Fünfter Akt

[54] Abend. Das erleuchtete Zelt des Holofernes. Hinten ein Vorhang, der das Schlafgemach verdeckt.

Holofernes. Hauptleute. Kämmerer.


HOLOFERNES zu einem der Hauptleute. Du hast gekundschaftet? Wie steht es in der Stadt?

DER HAUPTMANN. Es ist, als ob sich alle darin selbst begraben hätten. Diejenigen, welche die Tore bewachen, sind wie aus dem Grabe emporgestiegen. Auf einen legte ich an, doch bevor ich noch abdrückte, fiel er schon von selbst tot zu Boden.

HOLOFERNES. Also Sieg ohne Krieg. Wär ich jünger, so mißfiele[54] mirs. Da glaubt ich, mein Leben zu stehlen, wenn ichs mir nicht täglich neu erkämpfte; was mir geschenkt wurde, meinte ich gar nicht zu besitzen.

DER HAUPTMANN. Priester sieht man stumm und ernsthaft durch die Gassen schleichen. Lange, weiße Gewänder, wie bei uns die Toten tragen. Hohle Augen, die den Himmel zu durchbohren suchen. Krampf in den Fingern, wenn sie die Hände falten.

HOLOFERNES. Daß man mir solche Priester nicht tötet! Die Verzweiflung in ihrem Gesicht ist mein Bundesgenosse.

DER HAUPTMANN. Wenn sie jetzt zum Himmel emporschauen, so gilt es nicht dem Gott, den sie dort suchen, es gilt einer Regenwolke. Aber die Sonne zehrt die dünnen Wolken auf, die einen Tropfen der Erquickung versprechen, und auf die zerspringenden Lippen fällt ihr heißer Strahl. Dann ballen sich Hände, dann rollen Augen, dann zerstoßen sich Köpfe an den Mauern, daß Blut und Gehirn fließt!

HOLOFERNES. Wir sahen das öfter! Lachend. Haben wir doch selbst eine Hungersnot erlebt, wo der eine scheu zurückwich, wenn der andere ihn küssen wollte, aus bloßer Furcht vor einem Biß in die Backe. Hallo, bereitet das Mahl, laßt uns lustig sein! Es geschieht. Ist nicht morgen der fünfte Tag?

DER HAUPTMANN. Ja.

HOLOFERNES. Da wird sichs entscheiden! Übergibt sich Bethulien, wie diese Ebräerin verkündigte, kommt sie von selbst herangekrochen, die halsstarrige Stadt, und legt sich mir zu Füßen ...

DER HAUPTMANN. Holofernes zweifelt?

HOLOFERNES. An allem, was er nicht befehlen kann. Aber geschiehts, wie das Weib verhieß, wird mir aufgemacht, ohne daß ich mit dem Schwerte anzuklopfen brauche, dann ...

DER HAUPTMANN. Dann?

HOLOFERNES. Dann bekommen wir einen neuen Herrn. Wahrlich, ich habe geschworen, daß der Gott Israels, wenn er mir einen Gefallen tut, auch mein Gott sein soll, und bei allen, die schon meine Götter sind, beim Bel zu Babel und beim großen Baal, ich werds halten! Hier, diesen Becher mit Wein bring ich ihm dar, dem Je ... Je ... Zum Kämmerer. wie sagtest du doch, daß er heiße?

KÄMMERER. Jehovah.[55]

HOLOFERNES. Laß dir das Opfer gefallen, Jehovah. Ein Mann bringts dir, und ein solcher, der es nicht nötig hätte.

DER HAUPTMANN. Und wenn Bethulien sich nicht ergibt?

HOLOFERNES. Schwur gegen Schwur. Dann laß ich den Jehovah auspeitschen, und die Stadt – doch ich will meinem Zorn nicht schon jetzt die Grenze abmessen! Es heißt den Blitz schulmeistern. Was macht die Ebräerin?

DER HAUPTMANN. O, sie ist schön. Aber sie ist auch spröde!

HOLOFERNES. Hast du sie versucht?

DER HAUPTMANN schweigt verlegen.

HOLOFERNES mit wildem Blick. Du wagtest das, und wußtest, daß sie mir wohlgefällt? Nimm das, Hund! Er haut ihn nieder. Schafft ihn weg und führt mir das Weib her. Es ist eine Schande, daß sie unberührt unter uns Assyriern einhergeht! –


Der Körper wird fortgeschafft.


Weib ist Weib, und doch bildet man sich ein, es sei ein Unterschied. Freilich fühlt ein Mann nirgends so sehr, wie viel er wert ist, als an Weibesbrust. Ha, wenn sie seiner Umarmung entgegenzittern, im Kampf zwischen Wollust und Schamgefühl; wenn sie Miene machen, als ob sie fliehen wollten, und dann mit einmal, von ihrer Natur übermannt, an seinen Hals fliegen, wenn ihr letztes bißchen Selbständigkeit und Bewußtsein sich aufrafft und sie, da sie nicht mehr trotzen können, zum freiwilligen Entgegenkommen antreibt; wenn dann, durch verräterische Küsse in jedem Blutstropfen geweckt, ihre Begierde mit der Begierde des Mannes in die Wette läuft, und sie ihn auffordern, wo sie Widerstand leisten sollten – ja, das ist Leben, da erfährt mans, warum die Götter sich die Mühe gaben, Menschen zu machen, da hat man ein Genügen, ein überfließendes Maß! Und vollends, wenn ihre kleine Seele noch den Moment zuvor von Haß und feigem Groll erfüllt war, wenn das Auge, das jetzt in Wonne bricht, sich finster schloß, als der Überwinder hereintrat, wenn die Hand, die jetzt schmeichelnd drückt, ihm gern Gift in den Wein gemischt hätte! Das ist ein Triumph, wie keiner mehr, und den hab ich schon oft gefeiert. Auch diese Judith – zwar ist ihr Blick freundlich, und ihre Wangen lächeln, wie Sonnenschein; aber in ihrem Herzen wohnt niemand, als ihr Gott, und den will ich jetzt vertreiben![56] In meinen Jugendtagen hab ich wohl, wenn ich einem Feind begegnete, statt mein eignes Schwert zu ziehen, ihm das seinige aus der Hand gewunden und ihn damit niedergehauen. So will ich auch diese vernichten; sie soll vor mir vergehen durch ihr eignes Gefühl, durch die Treulosigkeit ihrer Sinne!

JUDITH tritt mit Mirza ein. Du hast befohlen, hoher Herr, und deine Magd gehorcht.

HOLOFERNES. Setze dich, Judith, und iß und trink, denn du hast Gnade vor mir gefunden.

