Dritte Szene


[183] Turm. Genoveva. In einer Nische, in einige Kleider der Mutter gewickelt, das Kind. Ein Wasserkrug.


GENOVEVA.

Kalt! Kalt! Und draußen muß doch Sommer sein!

Für mich ists nicht mehr Zeit, schon Ewigkeit!

Oft war mirs, wenn ich lag in dumpfem Schlaf,

Als hätt ich Tod und Leben, Welt und Grab

Und alles Wandelbare hinter mir,

Als braucht ich nur die Augen aufzutun,

Um das zu schauen, was kein Mensch noch sah.

Dann schrie mein Kind. O Gott!


Sie legt ihren Kopf auf den Tisch. Pause. Die Tür geht auf und Golo tritt ein. Ihm folgt Katharina mit einem Becher Wein, den sie auf den Tisch stellt.


GOLO zu Katharina.

Laß uns allein!

KATHARINA mit angstvollen Gebärden ab.

GENOVEVA bleibt in der vorigen Lage.

GOLO tritt ihr näher.

Schlaft Ihr? Erwacht! Ich komm von Eurem Herrn.

GENOVEVA.

Was bringt Ihr mir?

GOLO.

Ein Richtschwert! Seht!

GENOVEVA entsetzt.

Sein Schwert!


Legt den Kopf auf den Tisch.


GOLO.

Wie dünkt Euch das?

GENOVEVA.

Still![183]

GOLO.

Sprecht.

GENOVEVA.

Ich faß es nicht!

GOLO.

Was denkt Ihr über Dragos Nachtbesuch?

GENOVEVA.

Nichts! Nichts! Was denkt er?

GOLO.

Was ein jeder denkt.

GENOVEVA.

Und jeder –

GOLO.

Denkt, daß Ihr die Ehe bracht!

GENOVEVA.

Er hat mich so gesehn, wie Gott mich sieht.

In dieser Stunde fängt mein Elend an.

GOLO.

In dieser Stunde hört dein Elend auf!

GENOVEVA kniet nieder.

Hier ist mein Hals! Macht schnell! Ich will es nicht

Erleben, daß mein Herz sich von ihm kehrt,

Und ach, ich fühls, daß dies geschehen kann.

GOLO.

Wenn Ihr so mutig seid, daß Ihr den Tod

Erwählt – ich bin zu feig, dies schöne Haupt,

Das mir, wie Sonn und Mond und Sterne war,

Ans Schwert zu liefern. Kommt, und flieht mit mir!

GENOVEVA.

Reiz ich Euch noch? Dann hat die Kerkernacht

Mir selbst den letzten armen Dienst versagt,

Des Leibes Schönheit, die zum Fluch mir ward,

Mir abzustreifen, wie sie sonst doch tut.

O, seht mich an! Ists nicht ein Totenkopf,

Der zu Euch redet? Ein Gerippe nicht,

Das fleischlos-magre Arme grausend hebt?

Mich selber müßt ich hassen, wärs nicht so.

Oft schrie mein Kind nach Nahrung, und umsonst,

Wie? Hätt auch nur ein einzger Tropfen Bluts

Bei diesem Schrei gezögert, in die Brust

Sich zu ergießen? Den verfluchte ich!

GOLO.

Fieht! Flieht!

GENOVEVA sieht scheu zu dem Kinde hinüber.

Heut ists so still! so gräßlich still!

Es schlief sich doch nicht in den ewgen Schlaf?

O Gott! Sieh eine Mutter gnädig an!

Sie bittet nicht um viel! Sie bittet nur

Um einen Schrei noch aus des Kindes Mund,

Um einen Schrei, der, wenn er auch ihr Herz[184]

Zerreißt, ihr doch den Trost gibt, daß es lebt.

Wer bat um weniger! Erhör mich, Gott!

GOLO.

Nehmt es und flieht mit mir!

GENOVEVA.

Mit Euch? O, nie!

Wenn mein Gemahl Euch einen Auftrag gab,

So malme ich Euch selbst, ihn zu vollziehn.

