiger Tempelgärten?


Bei diesen Worten ist sie ganz erblasst.


DER KAISER ängstlich.

Geliebtes Kind – was tust du? – Nein, Hotoke!

Du schreckst mich wirklich. – Wie der Morgenhimmel,

eh noch das grosse Licht sich angezündet,

so ätherbleich wirst du – und ohn ein Fünkchen

von Frührot. – Liebchen – bitte, bleibe still –

und lege deine lieben, schlanken Füsse

in meines Kleides Saum! – Wie einst der Heilige

zwei weiche, weisse Kätzlein zärtlich so

im Zipfel seines Mantels barg, will ich[34]

stumm bei dir sitzen – ganz nur deines leisen,

geliebten Lebens Atem heimlich fühlen.

HOTOKE wieder mit geschlossenen Augen daliegend, sagt vor sich hin.

Nein, nimmer wirst du je um meinetwillen

so tief erniedern, die du einmal liebtest.


In die Ruhe, die eingetreten ist, hinein erscheint von links im Schutze des Vorhangs.


GIWAU von einem Diener begleitet, in Trauergewändern.

DER DIENER sehr leise redend.

Der Kaiser gab Befehl – er hiess Euch bitten ...

GIWAU steht von dem Eindruck der alten Umgebung erschüttert. Sie spricht wie eine Statue tonlos für sich hin.

Es gibt nicht viel der Orte – wenn wir sie

erblicken, da versteint das arme Herz

noch vollends – und das bisschen Leben stockt

vom kalten Wehen der Erinnerung,

die auferweckt ist und leibhaftig ist. –

Erinnerung, die kaum ein Traum nur, ferne

sonst manchmal zärtlich rief – die nicht mehr, ist.[35]

An diesen Orten dünkt's mich all zu kalt,

als wachte eins in Gräbern auf. – Ach Gott!

wo muss ich wandeln? – wo nur steh ich hier?

Vom Tode aufgeweckt der Liebe Klang,

dass er sich still erhebe! – Nein – ach nein!

Lasst mich nur wieder fort von hier! Ich fleh Euch!

DER DIENER.

Ihr wisst es, wenn des Kaisers Hass aufloht,

wird er nicht Euch allein, auch Eure Mutter,

auch Eure Schwester wird er töten heissen.

GIWAU.

Huh! – ja – ich weiss. – Ach Gott, es schadet nicht.

Mein Herz ist eine kühle Marmorschale,

die einsam auf dem Teiche ragt. Oh glaube,

der blauen Wunderblüte reinster Kelch

ist längst verblüht. – Die Seligkeit der Liebe

ist hingeschwunden. – Einmal liebte ich. –

Und einmal musste meine Seele sterben.

Jetzt fürcht ich keinen Tod ...


Sie ist in diesem Augenblicke sanft vor die Stufen getreten.


HOTOKE hat Giwau sofort mit funkelndem Blick gesehen. Sie schmiegt sich an den Kaiser.[36]

Hilf! – rasch bedecke

mich mit dem Schleier! –


Der Kaiser ist selbst über Giwaus plötzliches Erscheinen betroffen. Er hält Hotoke sanft zurück, während er den Blick auf Giwau richtet. Hotoke klammert sich ängstlich an den Kaiser.

Der Diener macht vor den Stufen eine demütige Geberde der Einführung, während Giwau sanft heran schreitet.


GIWAU.

Herrin – ach – nicht Furcht!

Der Becher Leides ist ganz ausgeweint –

und alle meine Tränen ausgetrocknet.

Ich will dir gerne singen, was du willst,

von fremdem Glücke – von den Heimlichkeiten

des Herzens – von der Seele Meereswogen,

wenn sie hinrauscht, die volle, goldne Flut

im Sonnenglanz. – Jetzt ist's ein fernes Wähnen. –

Jetzt ist es nicht mehr mein – und das ist gut.

Mein Herz ist jetzt ganz still. Mein Herz ist Stein.


Sie beginnt ein paar Akkorde auf der Lyra und spricht dumpf psalmodierend und starr.


Du trägst einen Ring von Golde schwer,

die süsse Liebe, die unbetrübt.[37]

Hüte den Ring vor den Tiefen im Meer –

Vereinsamt blutet das Herz, das liebt.


Sie spricht die folgende Zeile ganz demütig entschuldigend zu Hotoke und dem Kaiser hin.


Mein Herz wurd zu Stein.


Dann spricht sie weiter dumpf psalmodierend.


Einmal an Glanze Hotoken gleich,

bleichte mein Stern. – Tief Nacht es scheint.

Hüte dich vor, den schmerzenreichen

Tränen, die Giwau der Liebe geweint!


Hotoke hat sich immer leidenschaftlicher aufgereckt und vom Kaiser gehalten, immer erstarrter dem Gesange Giwaus gelauscht.


Quelle:
Carl Hauptmann: Panspiele. München 1909, S. 23-38.
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