JUDITH. Das will ich, Herr, ich will fröhlich sein, denn ich bin mein Lebelang nicht so geehrt worden!

HOLOFERNES. Warum zögerst du?

JUDITH schaudernd, indem sie auf das frische Blut deutet. Herr, ich bin ein Weib.

HOLOFERNES. Betrachte es recht, dies Blut. Es muß deiner Eitelkeit schmeicheln, denn es ist geflossen, weil es für dich entzündet war.

JUDITH. Wehe!

HOLOFERNES zu dem Kämmerer. Andere Teppiche her! Zu den Hauptleuten. Entfernt euch!


Die Teppiche werden gebracht. Die Hauptleute gehen ab.


JUDITH für sich. Mein Haar sträubt sich, aber doch dank ich dir, Gott, daß du mir den Entsetzlichen auch in dieser Gestalt zeigtest. Den Mörder kann ich leichter morden.

HOLOFERNES. Nun laß dich nieder. Du bist blaß geworden, dein Busen fliegt. Bin ich dir schrecklich?

JUDITH. Herr, du warst freundlich gegen mich!

HOLOFERNES. Sei aufrichtig, Weib!

JUDITH. Herr, du müßtest mich verachten, wenn ich –

HOLOFERNES. Nun?

JUDITH. Wenn ich dich lieben könnte.

HOLOFERNES. Weib, du wagst viel. Vergib. Du wagst nichts. Solch ein Wort hört ich noch nicht. Nimm die goldne Kette für dies Wort.

JUDITH verlegen. Herr, ich verstehe dich nicht!

HOLOFERNES. Wehe dir, wenn du mich verstündest! Der Leu blickt ein Kind, das ihn verwegen an der Mähne zupft, weil es ihn nicht kennt, mit Freundlichkeit an. Wollte das Kind, nachdem[57] es groß und klug geworden, dasselbe versuchen, der Leu würde es zerreißen. Setz dich zu mir, wir wollen plaudern. Sag mir, was dachtest du, als du zu erst vernahmst, daß ich mit Heeresmacht dein Vaterland bedrohte?

JUDITH. Ich dachte nichts.

HOLOFERNES. Weib, man denkt an manches, wenn man von Holofernes hört.

JUDITH. Ich dachte an den Gott meiner Väter.

HOLOFERNES. Und fluchtest mir?

JUDITH. Nein, ich hoffte, mein Gott werde es tun.

HOLOFERNES. Gib mir den ersten Kuß. Er küßt sie.

JUDITH für sich. O, warum bin ich Weib!

HOLOFERNES. Und als du nun das Rollen meiner Wagen hörtest und das Stampfen meiner Kamele und das Klirren meiner Schwerter, was dachtest du da?

JUDITH. Ich dachte, du wärest nicht der einzige Mann in der Welt und aus Israel würde einer hervorgehen, der dir gleich sei.

HOLOFERNES. Als du nun aber sahest, daß mein Name allein hinreichte, dein Volk in den Staub zu werfen, daß euer Gott das Wundertun vergaß, und daß eure Männer sich Weiberkleider wünschten –

JUDITH. Da rief ich pfui aus und verhüllte mein Angesicht, sobald ich einen Mann erblickte, und wenn ich beten wollte, so empörten sich meine Gedanken gegen mich selbst und zerfleischten sich untereinander, und ringelten sich, wie Schlangen um das Bild meines Gottes herum. O, seit ich das empfand, schaudere ich vor meiner eigenen Brust; sie kommt mir vor, wie eine Höhle, in die die Sonne hineinscheine, und die dennoch in heimlichen Winkeln das schlimmste Gewürm beherbergt.

HOLOFERNES betrachtet sie von der Seite. Wie sie glüht! Sie erinnert mich an eine Feuerkugel, die ich einst in dunkler Nacht am Himmel aufsteigen sah. Sei mir willkommen, Wollust, an den Flammen des Hasses ausgekocht! Küsse mich, Judith! Sie tuts. Ihre Lippen bohren sich ein, wie Blutigel, und sind doch kalt. Trink Wein, Judith. Im Wein ist alles, was uns fehlt!

JUDITH trinkt, nachdem ihr Mirza eingeschenkt hat. Ja, im Wein ist Mut, Mut![58]

HOLOFERNES. Also Mut bedarfst du, um mit mir an meiner Tafel zu sitzen, um meine Blicke auszuhalten, und meinen Küssen entgegen zu kommen? Armes Geschöpf!

JUDITH. O du – Sich fassend. Vergib. Sie weint.

HOLOFERNES. Judith, ich schaue in dein Herz hinein. Du hassest mich. Gib mir deine Hand und erzähle mir von deinem Haß!

JUDITH. Meine Hand? O Hohn, der die Axt an die Wurzeln meiner Menschheit legt!

HOLOFERNES. Wahrlich, wahrlich, dies Weib ist begehrungswert!

JUDITH. Spring auf, mein Herz! Halte nichts mehr zurück! Sie richtet sich auf. Ja, ich hasse dich, ich verfluche dich, und ich muß es dir sagen, du mußt wissen, wie ich dich hasse, wie ich dich verfluche, wenn ich nicht wahnsinnig werden soll! Nun töte mich!

HOLOFERNES. Dich töten? morgen vielleicht; heute wollen wir erst miteinander zu Bett gehen.

JUDITH für sich. Wie ist mir auf einmal so leicht! Nun darf ichs tun!

KÄMMERER tritt ein. Herr, ein Ebräer harret draußen vor dem Zelt. Er bittet dringend vor dich gelassen zu werden. Dinge von höchster Wichtigkeit – – –

HOLOFERNES erhebt sich. Vom Feind? Führ ihn herein! Zu Judith. Ob sie sich ergeben wollen? Dann nenne mir doch schnell die Namen deiner Vettern und Freunde! Die will ich verschonen!

EPHRAIM stürzt ihm zu Füßen. Herr, sicherst du mir mein Leben?

HOLOFERNES. Ich sichre es dir!

EPHRAIM. Wohlan! Nähert sich ihm, zieht rasch sein Schwert und haut nach ihm. Holofernes weicht aus.

KÄMMERER tritt hastig herein. Schurk, ich will dir zeigen, wie man Männer niederhaut! Will Ephraim niederhauen.

HOLOFERNES. Halt!

EPHRAIM will sich selbst in sein Schwert stürzen. Das sah Judith! Ewige Schande über mich!

