Dritte Szene


[93] Drago tritt ein.


DRAGO.

Verzeiht mir, daß ich komme, edle Frau,

Ich bringe Euch den letzten Gruß des Herrn.

GENOVEVA.

So bist du mir von jetzt der Werteste!

DRAGO.

Ich schlich mich früh am Morgen aus der Burg,

Ging eine Viertelstund und harrte sein,

Am Wege, hinter ein Gebüsch versteckt.

Und als er nun daher gezogen kam,

Der letzte, all die andern weit voraus,

Da trat ich vor und sprach: Vieledler Graf,

Habt Ihr an Genoveva noch ein Wort?

Vielleicht vergaßt Ihr etwas; tragt mirs auf,

Damit ich es bestellte, kam ich her.

Er sprang vom Roß, und hätt ich nicht gewehrt,

Er hätte mich geküßt, mein schlechter Mund

War ihm durch Euren Namen wie geweiht.

Nun rief er: Sag ihr, sag ihr – was du siehst,

Und wandte sich, und schwang sich auf sein Roß;

Ich aber sah die große Träne wohl,

Die sich verschämt aus seinem Auge schlich.

Dann sprach er: Sag ihr dieses noch einmal:

Sie soll in allem Golo sich vertraun!

Er führt an meiner Statt das Regiment,

Denk ich an ihn, so wird mir leicht ums Herz.

Nun trocknet er sein Aug und sprengte fort.

GOLO.

Er sprach: Dächt er an mich, so würd ihm leicht,

Und trocknete sein Aug und sprengte fort?

DRAGO.

Er tats!

GENOVEVA.

Schon gestern abend sprach er so,

Auch weiß ich es ja längst, wie Ihr ihn liebt,

Und wer in liebt, den lieb auch ich!

GOLO will abgehen.

Verzeiht!

GENOVEVA.

Ist Euch nicht wohl?

GOLO.

Recht wohl.


Für sich.


Ich will nur sehn,[93]

Ob nicht das Tor der Hölle offen steht.


Laut.


Es haust da drüben, in und an dem Turm,

Verwünscht und häßlich, eine Dohlenbrut,

Durch Teufelsfarbe und Gestalt den Tag

Entweihend, durch Gekrächz die stille Nacht.

Längst hat der Graf das finstre Volk verflucht,

Doch hoffte er, daß wohl einmal der Sturm

Herunterfegen würde Nest für Nest.

Seit gestern siedeln sich auch Eulen an,

Es wird 'ne Wirtschaft, wie Beelzebubs,

Wenn man bei Zeiten nicht zu steuern sucht.

Der Sturm, so ernstlich ers auch meint, vermag

Nichts dran zu tun, drum muß ein Mensch hinauf.

Heut ist der Tag dazu, heut führ ichs aus.

Wenn Eur Gemahl zu Hause kommt, so muß

Doch ihm zu Liebe was geschehen sein.

DRAGO.

Herr Golo, wer den Schwindelrand des Turms

Umwandeln will, der bricht gewiß den Hals!

GOLO.

Das denk ich auch! Ei, Narr, das denk ich nicht!

Und wer es tut, verdient kein beßres Los,

Warum denn hat ers Klettern nicht erlernt?

DRAGO.

Nur einer hats bis diesen Tag versucht;

Noch sieht man an dem bröckelnden Gestein

Sein Blut, das seit Jahrhunderten der Wut

Des Wetters trotzt, weil es uns warnen soll.

Ihr kennt die Sage, daß ein grausam Weib

Einst einen Freier, der ihr lästig war,

Die Höh erklimmen hieß, um dort für sie –

Ich weiß nicht was, zu tun. Den Knaben zeigt

Man früh den Ort, wo er zerschmettert sank,

Damit ihr Übermut sich zeitig bricht.

GOLO.

Mein Freund, man hat auch mir den Ort gezeigt;

Doch jener Ungeschickte, der den Turm

Verrufen machte, soll im Grabe heut

Erröten!


Will abgehen.


DRAGO.

Gnädge Frau, erlaubt es nicht!

GENOVEVA.

Ihr werdet das nicht tun![94]

GOLO.

Ich muß! Ich muß!

O Heilige, halt du mich nur nicht ab!

Bloß deinetwegen solls geschehn!


Sich fassend.


Das heißt:

Dein holdes Auge soll nicht länger mehr

Beleidigt werden durch das Nachtgezücht;

Nein, weiße Tauben, morgenrot-beglänzt,

Sie sollen niederschaun vom Turm auf dich,

Wenn in der Früh du zur Kapelle gehst,

Um für uns alle, die wir sündigten,

Durch dein Gebet dem Herrn genug zu tun!

GENOVEVA.

Wenn Ihr nicht ablaßt – nie verzeih ichs Euch!

GOLO für sich.

Das heißt: sie will das Beste, was ich tat,

Das Beste, was ich tun kann, nie verzeihn!


Zu ihr.


Es ist gar nichts. Bedenkt: dem Drago hier

Ist alles Wunder, was er selbst nicht kann!

Lebt wohl!


Im Abgehen.


Du aber, Gott, beschirm mich nicht!

Ich fürcht mich selbst, drum wend ich mich an dich!

Brech ich nicht Hals und Bein zu dieser Stund,

So leg ichs aus: ich soll ein Schurke sein.


Er geht schnell ab. Drago folgt ihm. Genoveva eilt mit einer Gebärde der Angst auf das Fenster zu, durch das man auf den Turm sieht.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 93-95.
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