Dritte Szene.

[105] Rapunzel kommt. Prinzessin Trull macht ihr tiefe Komplimente.


RAPUNZEL während sie sich aus dem Ofenröhr ein Töpfchen kalten Kaffee einschenkt und hastig trinkt. Prinzessin ... laß mich heute ungeschoren ... und setz' dich auf deine Kiste! ...'s ist gut, daß die Sonne untergeht ... denn lange werde ich mir heute die Welt nicht mehr auswendig besehen ... ich hab' die anderthalb Tage im Amtsgefängnis kein Auge zugetan ... ich möchte nur wissen, was das überhaupt für Narrenspossen sind ... Sie macht Feuer im Ofen. Warum muß denn der Mensch grade die Nase nach vorne haben ... und warum muß denn der Mensch durchaus immer was Besseres sein wollen ... Sie geht ans Fenster und will es schließen. Was ruft der Kerl? ... ich will mit keinem Fremden mehr was zu tun haben ... gar nichts ... draußen bleibt er ... Sie schließt das Fenster. Wenn er mich nur ins Amtsgefängnis locken will ... mich bringt jemand bloß einmal in Versuchung ... und nicht wieder ... Sie richtet sich ihr Lager her. Ausschlafen will ich[105] ... Sie hat sich wieder ihr Lumpenlager hergerichtet, den Stuhl umgekehrt, mit etwas Stroh als Kopfkissen und wirft sich auf das Lager. Und wenn ich auch zehnmal im Schmutze leben muß ... schlafen ... tut man, wo in der Luft die hellen Schmetterlinge fliegen ... so leise geht's und so reinlich geht's da zu ... also ...

PRINZESSIN TRULL in ganz mitleidigem Tone, von der Kiste aus, wo sie wieder das Bild ihres Vaters putzt. Liebe Hofdame ... Ihr habt Kummer ...

RAPUNZEL halb schlafend. Ach ... nichts weiß ich ... nichts sage ich ... laß mich ...

DIE STIMME draußen klingt heller. Johannes Habundus ist da ...

RAPUNZEL einschlafend. Stille ... schließ die Tür zu ... das ist ein Betrüger ... der die Leute narrt ...


Quelle:
Carl Hauptmann: Die armseligen Besenbinder. Leipzig 1913, S. 105-106.
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