HOLOFERNES verhindert ihn. Untersteh dichs nicht zum zweiten Mal! Willst du mir das Halten meines Worts unmöglich machen? Ich sicherte dir dein Leben, ich muß dich also auch gegen dich selbst schützen! Ergreift ihn! Ist nicht mein Lieblings- Affe verreckt? Steckt ihn in dessen Käfig und lehrt ihn die Kunststücke seines schnurrigen Vorgängers. Der Mensch ist eine[59] Merkwürdigkeit, er ist der einzige, der sich berühmen kann, nach dem Holofernes gehauen zu haben und mit heiler Haut davon gekommen zu sein. Ich will ihn bei Hofe zeigen! Kämmerer mit Ephraim ab. Zu Judith. Gibts viele Schlangen in Bethulien?

JUDITH. Nein, aber manchen Rasenden.

HOLOFERNES. Den Holofernes töten; auslöschen den Blitz, der mit dem Weltbrande droht; eine Unsterblichkeit im Keim erdrücken, einen kühnen Anfang zum großmauligten Prahler machen, indem man ihn um sein Ende verkürzt, – o, das mag verlockend sein! Das heißt eingreifen in die Zügel des Geschicks! Dazu könnt ich mich selbst verführen lassen, wenn ich nicht wäre, der ich bin! Aber das Große auf kleine Weise tun wollen, dem Löwen erst ein Netz aus seinem eignen Edelmut spinnen und ihm dann mit dem Mord auf den Leib rücken, die Tat wagen und die Gefahr feig und klug vorher abkaufen: nicht wahr, Judith, das heißt Götter machen aus Dreck, dazu wirst du doch pfui! sagen müssen, und wenns dein bester Freund gegen deinen ärgsten Feind versucht?

JUDITH. Du bist groß und andere sind klein. Leise. Gott meiner Väter, schütze mich vor mir selbst, daß ich nicht verehren muß, was ich verabscheue! Er ist ein Mann.

HOLOFERNES zum Kämmerer. Bereite mir das Lager! Kämmerer ab. Siehe, Weib, diese meine Arme sind bis an den Ellenbogen in Blut getaucht, jeder meiner Gedanken gebiert Greuel und Verwüstung, mein Wort ist Tod; die Welt kommt mir jämmerlich vor, mir deucht, ich bin geboren, sie zu zerstören, damit was Besseres kommen kann. Die Menschen verfluchen mich, aber ihr Fluch haftet nicht an meiner Seele, sie rührt ihre Schwingen und schüttelt ihn ab, wie ein Nichts; ich muß also wohl im Recht sein. »O, Holofernes, du weißt nicht, wie das tut!« ächzte einmal einer, den ich auf glühendem Rost braten ließ. »Ich weiß das wirklich nicht«, sagte ich und legte mich an seine Seite. Bewundere das nicht, es war eine Torheit.

JUDITH für sich. Hör auf, hör auf! Ich muß ihn morden, wenn ich nicht vor ihm knieen soll.

HOLOFERNES. Kraft! Kraft! Das ists. Er komme, der sich mir entgegen stellt, der mich darnieder wirft. Ich sehne mich nach[60] ihm! Es ist öde, nichts ehren können, als sich selbst. Er mag mich im Mörser zerstampfen und, wenns ihm so gefällt, mit dem Brei das Loch ausfüllen, das ich in die Welt riß. Ich bohre tiefer und immer tiefer mit meinem Schwert; wenn das Zetergeschrei den Retter nicht weckt, so ist keiner da. Der Orkan durchsaust die Lüfte, er will seinen Bruder kennen lernen. Aber die Eichen, die ihm zu trotzen scheinen, entwurzelt er, die Türme stürzt er um und den Erdball hebt er aus den Angeln. Da wirds ihm klar, daß es seinesgleichen nicht gibt, und vor Ekel schläft er ein. Ob Nebucad Necar mein Bruder ist? Mein Herr ist er ganz gewiß. Vielleicht wirft er meinen Kopf noch einmal den Hunden vor. Wohl bekomm ihnen die Speise! Vielleicht füttre ich mit seinen Eingeweiden noch einmal die Tiger Assyriens. Dann – ja dann weiß ich, daß ich das Maß der Menschheit bin, und eine Ewigkeit hindurch stehe ich vor ihrem schwindelnden Auge als unerreichbare, Schrecken umgürtete Gottheit! O, der letzte Moment, der letzte! wäre er doch schon da! »Kommt her, alle, denen ich wehe tat – ruf ich aus – ihr, die ich verstümmelte, ihr, denen ich die Weiber aus den Armen und die Töchter von der Seite riß, kommt, und ersinnt Qualen für mich! Zapft mir mein Blut ab, und laßt michs trinken, schneidet mir Fleisch aus den Lenden, und gebt mirs zu essen!« Und wenn sie das Ärgste mir getan zu haben glauben, und ich ihnen doch noch etwas Ärgeres nenne, und sie freundlich bitte, es mir nicht zu versagen, wenn sie mit grausendem Erstaunen umherstehen und ich sie, trotz all meiner Pein, in Tod und Wahnsinn hinein lächle: dann donnre ich ihnen zu: Kniet nieder, denn ich bin euer Gott, und schließe Lippen und Augen und sterbe still und geheim.

JUDITH zitternd. Und wenn der Himmel seinen Blitz nach dir wirft, um dich zu zerschmettern?

HOLOFERNES. Dann reck ich die Hand aus, als ob ich selbst es ihm geböte, und der Todesstrahl umkleidet mich mit düstrer Majestät.

JUDITH. Ungeheuer! Grauenvoll! Meine Empfindungen und Gedanken fliegen durcheinander, wie dürre Blätter. Mensch, entsetzlicher, du drängst dich zwischen mich und meinen Gott! Ich muß beten in diesem Augenblick, und kanns nicht![61]

HOLOFERNES. Stürz hin und bete mich an!

JUDITH. Ha, nun seh ich wieder klar! Dich? Du trotzest auf deine Kraft. Ahnst du denn gar nicht, daß sie sich verwandelt hat? daß sie dein Feind geworden ist?

HOLOFERNES. Ich freue mich, etwas Neues zu hören.

JUDITH. Du glaubst, sie sei da, um gegen die Welt Sturm zu laufen; wie, wenn sie da wäre, um sich selbst zu beherrschen? Du aber hast sie zum Futter deiner Leidenschaft gemacht, du bist der Reiter, den seine Rosse verzehren.

