Vierte Szene

[214] GENOVEVA erscheint am Eingang.

Loben Gott den Herrn!

Ich bin kein Geist!

SCHMERZENREICH ohne sichtbar zu werden.

Mutter, Mutter, geh nicht hinaus!

CASPAR.

Eine Mutter ists! Ein Weib! Ein armes Weib!


Tritt näher.


In dieser Wüstenei!

SIEGFRIED.

Ein Weib? So muß

Ich vor ihr knien, damit sie mir den Kopf

Zertreten kann!

GENOVEVA.

Mein Siegfried, sagt

Dein Herz dir nichts? Dein Auge kann dir wohl

Nichts sagen, doch dein Herz –


Mit ausgebreiteten Armen ihm entgegen.


Ich bin es ja!

SIEGFRIED abwehrend.

Nein! Nein! Und hätt ich schon Äonen lang

Im Schwefelpfuhl gebüßt, was ich verbrach,

Noch immer sagt ich: Nein!

GENOVEVA.

So willst du mich

Nicht halten? Siehst du nicht? Ich fall ja um!


Sie umschließt ihn.


So halt mich doch! – Du Armer hast wohl nicht

Geküßt, seit wir geschieden sind! Das ist

Gar lange Zeit! Dein Weib hat viel geküßt!

Komm, Schmerzenreich! Jetzt teilen wir! Doch nimm

Den letzten Kuß, den ich mir nahm, zurück!


Sie küßt ihn.


O, es wird Ernst!


Sie taumelt.


Halt mich!

SCHMERZENREICH der schüchtern gekommen ist.

Die Mutter stirbt!

Ach Gott! ich kenns! Schon einmal war sie so!

GENOVEVA sich wieder erholend.

Und starb ich da? Vater, dein Sohn!

SIEGFRIED.

Zu viel!

Zu viel!


Er tritt zurück.


Ich nehm nichts an![214]

GENOVEVA.

Du willst dein Kind

Nicht küssen? Sieben Jahre wartets schon

Und noch versagst dus ihm?

SIEGFRIED.

Recht! Töte mich!

GENOVEVA.

Ei, Schmerzenreich, so nimm dir mit Gewalt,

Was dir gehört! Du kannst ja klettern! Auf,

Und küß den Vater!

SCHMERZENREICH verbirgt sich hinter Genoveva.

SIEGFRIED.

Holdes Kind, du säumst?

Du fragst, wofür du ihn denn küssen sollst?

Ei, sieh auf dein Gewand, dann weißt du das!

Wer in ein Fell dich kleidete, wer dir

Ein Loch zur Wohnung anwies, und den Tisch

Dir, wie dem Bären deckte, der verdients!

GENOVEVA.

Nicht so, mein Siegfried! Danke Gott mit mir,

Daß er uns dir erhielt! Wir haben schlecht

Gelebt, wir haben aber doch gelebt,

Und wissen jetzt, warum! Dein Kind hat nie

Erfahren, daß es weichre Betten gibt,

Als die von dürrem Laub, von Gras und Moos,

Und süßre Speise, als die Wurzelkost,

Nun kann es das ja lernen!

SIEGFRIED reicht Caspar die Armbrust.

Caspar, nimm!

Dann blas dein Horn!

GENOVEVA.

Was sinnst du, mein Gemahl?

SIEGFRIED.

Ich muß doch wissen, wie es tut, wenn man

Allein in öder Wildnis haust, und nichts,

Als seine beiden Hände hat, ich will

Es selbst versuchen!


Zu Caspar.


Blase, daß mans hört!

CASPAR bläst, ihm wird aus der Ferne geantwortet.

SIEGFRIED.

Es ist der Rechnung wegen! Heilige,

Du kehrst ins Schloß zurück, ich bleibe hier!

Zwar heißt das nicht gar viel! Ich bin ein Mann,

Kein Weib und auch kein Kind! Doch wird der Mann

Ja einst zum Greis, und ich, ich werde jetzt,

Wie fühl ichs! nach der Stundenglocke alt!

