Erste Szene


[148] Halle im Schloß, wie im zweiten Akt.


KATHARINA tritt auf.

Er ging zum Turm! Es ist das erste Mal!

Wie wirds ihm sein, wenn er sie wieder sieht!

GOLO kommt von der andern Seite.

Weib! Ist sie tot?

KATHARINA.

Tot?

GOLO.

War es ihr Gespenst,

Das ich erblickte, oder war sies selbst?

KATHARINA.

Mich überläufts. Sie wird doch nicht – – Du machst

Mir Angst – –

GOLO.

Ich spähte durch den Mauerspalt

Hinein. O! O! So stand sie!


Mit einer Pantomime.


Übers Kind

Gebeugt, ein Geist, der eine letzte Pflicht

Erfüllen mögte und nicht kann; die Brust

Dem stummen Bettler reichend, der sie nicht

Ergriff, weil sie verwelkt und trocken war;

Doch sie nicht weichend, starr und regungslos

Verharrend, nicht einmal den Augenstern

Bewegend, wie versteinert durch den Blick

Des abgezehrten Säuglings, und ihn selbst

Versteinernd durch den ihrigen – – ich hielts

Nicht aus, sie anzusehn, ich wandte scheu

Das Auge ab, statt ihrer sah ich nun

Ein schlechtes Brot und einen Wasserkrug

Und in der Ecke eine Schütte Stroh.

KATHARINA.

Tratst du nicht ein?

GOLO.

Du meinst, um ihr den Kopf

Herabzuhaun und ihrer Qual das Ziel

Zu setzen? Nein! Ich stürzte schaudernd fort.

So mag der Mörder, der den letzten Blick

Aufs blutge Opfer warf, von dannen fliehn;[148]

Er denkt nicht mehr ans Plündern und vergißt

Des Mordes Zweck, nun er den Mord vollbracht.

KATHARINA.

Du selbst befahlst das alles. Hör mich an.

Des Abends spät warfst du sie in den Turm,

Am nächsten Morgen stieg ich, in der Hand

Den Becher Wein, den ich für sie gezapft,

Zu ihr hinab. Als ich der ehrnen Tür,

Die in die Tiefe führt, mich näherte,

Flog sie mit Krachen auf, du tratst heraus,

Dein Antlitz glühte, schrecklich war dein Blick,

Und düstre Schauer des Entsetzlichsten

Durchzuckten eiskalt mir Gehirn und Brust.

»Was soll das noch?« So riefst du, mir den Wein

Entreißend und den Becher an der Wand

Zerschmetternd. »Brot und Wasser ziemt sich hier,

Dazu ein Bett von Stroh und weiter nichts.«

Ich sah dich an. »Du zweifelst? – riefst du dann –

Sie selbst hats mir gesagt, nun glaubst dus doch?

Drum bring ihr Brot und Wasser, bring ihr Stroh,

Und bei dem Teufel, der den Meineid rächt,

Dem, der ihr mehr gibt, geb ich weniger!«

GOLO.

Ich weiß. Du aber weißt nicht, was im Turm

Vorher geschah. Vernimm es jetzt. Ein Traum

Hatt mir in jener Nacht mein Innerstes

Enthüllt, wie wohl ein Licht, ins Schlangennest

Gestellt, den grausen Würmerknäul erhellt.

O, welch ein Traum! Mir war, als säh ich sie

Mit aufgeschnittnen Adern vor mir stehn,

Bleich, totenbleich; ich hatt ihr das getan,

Dieweil sie schlief, sie aber wußt es nicht;

Aus allen Adern blutete ich selbst,

Denn mir, wie ihr, riß ich sie auf; sie sah

Nur meine Wunden, ihre nur sah ich,

Mitleidig trat sie auf mich zu und schloß

Die Ader, die am stärksten sprudelte,

Mir mit der Hand, ich drückte meinen Mund

Auf ihren aufgeschlitzten Puls, den Strom

Des Lebens rückwärts drängend in sein Bett.[149]

Doch, für uns beide wars zu spät, sie sank,

Ich sank mit ihr, und sah ihr ins Gesicht

Und sparte meinen letzten Odemzug,

Bis sie den letzten Odemzug getan.

KATHARINA.