HOLOFERNES. Ja, ja, die Kraft ist zum Selbstmord berufen, so spricht die Weisheit, die keine Kraft ist. Kämpfen mit mir selbst, aus meinem linken Bein den Knochen machen, über den das rechte stolpert, damit es nur ja den benachbarten Ameisenhaufen nicht zertrete. Jener Narr in der Wüste, der mit seinem Schatten focht und der, als die Nacht hereinbrach, ausrief: »nun bin ich geschlagen, nun ist mein Feind so groß, wie die Welt«, – jener Narr war eigentlich sehr gescheut, nicht wahr? O, zeigt mir doch das Feuer, das sich selbst ausgießt! Findet ihrs nicht? So zeigt mir das, das sich durch sich selbst ernährt! Findet ihrs auch nicht? So sagt mir, steht dem Baum, den es verzehrt, der Richterspruch über das Feuer zu?

JUDITH. Ich weiß nicht, ob man dir was antworten kann. Wo der Sitz meiner Gedanken war, da ist jetzt Öde und Finsternis. Selbst mein Herz versteh ich nichs mehr.

HOLOFERNES. Du hast ein Recht, über mich zu lachen. Man muß einem Weibe so etwas nicht begreiflich machen wollen.

JUDITH. Lerne das Weib achten! Es steht vor dir, um dich zu ermorden! Und es sagt dir das!

HOLOFERNES. Und es sagt mir das, um sich die Tat unmöglich zu machen! O Feigheit, die sich für Größe hält! Doch du willsts auch wohl nur, weil ich nicht mit dir zu Bette gehe! Um mich vor dir zu schützen, brauch ich dir bloß ein Kind zu machen!

JUDITH. Du kennst kein ebräisch Weib! Du kennst nur Kreaturen, die sich in ihrer tiefsten Erniedrigung am glücklichsten fühlen.

HOLOFERNES. Komm, Judith, ich will dich kennen lernen! Sträube dich immerhin noch ein wenig, ich will dir selbst sagen, wie lange. Noch einen Becher! Er trinkt. Nun stell das Sträuben ein, es ist genug! – Zum Kämmerer. Fort mit dir! Und wer mich[62] in dieser Nacht stört, den kostets den Kopf! Er führt Judith mit Gewalt ab.

JUDITH im Abgehen. Ich muß – ich will – pfui über mich in Zeit und Ewigkeit, wenn ich nicht kann!

KÄMMERER zu Mirza. Du willst hier bleiben?

MIRZA. Ich muß meiner Gebieterin warten!

KÄMMERER. Warum bist du nicht ein Weib, wie Judith? Dann könnt ich ebenso glücklich sein, wie mein Herr!

MIRZA. Warum bist du nicht ein Mann, wie Holofernes?

KÄMMERER. Ich bin, der ich bin, damit Holofernes seine Bequemlichkeit habe. Damit der große Held sich nicht selbst die Speisen aufzutragen und den Wein einzuschenken braucht. Damit er einen hat, der ihn zu Bett bringt, wenn er betrunken ist. Nun aber gib auch du mir Antwort. Wozu sind die häßlichen Weiber in der Welt?

MIRZA. Damit ein Narr sie verspotten kann.

KÄMMERER. Ja wohl, und damit man ihnen bei Licht ins Gesicht speie, wenn man das Unglück hatte, sie im Dunkeln zu küssen. Holofernes hat einmal ein Weib, das zur ungelegenen Zeit vor ihn trat, niedergehauen, weil er es nicht schön genug fand. Der trifft immer das Rechte. Verkriech dich in eine Ecke, ebräische Spinne, und sei still!


Er geht ab.


MIRZA allein. Still! Ja, still! Ich glaube, dort Sie deutet auf das Schlafgemach. wird jemand ermordet; ich weiß nicht, ob Holofernes oder Judith! Still! still! Ich stand einmal an einem Wasser, und sah, wie ein Mensch darin ertrank. Die Angst trieb mich, ihm nachzuspringen; die Angst hielt mich wieder zurück. Da schrie ich, so laut ich konnte, und ich schrie nur, um sein Schreien nicht zu hören. So red ich jetzt! O Judith! Judith! Als du zum Holofernes kamst und ihm mit einer Verstellung, die ich nicht faßte, dein Volk in die Hände zu liefern versprachst, da hielt ich dich einen Augenblick für eine Verräterin. Ich tat dir unrecht, und ich fühlte es gleich. O, mögte ich dir auch jetzt unrecht tun! Mögten deine halben Worte, deine Blicke und Gebärden mich auch jetzt täuschen, wie damals! Ich habe keinen Mut, ich fürchte mich sehr; aber nicht die Furcht spricht jetzt aus mir, nicht die Angst vor dem Mißlingen.[63] Ein Weib soll Männer gebären, nimmermehr soll sie Männer töten!

JUDITH stürzt mit aufgelöstem Haar, schwankend herein. Ein zweiter Vorhang wird zurückgeschlagen. Man sieht den Holofernes schlafen. Zu seinen Häupten hängt sein Schwert. Es ist hier zu hell, zu hell! Lösch die Lichter, Mirza, sie sind unverschämt!

MIRZA aufjauchzend. Sie lebt und er lebt! – Zu Judith. Wie ist dir, Judith? Deine Wangen glühen, als wollte das Blut herausspringen! Dein Auge blickt scheu!

JUDITH. Sieh mich nicht an, Mädchen! Niemand soll mich ansehen! Sie schwankt.

MIRZA. Lehne dich an mich, du schwankst!

JUDITH. Wie, ich wäre so schwach? Fort von mir! Ich kann stehen, o, ich kann noch mehr, als stehen, ich kann unendlich viel mehr!

MIRZA. Komm, laß uns fliehen von hier!

JUDITH. Was? Bist du in seinem Solde? Daß er mich mit sich fort zerrte, daß er mich zu sich riß auf sein schändliches Lager, daß er meine Seele erstickte, alles dies duldetest du? Und nun ich mich bezahlt machen will für die Vernichtung, die ich in seinen Armen empfand, nun ich mich rächen will für den rohen Griff in meine Menschheit hinein, nun ich mit seinem Herzblut die entehrenden Küsse, die noch auf meinen Lippen brennen, abwaschen will, nun errötest du nicht, mich fortzuziehen?

MIRZA. Unglückliche, was sinnst du?

JUDITH. Elendes Geschöpf, das weißt du nicht? Das sagt dir dein Herz nicht? Mord sinne ich! – Da Mirza zurücktritt. Gibts denn noch eine Wahl? – Sag mir das, Mirza. Ich wähle den Mord nicht, wenn ich – Was red ich da! Sprich kein Wort mehr, Magd! Die Welt dreht sich um mich.

MIRZA. Komm!

