Siebente Szene


[605] Musik. Ein glänzender Zug. Zuerst viele Sklaven, die Kostbarkeiten tragen. Dann eine Menge Sklavinnen, die prächtig gekleidet sind.

Zuletzt ein Vezier mit Gefolge. Viel Volk strömt zusammen.


DER VEZIER betritt, nachdem die Musik aufgehört hat, eine Tribüne.

Im Namen des Kalifen!


Alle Versammelte werfen sich zu Boden.[605]


DER VEZIER.

Trauernd sitzt

Er im Palast, die Fenster hat er sich

Ringsum mit schwarzem Tuch verhängen lassen,

Weil er das goldne Licht der Sonne haßt;

Zwei Tage halten ihm die Sklaven schon,

Auf Knien vor ihm liegend, Trank und Speise

Vergebens vor, er ißt und trinkt nicht mehr;

Und heute morgen hat er mir geboten,

Was mich mit Grauen und Entsetzen füllt!

Steht alle auf!


Die Versammelten erheben sich.


DER VEZIER.

Und Mustafa, herauf!


Mustafa, ein Sklave, der auf rotem Sammetkissen eine Krone trägt, ersteigt die Tribüne.


DER VEZIER erhebt die Krone.

Ihr seht, dies ist die Krone Mahomeds,

Der Himmel hat den Stern nicht, welcher ihr

Nicht einen Strahl lieh, und die Erde nicht

Den Edelstein, der sie nicht funkelnd schmückt!

Vernehmt! Die Krone Mahomeds ist feil!

Ihr staunt? Hört weiter! Eben heute hats

Gejährt, daß die Prinzessin, daß Fatime,

Die heißgeliebte Tochter des Kalifen,

Aus ihrem Garten, als sie Rosen pflückte,

Auf eine Art, die keiner faßt, verschwand.

Ihr wißt, der tiefbetrübte Vater hat

Dem, der sie wiederbrächte, längst sein Alles,

Bis auf die Krone selbst, als Lohn verheißen.

Wohlan, er fügt die Krone jetzt hinzu.

Der soll sie tragen, der das einzge Kind

Zurück in seine Arme führt, und jeder,

Der auch nur eine Spur von ihr entdeckt,

Soll selbst bestimmen, ob er seine Perlen,


Er deutet hiebei auf diejenigen Sklaven, die Perlen tragen.


Ob er sein Gold und Silber


Er deutet hiebei auf diejenigen Sklaven, die mit Gold und Silber beladen sind.


lieber will,

Und obendrein die Sklavin sich erwählen,

Die ihm von allen, welche noch im Lenz


[606] Er deutet auf die verschleiert dastehenden Sklavinnen.


Der Jugend stehn, am meisten einer Houri

Zu gleichen scheint, wie sie sein Herz begehrt!

Dies ist es, was ich euch verkünden soll:

Es ist geschehn. Nun aber hört noch eins:

Wer glaubt, daß er sich einen dieser Preise

Verdienen kann, der gehe schnell ans Werk!

Die Hoffnung war es nicht, die den Kalifen

Bewog, auch noch sein letztes einzusetzen,

Nur die Verzweiflung trieb ihn dazu an,

Und er erwartet nichts davon, er läßt,

Indem ich rede, in der Stille schon

Aus seinem Paschalik am fernen Nil

Den Bruder rufen und – ich darf nicht sagen,

Was ich befürchte, doch ich fürchte viel!


Er steigt von der Tribüne herunter. Der Zug entfernt sich, mit Musik, auf dieselbe Weise, wie er kam.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 605-607.
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