Ha! Fürchterlich! Mir ist, als säh ich das!

GOLO.

Nun waren Haß und Liebe ausgesöhnt,

Der Haß fand in der Wunde, die er schlug,

Sein süßes Grab, die Liebe, die umsonst

Zu heilen suchte, was unheilbar war,

Verging in Tränen, und ein höheres

Gefühl, das alle beide lind vereint,

Ein uranfänglich-allumfassendes,

Zog, wie auf Wogen, tief und tiefer mich

Hinunter in die Nacht, wo man vergißt.

So war mein Traum. Mit Wollust hatt ich ihn,

Mit schaudriger Befriedigung, geträumt,

Doch namenlose Angst erfaßte mich,

Als ich erwachte und das düstre Bild

Beleuchtet sah von des Bewußtseins Strahl.

Mir war, als würd ich dies tun, wenn ich schnell

Nicht etwas andres täte. Ich sprang auf

Und eilte in den Turm. »Sie soll von ihm –

Rief ich zu mir, – sich trennen, wie von mir,

Damit sie keinem angehört, als Gott!«

Ich trat vor sie. Sie wich entsetzt zurück,

Als wär ich, was ich damals nicht mehr war,

Was ich erst wieder ward, als ich sie so

Mit stiller Angst vor mir entweichen sah.

Ich stand und schwieg, die Furcht, die sie verriet,

Die ausgestreckte Hand, erfüllte mich

Mit dumpfem Grimm, doch ihre Schönheit drang,

Wie Licht, in meine tiefste Seele ein.

Und sie war schön, wie nie. Nur kaum vom Schlaf

Erwacht, erst halb bekleidet, drängte sich

Jedweder Reiz, den unter ernster Tracht

Sie sonst gefangen hielt, mutwillig vor.

Sie war der Juwelier, dem eben jetzt

Das Kästchen, drin er Gold und Edelstein[150]

Vor fremder Blicke Neid verwahrt, zerbrach,

Und ich der Räuber, der ihn überrascht.

Sie wandte ihr Gesicht, da sagte ich:

»Mißfällts dir, daß du mir gefällst? Was gibst

Du für ein Mittel, das dich häßlich macht?«

»O nenn es!« rief sie. »Rede mir von ihm!«

Versetzt ich spöttisch. »Siegfried, reite schnell!«

Rief sie, als säh sie ihn. Ich sah ihn auch,

Gemächlich schreitend, und den Stern der Welt

Ans Knopfloch heftend, wie'n Vergißmeinnicht.

Ich knirschte, und nicht ruhig-ernst, wie ichs

Beschlossen, als ich ging, nein, rasend, wild,

Beschwor ich sie, durch einen teuren Eid

Von ihm sich abzuscheiden, wie von mir.

Sie kehrte sich entrüstet ab. Ich sprach:

»Gleichviel! Wenn dus nicht tust, so tut ers selbst,

Denn Drago steht schon zwischen dir und ihm!«

»Du wagst es?« rief sie – doch, dann hielt sie ein

Und schien zu sinnen, nun mit einem Blick

Voll stolzen Mitleids sah sie auf zu mir

Und sprach halblaut: »Es gibt nur einen Mann,

Der mir vertrauen muß, den einen nur

Ließ ich hinab in meine Seele schaun!«

Doch dann, als ob sie das Gefühl der Schmach

Jetzt übermannte, trat sie vor mich hin,

Erhob die Hand und rief erglühend aus:

»Auf deine Knie! Noch kann ich dir verzeihn!

Du säumst, als ob dich nicht dein Innerstes

Der Lüge ziehe? O, dann zeig es kühn

Mir durch die Tat, daß du mich schuldig glaubst.

Bin ich ein schändlich-ehebrechrisch Weib,

Wie ziemte mir ein Bett und Frucht und Wein?

Kaum Brot und Wasser, kaum ein Bündel Stroh!«

Nicht Hochmut wars, nicht Trotz, der aus ihr sprach,

Nur das Vertraun, das Menschliche in mir

Zu wecken, nur kindliche Zuversicht,

Ich würde, vor des Frevels Äußerstem

Erzitternd, ihn bereun. Ich aber sprach:[151]

»Das kann geschehn, und wenn dus müde bist,

So laß mirs sagen, durch den ersten Kuß

Kaufst du von Schmach und Not dich wieder los!«

Dann – doch, du sahst, wie ich den Turm verließ!