JUDITH. Nimmermehr! Ich will dir deine Pflicht lehren! Sieh, Mirza, ich bin ein Weib! O, ich sollte das jetzt nicht fühlen! Höre mich, und tu, warum ich dich bitte. Wenn meine Kraft mich verlassen, wenn ich ohnmächtig hinsinken sollte, dann bespritz mich nicht mit Wasser. Das hilft nicht. Ruf mir ins Ohr: Du bist eine Hure! Dann spring ich auf, vielleicht pack ich dich und will dich würgen. Dann erschrick nicht, sondern[64] ruf mir zu: Holofernes hat dich zur Hure gemacht, und Holofernes lebt noch! O, Mirza, dann werd ich ein Held sein, ein Held, wie Holofernes!

MIRZA. Deine Gedanken wachsen über dich hinaus!

JUDITH. Du verstehst mich nicht! Aber du mußt, du sollst mich verstehen. Mirza, du bist ein Mädchen. Laß mich hinein leuchten in das Heiligtum deiner Mädchenseele. Ein Mädchen ist ein törigtes Wesen, das vor seinen eigenen Träumen zittert, weil ein Traum es tödlich verletzen kann, und das doch nur von der Hoffnung lebt, nicht ewig ein Mädchen zu bleiben. Für ein Mädchen gibt es keinen größeren Moment, als den, wo es aufhört, eins zu sein, und jede Wallung des Bluts, die es vorher bekämpfte, jeder Seufzer, den es erstickte, erhöht den Wert des Opfers, das es in jenem Moment zu bringen hat. Es bringt sein Alles, – ist es ein zu stolzes Verlangen, wenn es durch sein Alles Entzücken und Seligkeit einflößen will? Mirza, hörst du mich?

MIRZA. Wie sollt ich dich nicht hören!

JUDITH. Nun denk es dir in seiner ganzen nackten Entsetzlichkeit, nun mal es dir aus bis zu dem Punkt, wo die Scham sich mit aufgehobenen Händen zwischen dich und deine Vorstellungen wirft, und wo du eine Welt verfluchst, in der das Ungeheuerste möglich ist!

MIRZA. Was denn? Was soll ich mir ausmalen?

JUDITH. Was du dir ausmalen sollst? Dich selbst in deiner tiefsten Erniedrigung – den Augenblick, wo du an Leib und Seel ausgekeltert wirst, um an die Stelle des gemißbrauchten Weins zu treten und einen gemeinen Rausch mit einem noch gemeineren schließen zu helfen, – wo die einschlafende Begier von deinen eigenen Lippen so viel Feuer borgt, als sie braucht, um an deinem Heiligsten den Mord zu vollziehen, – wo deine Sinne selbst, wie betrunken gemachte Sklaven, die ihren Herrn nicht mehr kennen, gegen dich aufstehen, – wo du anfängst, dein ganzes voriges Leben, all dein Denken und Empfinden, für eine bloße hochmütige Träumerei zu halten, und deine Schande für dein wahres Sein!

MIRZA. Wohl mir, daß ich nicht schön bin!

JUDITH. Das übersah ich, als ich hieher kam. Aber, wie sichtbar[65] trat es mir entgegen, als ich Sie zeigt auf die Kammer. dort einging, als mein erster Blick auf das bereitete Lager fiel. Auf die Kniee warf ich mich nieder vor dem Gräßlichen und stöhnte: verschone mich! Hätte er auf den Angstschrei meiner Seele gehört, nimmer, nimmer würd ich ihn – – doch, seine Antwort war, daß er mir das Brusttuch abriß und meine Brüste pries. In die Lippen biß ich ihn, als er mich küßte. »Mäßige deine Glut! Du gehst zu weit!« hohnlachte er und – o, mein Bewußtsein wollte mich verlassen, ich war nur noch ein Krampf, da blinkte mir was Glänzendes ins Auge. Es war sein Schwert. An dies Schwert klammerten sich meine schwindelnden Gedanken an, und hab ich in meiner Entwürdigung das Recht des Daseins eingebüßt: mit diesem Schwert will ichs mir wieder erkämpfen! Bete für mich! jetzt tu ichs!


Sie stürzt in die Kammer und langt das Schwert herunter.


MIRZA auf den Knieen. Weck ihn auf, Gott!

JUDITH sinkt in die Kniee. O Mirza, was betest du?

MIRZA erhebt sich wieder. Gott sei gelobt, sie kanns nicht!

JUDITH. Nicht wahr, Mirza, der Schlaf ist Gott selbst, der die müden Menschen umarmt; wer schläft, muß sicher sein! Sie erhebt sich und betrachtet Holofernes. Und er schläft ruhig, er ahnt nicht, daß der Mord sein eignes Schwert wider ihn zückt. Er schläft ruhig – ha, feiges Weib, was dich empören sollte, macht dich mitleidig? Dieser ruhige Schlaf nach einer solchen Stunde, ist er nicht der ärgste Frevel? Bin ich denn ein Wurm, daß man mich zertreten und als ob nichts geschehen wäre, ruhig einschlafen darf? Ich bin kein Wurm. Sie zieht das Schwert aus der Scheide. Er lächelt. Ich kenn es, dies Höllenlächeln; so lächelte er, als er mich zu sich niederzog, als er – – Töt ihn, Judith, er entehrt dich zum zweiten Mal in seinem Traum, sein Schlaf ist nichts, als ein hündisches Wiederkäuen deiner Schmach. Er regt sich. Willst du zögern, bis die wieder hungrige Begier ihn weckt, bis er dich abermals ergreift und –


Sie haut des Holofernes Haupt herunter.


Siehst du, Mirza, da liegt sein Haupt! Ha, Holofernes, achtest du mich jetzt?

MIRZA wird ohnmächtig. Halte mich!

JUDITH von Schauern geschüttelt. Sie wird ohnmächtig – ist denn[66] meine Tat ein Greuel, daß sie dieser hier das Blut in den Adern erstarren macht und sie wie tot danieder wirft? Heftig. Wach auf aus deiner Ohnmacht, Törin, deine Ohnmacht klagt mich an, und das duld ich nicht!

MIRZA erwachend. Wirf doch ein Tuch darüber!

JUDITH. Sei stark, Mirza, ich flehe dich, sei stark! Jeder deiner Schauer kostet mich einen Teil meiner selbst; dies dein Zurückschwindeln, dies grausame Abwenden deiner Blicke, dies Erblassen deines Gesichts könnte mir einreden, ich habe das Unmenschliche getan und dann müßt ich ja mich selbst ...


Sie greift nach dem Schwert.


MIRZA wirft sich ihr an die Brust.

JUDITH. Juble, mein Herz, Mirza kann mich noch umarmen! Aber weh mir, sie flüchtet sich wohl nur an meine Brust, weil sie den Toten nicht ansehen kann, weil sie vor der zweiten Ohnmacht zittert. Oder kostet dich die Umarmung die zweite Ohnmacht? Stößt sie von sich.