Tuts! Aber tuts in diesem Augenblick!

Leb ich nicht mehr, so wird der Säugling hier

Im ersten Menschen, welcher ihn erblickt,

Den Pfleger finden, und der schlechtste wird

Mehr für ihn tun, als seine Mutter kann.

Kommt! Tötet mich! Es ist ein gutes Werk!

Auf meines Kindes Kosten leb ich jetzt,

Und leb ich fort, so werd ichs sterben sehn,

Denn, hülflos, wie ich bin, vertrete ich

Dem fremden Mitleid nur den Weg zu ihm!


Sie tritt zu dem Kinde.


Noch atmets! Einen Kuß nur noch! Nein! Nein!

Es könnt erwachen! Schlaf! Wie wirds ihm sein

Beim ersten Blick in dieses Angesicht!

Es ist sein Abbild! Glich es mir, wie ihm,

Ich hätte es nicht halb so sehr geliebt.


Sie küßt des Kindes Hand.


Zum ewgen Abschied! Segen über dich!

Und daß du nie erfahrest, wie ich starb.

GOLO.

Ich scheid Euch nicht! Das Kind stirbt mit! Er wills!

GENOVEVA wild, faßt Golo bei der Hand.

Schau her und frag dich, ob dus töten kannst!

GOLO.

Der Henker ist ein Mann, der alles kann.

Ich aber bin der Henker nicht.

GENOVEVA fällt ihm zu Füßen.

GOLO.

Die Welt

Ist umgekehrt. Sie kniet. Sie kniet vor mir!

GENOVEVA.

Jetzt kann ich bitten.

GOLO.

Kannst du küssen auch?

GENOVEVA steht auf und verhüllt ihr Angesicht.

GOLO.

Noch einen Pfeil.


Er tritt vor sie hin und zieht den Siegelring ab.[185]


Ist Euch der Ring bekannt?

GENOVEVA nickt.

GOLO.

So wißt Ihr, daß er Gift enthält. Wohlan!


Er öffnet die inwendige Kapsel des Ringes und schüttet das Gift in den Becher; dann nimmt er das gefaltete Blatt aus der Schreibtafel.


Reicht mir den Wein! So geb ich Euch dies Blatt!

GENOVEVA.

Dies Blatt?

GOLO.

Lest!


Er reicht ihr das Blatt.


GENOVEVA.

Meine Augen sind so trüb!

Es ist ein Brief!

GOLO.

An Siegfried, meinen Herrn!

GENOVEVA liest still, gibt aber ihre Überraschung und ihr Entsetzen durch Gebärden zu erkennen.

GENOVEVA nachdem sie gelesen.

Entsetzlich! All dies hättet Ihr getan?

GOLO nimmt den Brief wieder.

Ich sag nicht ja, nicht nein. Glaubt, was Ihr könnt,

Tut, was Ihr müßt. Obs wahr ist, oder nicht,

Euch rettet es. Mich dürstet. Reicht den Wein!

GENOVEVA betend.

Führ mich nicht in Versuchung, Herr, mein Gott!

GOLO für sich.

Man trifft sie, wie man eine Saite trifft!

Die Antwort ist ein wunderbarer Ton!

Durchs Foltern ward sie immer schöner noch,

Vielleicht ist sie am schönsten, wenn sie stirbt.


Man hört pfeifen.


Entscheidet Euch! Die Mörder stehn bereit.

GENOVEVA ergreift den Becher und gießt ihn mit einem Blick auf Golo aus.

GOLO geht auf die Tür zu; mit erhobener Stimme.

Auf solche Taten folgt ein solcher Lohn!

GENOVEVA.

Mensch!

GOLO öffnet die Tür.

Ehrenwerte Männer, tretet ein![186]


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 183-187.
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Samtliche Werke (1, No. 10); Abt. 1.Bd. Dramen I (1841-1847). Judith. Genoveva. Der Diamant
Samtliche Werke (1, No. 9); Abt. 1.Bd. Dramen I (1841-1847). Judith. Genoveva. Der Diamant
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