KATHARINA.

Ich sah dich, ich vernahm dein hartes Wort

Und widersprach dir nicht. Bald hört ich dich

Von dannen sprengen in den Wald hinein.

Nun füllt ich einen anderen Pokal

Und bracht ihr den. Ich war nur kaum zurück,

Da kam ein trauervoller Zug ins Tor:

Vier Knechte trugen einen Sterbenden,

Verhüllt, auf einer Bahre, in die Burg.

»Wer ist es?« fragt ich. »Golo!« sprach der Hans

Dumpf und gedämpft. »Tot?« »Noch nicht, aber gleich!«

GOLO.

Als ich ins Freie kam, als mich die Luft

Umspielte, als die ewge Sonne mir

Ins Auge schien, von Laub und Blumen mir

Der Tau entgegen glänzte, alles rein

Und keusch und heilig schön, da preßte ich

Die Lippen zu, als wollte ich der Luft

Den Eingang wehren in die heiße Brust,

Nach Gottes Sonne hätt ich einen Pfeil

Verschießen mögen, und ins grüne Laub

Hieb ich hinein, als säh ich einen Feind.

Blut mußt ich sehn, ein Hirsch kam vor mir auf,

Ich hinterdrein, mir war, als jagt ich sie,

Ich warf den Spieß nach ihm und traf ihn gut,

Im Grimm des Schmerzes wandte sich das Tier

Und stellte sich, ich sprang vom Roß herab,

Da strauchelt ich, der Hirsch drang auf mich ein,

Hei, Kühlung! rief ich –

KATHARINA.

Ja, und breitetest

Die Arme, als das spitzige Geweih

Den Leib dir aufriß, wie umschlingend, aus

Und fielst dem Ungetüm, wie um den Hals.

Hans sahs und riß dich los.

GOLO.

Ich danks ihm nicht.

KATHARINA.

Doch ich. »O, würde ihr der Wein zu Gift!«[152]

Rief ich, als ich in deinem Blut dich sah,

Als ich vom Hans erfuhr, was du getan.

Margretha kam herbei, sie schüttelte

Den Kopf, verband dich, seufzte still und schwieg.

Ist Hoffnung? fragt ich. »Wenn auch – sagte sie –

Was hilfts? Die Kunst ist groß! Solange er

Bewußtlos liegt, wie jetzt, verbürge ich

Mich für sein Leben, doch wenn er erwacht,

Erwacht sein Liebesgram mit ihm und schleift

Dem Tod die Sense. Hätt das Weib ein Herz,

So – – doch, sie hat ja keins!« »Wir wollen sehn!«

Rief ich und eilte fort, zum Turm hinab,

Auf deinen bleichen, zugekrampften Mund

Das Auge richtend, in verbißnem Grimm

Der letzten Worte denkend, die er sprach,

Und schwörend, sie aufs treuste zu vollziehn.

Auf meinen Knieen sank ich vor ihr hin

Und flehte laut: Die Feder regt sich nicht

Auf Golos Lippen, die den Odem prüft,

Und seine Finger zupfen schon am Bett.

So sagt denn, ruf ich jetzt ihm noch ins Ohr,

Daß ihr ihn lieben, ihm gewähren wollt?

Ihn zu erretten, kommt das Wort zu spät,

Doch einmal lächeln, denk ich, wird er noch.

GOLO.

Und sie? Was sprach sie?

KATHARINA.

Was sie sprach? Nicht ja!

Nicht ja! Da ballt ich grimmig meine Faust

Und rief ihr zu: Stirbt er, so stirbst du auch!

Sein Leben soll die Uhr des deinen sein!

Zu Margarethen aber sagte ich:

Sie hat auch dich gekränkt, geh, räch dich jetzt,

Dir stell ich alles heim. – Die triebs so weit,

Daß keine Umkehr möglich ist!


Man hört des Burgwarts Horn.


GOLO.

Das Horn!

KATHARINA.

Mich schüttelts, wenn ichs höre![153]


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 148-154.
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