MIRZA. Du tust mir weh! und dir noch mehr!

JUDITH faßt ihre Hand, sanft. Nicht wahr, Mirza, wenns ein Greuel wäre, wenn ich wirklich gefrevelt hätte, du würdest mich das ja nicht fühlen lassen; du würdest ja, und wollt ich selbst über mich zu Gericht sitzen und mich verdammen, freundlich zu mir sagen: Du tust dir Unrecht, es war eine Heldentat!

MIRZA schweigt.

JUDITH. Ha! bild dir nur nicht ein, daß ich schon als Bettlerin vor dir stehe, daß ich mich schon verdammt habe, und von dir die Begnadigung erwarte. Es ist eine Heldentat, denn jener war Holofernes, und ich-ich bin ein Ding, wie du! Es ist mehr, als eine Heldentat; ich mögte den Helden sehen, den seine größte Tat nur halb so viel gekostet hat, wie mich die meinige.

MIRZA. Du sprachst von Rache. Eins muß ich dich fragen. Warum kamst du im Glanz deiner Schönheit in dies Heidenlager? Hättest du es nie betreten, du hättest nichts zu rächen gehabt!

JUDITH. Warum ich kam? Das Elend meines Volks peitschte mich hierher, die dräuende Hungersnot, der Gedanke an jene Mutter, die sich ihren Puls aufriß, um ihr verschmachtendes Kind zu tränken. O, nun bin ich wieder mit mir ausgesöhnt. Dies alles hatt ich über mich selbst vergessen![67]

MIRZA. Du hattest es vergessen. Das also wars nicht, was dich trieb, als du deine Hand in Blut tauchtest!

JUDITH langsam, vernichtet. Nein, – nein, – du hast recht, – das wars nicht, – nichts trieb mich, als der Gedanke an mich selbst. O, hier ist ein Wirbel! Mein Volk ist erlöst, doch wenn ein Stein den Holofernes zerschmettert hätte – es wäre dem Stein mehr Dank schuldig, als jetzt mir! Dank? Wer will den? Aber jetzt muß ich meine Tat allem tragen, und sie zermalmt mich!

MIRZA. Holofernes hat dich umarmt. Wenn du ihm einen Sohn gebierst: was willst du antworten, wenn er dich nach seinem Vater fragt?

JUDITH. O, Mirza, ich muß sterben, und ich wills. Ha! ich will durch das schlafende Lager eilen, ich will das Haupt des Holofernes emporheben, ich will meinen Mord ausschreien, daß Tausende aufstehen und mich in Stücke zerreißen! Will fort.

MIRZA ruhig. Dann zerreißen sie auch mich.

JUDITH bleibt stehen. Was soll ich tun? Mein Hirn löst sich in Rauch auf, mein Herz ist wie eine Todeswunde. Und doch kann ich nichts denken, als mich selbst. Wär das doch anders! Ich fühl mich, wie ein Auge, das nach innen gerichtet ist. Und wie ich mich so scharf betrachte, werd ich kleiner, immer kleiner, noch kleiner, ich muß aufhören, sonst verschwind ich ganz ins Nichts.

MIRZA aufhorchend. Gott, man kommt!

JUDITH verwirrt. Ruhig! Ruhig! Es kann niemand kommen! Ich hab die Welt ins Herz gestochen, Lachend. und ich traf sie gut! Sie soll wohl stehen bleiben! Was Gott nur dazu sagt, wenn er morgen früh herunterschaut und sieht, daß die Sonne nicht mehr gehen kann und daß die Sterne lahm geworden sind. Ob er mich strafen wird? O nein, ich bin ja die einzige, die noch lebt; wo käme wieder Leben her? wie könnt er mich töten?

MIRZA. Judith!

JUDITH. Au, mein Name tut mir weh!

MIRZA. Judith!

JUDITH unwillig. Laß mich schlafen! Träume sind Träume! Ists nicht lächerlich? Ich könnte jetzt weinen! Hätt ich nur einen, der mir sagte, warum.

MIRZA. Es ist aus mit ihr! Judith, du bist ein Kind![68]

JUDITH. Ja wohl, Gott Lob. Denk dir nur, das wußt ich nicht mehr, ich hatte mich ordentlich in die Vernunft hineingespielt, wie in einen Kerker, und es war hinter mir zugefallen, schrecklich, fest, wie eine eherne Tür. Lachend. Nicht wahr, ich bin morgen noch nicht alt, und übermorgen auch noch nicht! Komm, wir wollen wieder spielen, aber was Besseres. Eben war ich ein böses Weib, das einen umgebracht hatte! Hu! Sag mir, was ich nun sein soll!

MIRZA abgewandt. Gott! Sie wird wahnsinnig.

JUDITH. Sag mir, was ich sein soll! Schnell! Schnell! Sonst werd ich wieder, was ich war.

MIRZA deutet auf Holofernes. Sieh!

JUDITH. Meinst du, daß ichs nicht mehr weiß? O doch! doch! Ich bettle ja bloß um den Wahnsinn, aber es dämmert nur hin und wieder ein wenig in mir, finster wirds nicht. In meinem Kopf sind tausend Maulwurfslöcher, doch sie sind alle für meinen großen, dicken Verstand zu klein, er sucht umsonst, hineinzukriechen.

MIRZA in höchster Angst. Der Morgen ist nicht mehr fern; sie martern mich und dich zu Tode, wenn sie uns hier finden; sie reißen uns Glied nach Glied ab.

JUDITH. Glaubst du wirklich, daß man sterben kann? Ich weiß wohl, daß alle das glauben und daß mans glauben soll. Sonst glaubt ichs auch, jetzt scheint mir der Tod ein Unding, eine Unmöglichkeit. Sterben! Ha! Was jetzt in mir nagt, wird ewig nagen, das ist nicht, wie Zahnweh oder ein Fieber, es ist schon eins mit mir selbst, und es reicht aus für immer. O, man lernt was im Schmerz. Sie deutet auf Holofernes. Auch der ist nicht tot! Wer weiß, ob nicht er es ist, der mir dies alles sagt, ob er sich nicht dadurch an mir rächt, daß er meinen schaudernden Geist mit dem Geheimnis seiner Unsterblichkeit bekannt macht!

MIRZA. Judith, hab Erbarmen und komm!

JUDITH. Ja, ja, ich bitte dich, Mirza, sag du mir immer, was ich tun soll, ich hab eine Angst, noch selbst etwas zu tun.

MIRZA. So folge mir.