GENOVEVA.

Halt ein, halt ein!

SIEGFRIED.

Ha, glaubst du, daß ich kann?[215]

CASPAR wirft die Armbrust beiseite.

Herr, Herr, nehmt Euren Sohn, das übrige

Stellt Gott anheim! Ei, meine Faust ist rot,

Und doch hoff ich auf Gnade! Finster wars,

Der Teufel hatt sich quer vors Licht gestellt

Und hetzte uns, da stachen wir drauf los

Und trafen unsre Freunde! – Edle Frau,

Ich –


Er bricht in ein konvulsivisches Lachen aus.


Ja! Ich lache, wenn ich weinen will –

Verfluchte Art! – Je nun, Ihr sehts ja wohl,

Wie weh mirs tut, Euch so – – Doch, glaubt mir das,

Auch er – auch er – Schaut ihn nur einmal an:

Ist dieses noch der Mann, der von Euch schied?


Zu Siegfried.


Ihr habts verdient, nun nehmt, was Gott Euch beut!


Er bringt ihm Schmerzenreich.


Rasch, rasch, sonst komm ich Euch zuvor!

SIEGFRIED preßt Schmerzenreich in die Arme.

Mein Kind!

GENOVEVA.

Ich habe viel gelitten, es ist wahr,

Doch dieser Augenblick macht alles gut!

Ich nehme dir die Schmerzen ab um mich,

Du mir die Angst, die Qualen um mein Kind:

Nur Gott weiß, wer am meisten tat!

SIEGFRIED.

Mein Weib,

Mein armes, blasses Weib, könnt ich das Blut

Aus meinen Adern in die deinen nur

Hinüber gießen! Dann –

GENOVEVA.

Dann stürb ich ja

In dir, und hätte nicht das Sterben bloß,

Nein, auch das Weinen! Nicht doch, teurer Freund,

Die letzte Arbeit teilen wir! Die ist

Zu schwer für einen!

SIEGFRIED.

O, nicht mehr! Nicht mehr!

Ich peitschte einen Engel, er enthüllt

Sich mir und ahnt nicht, daß er mich dadurch,

Wenn er nicht einhält, töten muß! – Und die

Wollt er ermorden!


Ausbrechend.


Golo![216]

CASPAR.

Flucht ihm nicht,

Denn er hat mir geflucht, weil ich ihn nicht

Erst marterte, bevor ich ihn durchstach!

Ein ander Mal von ihm, nur so viel jetzt:

Ermorden wollte er sie nicht! Ich hab

Noch einen Brief für Euch von ihm!

GENOVEVA.

Ihm sei

Die Erde leicht und leicht auch das Gericht!

SIEGFRIED.

Amen! Und klammerte das Wort sich auch

Mit Krallen in der Kehle fest, es soll

Heraus! Noch einmal! Amen! Wer bin ich,

Daß ich ihm die Vergebung weigern will!


Er faltet die Hände.


Ja, Herr, vergib mir meine Schuld, wie ich –

Nein, nein!

GENOVEVA betet fort.

– Vergebe meinem Schuldiger!

Nicht wahr, mein Siegfried? O gewiß, du kannst

Das Vaterunser beten! Nicht?

SIEGFRIED.

Es ist

Das schwerste Stück auf dieser Welt! – Doch seis!


Faltet die Hände.


Wie ich dem Golo! Ja! – Nun hab ich Mut,

Dich und mein Kind zu küssen!


Er tuts.


CASPAR ruft.

Auf, herbei!


Er stößt ins Horn, ihm wird aus der Nähe geantwortet.


SIEGFRIED.

Ich hoff sogar, daß du mir bleiben wirst!

GENOVEVA.

Dein Kind bleibt dir gewiß!

SIEGFRIED.

Was sagst du da?

GENOVEVA.

Wozu uns quälen! Heute will der Herr

Uns lächeln sehn, denn unsre Lust

Ist seine!

SIEGFRIED.

Mach ers denn, wie's ihm gefällt!


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 214-217.
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