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[123] Einhart war in den Monaten jetzt, wo wieder der Winter kam, viel daheim. Er gab sich ehrlich Mühe, kein Ärgernis zu erregen und vermied auch mit Meister Teodor jede Mißhelligkeit. In die Meisterateliers kam er auf Stunden, aber er gab vor, in der Galerie zu kopieren, und malte und zeichnete in seiner kleinen Giebelstube.

Wenn er so an dem Fenster des einsamen Dachgelasses saß, konnte er ewig untätig nur hinüberträumen über die tausend Dächer, die sich unter seinen Blicken dehnten und die tausend Kanäle von Straßen mit ihren Menschenscharen in drängendem Strome. Seine Gedanken hatten jetzt oft nicht Halt. Es kamen sonderbare Gefühle von Unstetheit in Einhart auf, die ihn hintreiben ließen und suchen und nicht haften.

»Woher drängt die Menge neu und neu hervor? – mit ihren hastigen Begehrungen? und wohin will der Geist uns lehren einzuziehen?«

Es kam jetzt oft eine lächerliche Entwertung des Lebens in Einhart auf. Er dachte an daheim. Mutter kam ihm ins Auge, die mit ihren Demutsblicken auch noch immer nur so in die Ferne sah wie er, noch immer so schaute und schaute.[124]

»Nun also,« dachte Einhart so hin. »Wohin denn mit alle denen, die sich narren lassen, hinzueilen, und sich mühen?« dachte er dann.

Es war jetzt Weihnachtsmarkt in der Stadt. »Alles ist ein Jahrmarkt. Wer viel in der Tasche hat, kann viel kaufen. Und wer viel in der Seele hat, kann viel hinausgeben.«

»Ich werde einfach auch nur ein Jahrmarktsschreier. Ich muß meine Illusionen auf Leinwand bringen, wie der Bänkelsänger seine Geschichten.«

»Es ist alles nur Jahrmarktsvolk, Jämmerlinge, die amüsiert sein wollen, zu Haufen, und dazu einige Bajazzi! Nun also: ich bin Bajazzo!«

Grottfuß war außer sich über solche Reden. Der nahm sich sehr ernst und wichtig. Wenn er, und andere auch, kamen – denn um Einhart war jetzt immer ein kleines Gedränge, dann hörten sie seine Auslassungen mit Lachen oder Entrüstung.

»Ach, was braucht es zur heutigen Kunst noch eines Menschen von Fleisch und Blut, mit Sehnsuchten noch Erlösung und Überraschung? Das alles weiß man, das kennt man!« rief Einhart dann verächtlich, »diese ganze akademische Kunst! Original, das heißt, aus dem Ursprünglichen, Drängenden,[125] Schauenden neugeboren. Alles andere ist Handlangerei.« »Diese modernen Künstler sind Modeherren, die aus allen Weltgegenden den Wind fangen möchten,« rief er dann.

»Natürlich können sie malen. Man weiß es seit Alters, wie man Eisen weich macht, oder Farben reibt. Ich werfe den Krempel hin. Ich finde es, was mir selber wirklich heiß macht, ein neues Lied, eine neue Weise, eine neue Offenbarung – aus meiner eigenen Tragikomödie! Ich finde es selber, was mich hält, und was sich lohnt, daß ich es tue. Oder ich werfe es hin – alles! das Leben vielleicht!«

»Professor Soukoup, der einzige, der einen hohen Begriff hat von Kunst,« sagte er viele Male, »weiß es nicht zu tun. Und die es tun, haben keinen Begriff, als nur die ungeoffenbarte Offenbarung des ewig Offenbaren,« höhnte er.

Er begann sich jetzt alles hochmütig zu verleiden, versuchte zu Hause Malereien mit allerhand sonderbaren Mischungen, die den Bildern neue Helligkeiten und Kontraste geben sollten, und vor allem, er malte sich, nur immer sich, in tausenderlei Grimassen und den drolligsten Auffassungen. Als Mörder mit dem Dolch. Als Grandseigneur im schwarzen Würdenkleide.[126] Als Verächter. Als Gehässigen mit einem Klumpfuß. Als allerhand. Auch einmal als einen Teufel mit Glühaugen, aus dessen Herzstelle ein Feuerherd heimlich hindurchsah, aus dem allerlei Gestalten, wie Zunder verbrannt, emporloderten und durch die Augen gewissermaßen wie letzte, verzehrte Reste hinausglühten. Er war in ewiger Unruhe, war gleichgültig gegen alles und hatte, wenn er seinen Lebensgroll im Trunke begraben, in der Ecke der Konditorei den Morgen erreicht hatte und das Sichvergessen, wider Willen eine Miene, die scharf lächelte.

Einhart begann wirklich einen ganz eigenen Harm zu empfinden. Das törichte Geschwätz allenthalben begann er zu hassen. Er wollte große Gefühle, neue Wege, mutige Darstellung. Er hohnlachte nur noch, wenn die Kameraden sich stritten, ob Meister Teodor oder Meister Zeichner größer wäre. »Ein tausendstel Millimeter,« sagte er, »man kann es nur mit einem ganz feinen Instrumente messen und kann auch dann nicht sagen, welchen der beiden dieses Flöhchen noch beißt.« So ungefähr.

»Größe kann man nur unter Leuten bemerken,« schrie er dann herrisch mitten hinein, »die ihre Köpfe aufragen lassen – aus dem Erdenstaub und[127] der eklen Masse in die freien Himmel, meine Herren Kameraden, wozu wir alle berufen, aber nur sehr wenige von uns auserwählt sind.«

»Die Größe! Ihr versteht doch! Das ist eine Fähigkeit, sich zu erheben, daß ein jeder, der daneben steht, den andern wirklich oben sieht.«

Viele ärgerten sich. Manche fanden es großartig.

In solcher Laune warf Einhart auch alles weg und sprach selbst von seinem Vater mit Hohn. »Mich wollten sie auf eine Ehrenstelle bringen,« sagte er dann. »Lieber in Lumpen gehen, ehe ich meine Feuer verlöschen lasse auf meinem Herzflecke! versteht ihr! Solcher Herzbrand frißt Kleider und Ehren,« lachte er dann.

»Mein Alter,« konnte er ganz despektierlich sagen, »hat an seinem Herzfleck nur kalte Asche. Und wenn man es nicht bestimmt wüßte, daß er einmal im Leben einen Traum gehabt, früher, dann könnte man denken, es wäre ein steinerner Gast.«

So ungefähr ging es dann aus ihm, daß alle Kameraden für oder widerredeten durcheinander – aber ein jeder auch einen Hauch davon gewann, daß Einhart suchte und sehnte, daß er das Bestehende[128] und das billig Erworbene und nur Gekonnte einfach verachtete. In dem Kleinsten ging dann heimlich ein drängender Brand aus den Funken aus Einhart. Und heimlich hatten die Lehrer so eine ganze Herde Zwerge um sich. In der Seele eines jeden, auch des willfährigsten Schülers saß heimlich ein solcher kleiner Dämon von Einharts Gnaden, der sich nach dem verheißenen, wahren Eigentum zu sehnen angefangen, und der nur widerwillig noch dem mühsamen Erwerbe des wirklichen Könnens sich hingab.

Quelle:
Carl Hauptmann: Einhart der Lächler. Roman in zwei Bänden, Band 1, Leipzig 61915, S. 123-129.
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