JUDITH. Ach, du mußt aber das Wichtigste nicht vergessen. Steck den Kopf dort in den Sack, den laß ich hier nicht zurück. Du[69] willst nicht? Dann geh ich keinen Schritt! Mirza tuts mit Schaudern. Sieh, der Kopf ist mein Eigentum, den muß ich mitbringen, damit man mirs in Bethulien glaubt, daß ich- – – weh, weh, man wird mich rühmen und preisen, wenn ichs nun verkünde, und noch einmal wehe, mir ist, als hätt ich auch daran vorher gedacht!

MIRZA will gehen. Jetzt?

JUDITH. Mir wirds hell. Hör, Mirza, ich will sagen, du hasts getan!

MIRZA. Ich?

JUDITH. Ja, Mirza! ich will sagen, mir sei in der Stunde der Entscheidung der Mut abtrünnig geworden, aber über dich sei der Geist des Herrn gekommen und du habest dein Volk von seinem größten Widersacher erlöst. Dann wird man mich verachten, wie ein Werkzeug, das der Herr verworfen hat, und dir wird Preis und Lobgesang in Israel.

MIRZA. Nimmermehr.

JUDITH. O, du hast recht! Es war Feigheit. Ihr Jubelruf, ihr Cymbel-Klang und Paukenschall wird mich zerschmettern, und dann hab ich meinen Lohn. Komm! Beide ab.


Die Stadt Bethulien, wie im dritten Akt. Öffentlicher Platz mit Aussicht auf das Tor. Wachen am Tor. Viel Volk, liegend und stehend, in mannigfaltigen Gruppen. Es wird Morgen.


ZWEI PRIESTER von einer Gruppe Weiber, Mütter usw. umringt.

EIN WEIB. Habt ihr uns betrogen, als ihr sagtet, daß unser Gott allmächtig sei? Ist er, wie ein Mensch, daß er nicht halten kann, was er verspricht?

PRIESTER. Er ist allmächtig. Aber ihr selbst habt ihm die Hände gebunden. Er darf euch nur helfen, wie ihrs verdient.

WEIBER. Wehe, wehe, was wird mit uns geschehn?

PRIESTER. Sehet hinter euch, dann wisset ihr, was vor euch steht!

EINE MUTTER. Kann eine Mutter sich so versündigen, daß ihr unschuldiges Kind verdursten muß? Hält ihr Kind empor.

PRIESTER. Die Rache hat keine Grenzen, denn die Sünde hat keine.

MUTTER. Ich sage dir, Priester, eine Mutter kann sich nicht so versündigen! In ihrem Schoß mag der Herr, wenn er zürnt, ihr[70] Kind noch ersticken; ists geboren, so solls leben. Darum gebären wir, daß wir unser Selbst doppelt haben, daß wirs im Kinde, wo es uns rein und heilig anlacht, lieben können, wenn wirs in uns hassen und verachten müssen.

PRIESTER. Du schmeichelst dir! Gott läßt dich gebären, damit er dich in deinem Fleisch und Blut züchtigen, dich noch übers Grab hinaus verfolgen kann!

DER ZWEITE PRIESTER zum ersten. Gibts nicht schon genug Verzweifelte in der Stadt?

ERSTER PRIESTER. Willst du müßig sein, da du säen solltest? Treib deine Wurzel, da der Boden locker ist!

MUTTER. Mein Kind soll nicht für mich leiden. Nimms hin! ich will mich in meine Kammer verschließen und mich auf all meine Sünden besinnen und mir für jede eine zweifache Marter antun; ich will mich peinigen, bis ich sterbe, oder bis Gott selbst vom Himmel herunter ruft: hör auf!

ZWEITER PRIESTER. Behalt dein Kind und pflegs. Das will der Herr, dein Gott!

DIE MUTTER drückt es an die Brust. Ja, ich will es so lange ansehen, bis es bleich wird, bis sein Wimmern in sich selbst erstickt und sein Atem stockt; ich will keinen Blick von ihm verwenden, sogar dann nicht, wenn die Qual sein Kindesauge vor der Zeit klug macht und es mich, wie ein Abgrund von Elend daraus anschauert. Ich wills tun, um zu büßen, wie keine. Aber wenn es nun noch klüger wird und nach oben blickt und die Hände ballt?

ERSTER PRIESTER. Dann sollst du sie falten! Und sollst mit Schaudern erkennen, daß auch ein Kind sich gegen Gott empören kann.

DIE MUTTER. Moses' Stab schlug an den Felsen und ein kühler Quell sprang hervor. Das war ein Fels! Schlägt sich an die Brust. Verfluchte Brust, was bist du? Von innen drängt die glühendste Liebe; von außen pressen dich heiße, unschuldige Lippen, doch gibst du keinen Tropfen! Tus! tus! Saug mir jede Ader aus und gib dem Wurm noch einmal zu trinken!

ZWEITER PRIESTER zum ersten. Rührts dich nicht?

ERSTER PRIESTER. Ja. Aber ich sehe in der Rührung immer nur eine Versuchung zur Untreue an mir selbst und unterdrücke[71] sie. Bei dir löst sich der Mann in Wasser auf, du kannst ihn im Schnupftuch auffangen, oder ein Veilchen damit erquicken.

ZWEITER PRIESTER. Tränen, von denen man selbst nichts weiß, sind erlaubt.

EIN ANDERES WEIB auf die Mutter deutend. Hast du keinen Trost für die?

ERSTER PRIESTER kalt. Nein!

DAS WEIB. Dann sitzt dein Gott nirgends, als auf deinen Lippen!

ERSTER PRIESTER. Dies Wort allein verdient, daß Bethulien dem Holofernes in die Hände fällt. Dir auf die Seele wälz ich den Untergang der Stadt. Du fragst, warum die leidet! weil du ihre Schwester bist! Gehen vorüber.

ZWEI BÜRGER die den Auftritt ansahen, treten hervor.

ERSTER. Durch mein eigenes Leid hindurch fühl ich dieses Weibes Leid. O, es ist entsetzlich!

ZWEITER. Es ist das Entsetzlichste noch nicht! Das tritt erst dann ein, wenn es dieser Mutter einfällt, daß sie ihr Kind essen kann! Er schlägt sich vor die Stirn. Ich fürchte, meinem Weibe ist das schon eingefallen.

ERSTER. Du rasest!

ZWEITER. Um sie nicht totschlagen zu müssen, bin ich aus dem Hause geflohen. Lüg nicht! Ich rannte fort, weil michs schauderte vor der unmenschlichen Speise, nach der sie lüstern schien, und weil ich mich doch fürchtete, daß ich mitessen könnte. Unser Söhnlein lag im Verscheiden; sie, in ungeheurem Jammer, war zu Boden gestürzt. Auf einmal erhob sie sich und sagte, leise, leise: »Ists denn ein Unglück, daß der Knabe stirbt?« Dann beugte sie sich zu ihm nieder und murmelte, wie unwillig: »Noch ist Leben in ihm!« Mir wards gräßlich klar; sie sah in ihrem Kinde nur noch ein Stück Fleisch.

ERSTER. Ich könnte hingehen, und dein Weib niederstechen, ob sie gleich meine Schwester ist!

ZWEITER. Du kämst zu früh oder zu spät. Wenn sie sich nicht tötete, bevor sie aß, so tat sies gewiß, als sie gegessen hatte.

EIN DRITTER BÜRGER tritt hinzu. Vielleicht kommt uns noch Rettung. Heut ist der Tag, an welchem Judith wiederkehren wollte!

ZWEITER. Jetzt noch Rettung? Jetzt noch? Gott! Gott! Ich widerrufe[72] alle meine Gebete! Daß du sie erhören könntest, nun es zu spät ist, das ist ein Gedanke, den ich noch nicht dachte, den ich nicht ertrage. Ich will dich rühmen und preisen, wenn du deine Unendlichkeit auch am wachsenden Elend dartun, wenn du meinen starrenden Geist über sein Maß hinaus treiben, wenn du einen Greuel vor mein Auge stellen kannst, der mich die Greuel, die ich schon erblickte, vergessen und verlachen macht. Aber ich werde dich verfluchen, wenn du nun noch zwischen mich und mein Grab trittst, wenn ich Weib und Kind begraben, und sie mit Erde, statt mit dem Lehm und Moder meines eigenen Leibes, bedecken muß! Gehen vorüber.

MIRZA vor dem Tor. Macht auf, macht auf!

WACHEN. Wer da?

MIRZA. Judith ists. Judith mit dem Kopf des Holofernes.

WACHEN rufen in die Stadt hinein, während sie öffnen. Hallo! Hallo! Judith ist wieder da!


Volk versammelt sich. Älteste und Priester kommen. Judith und Mirza treten ins Tor.


MIRZA wirft den Kopf hin. Kennt ihr den?

VOLK. Wir kennen ihn nicht!

ACHIOR tritt herzu und fällt auf die Kniee. Groß bist du, Gott Israels, und es ist kein Gott, außer dir! Er steht auf. Das ist des Holofernes Haupt! Er faßt die Hand der Judith. Und dies ist die Hand, in die er gegeben ward? Weib, mir schwindelt, wenn ich dich ansehe!

DIE ÄLTESTEN. Judith hat ihr Volk befreit! ihr Name werde gepriesen!

VOLK sammelt sich um Judith. Judith Heil!

JUDITH. Ja, ich habe den ersten und letzten Mann der Erde getötet, damit du Zu dem einen. in Frieden deine Schafe weiden, du Zu einem zweiten. deinen Kohl pflanzen und du Zu einem dritten. dein Handwerk treiben und Kinder, die dir gleichen, zeugen kannst!

STIMMEN IM VOLK. Auf! Hinaus ins Lager! Jetzt sind sie ohne Herrn!

ACHIOR. Wartet noch! Noch wissen sie nicht, was in der Nacht geschah! Wartet, bis sie uns selbst das Zeichen zum Angriff[73] geben! Wenn ihr Geschrei erschallt, dann wollen wir unter sie fahren!

JUDITH. Ihr seid mir Dank schuldig, Dank, den ihr mir nicht durch die Erstlinge eurer Herden und eurer Gärten abtragen könnt! Mich triebs, die Tat zu tun; an euch ists, sie zu rechtfertigen! Werdet heilig und rein, dann kann ich sie verantworten!


Man hört ein wildes, verworrenes Geschrei.


ACHIOR. Horcht, nun ists Zeit!

EIN PRIESTER deutet auf den Kopf. Steckt den auf einen Spieß und tragt ihn voran!

JUDITH tritt vor den Kopf. Dies Haupt soll sogleich begraben werden!

WACHEN rufen von der Mauer herunter. Die Wächter am Brunnen fliehen in wilder Unordnung. Einer der Hauptleute tritt ihnen in den Weg – sie zücken das Schwert gegen ihn. Einer der Unsrigen kommt ihnen entgegen gerannt. Es ist Ephraim. Sie sehen ihn gar nicht.

EPHRAIM vorm Tor. Öffnet, öffnet!


Das Tor wird geöffnet. Ephraim stürzt herein. Das Tor bleibt offen. Man sieht vorüberfliehende Assyrer.


EPHRAIM. Spießen, auf dem Rost braten hätten sie mich können. All dem bin ich entgangen. Nun Holofernes kopflos ist, sind sies alle. Kommt, kommt! Ein Narr, der sich noch fürchtet!

ACHIOR. Auf, auf!


Sie stürmen aus dem Tor; man hört Stimmen rufen: im Namen Judiths!


JUDITH wendet sich mit Ekel. Das ist Schlächter- Mut!


Priester und Älteste schließen um sie einen Kreis.


EINER DER ÄLTESTEN. Du hast die Namen der Helden ausgelöscht und den deinigen an ihre Stelle gesetzt!

DER ERSTE PRIESTER. Du hast dich um Volk und Kirche hoch verdient gemacht. Nicht mehr auf die dunkle Vergangenheit, auf dich darf ich von jetzt an deuten, wenn ich zeigen will, wie groß der Herr, unser Gott ist!

PRIESTER UND ÄLTESTE. Fordre deinen Lohn!

JUDITH. Spottet ihr mein? Zu den Ältesten. Wenns nicht heilige Pflicht war, wenn ichs lassen durfte, ists dann nicht Hochmut[74] und Frevel? Zu den Priestern. Wenn das Opfer verröchelnd am Altar niederstürzt, quält ihrs mit der Frage, welchen Preis es auf sein Blut und Leben setzt? Nach einer Pause, wie von einem plötzlichen Gedanken erfaßt. Und doch, ich fordre meinen Lohn! Gelobt mir zuvor, daß ihr ihn nicht weigern wollt!

ÄLTESTE UND PRIESTER. Wir gelobens! Im Namen von ganz Israel!

JUDITH. So sollt ihr mich töten, wenn ichs begehre!

ALLE entsetzt. Dich töten?

JUDITH. Ja, und ich hab euer Wort.

ALLE schaudernd. Du hast unser Wort!

MIRZA ergreift Judith beim Arm und führt sie vorwärts, aus dem Kreis heraus. Judith! Judith!

JUDITH. Ich will dem Holofernes keinen Sohn gebären! Bete zu Gott, daß mein Schoß unfruchtbar sei. Vielleicht ist er mir gnädig!


Ende.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 54-75.
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