[715] DER KANZLER PREISING tritt ein.
ERNST. Schon da, Preising? Gut! Wißt Ihr was? Wir wollen von heut an immer eine Stunde früher anfangen! Niemand weiß, ob er nicht Feierabend machen muß, ehe er müde ist! Wie viel hatte die Herzogin noch vor, nun liegt sie da! Was bringt ihr?
PREISING. Zuvörderst! Die Klagen über den Wucher der Juden mehren sich!
ERNST. Man soll sich so einrichten, daß man die Juden nicht braucht! Wer nicht von ihnen borgt, wird nicht arm durch sie, und ob sie Funfzig vom Hundert nehmen!
PREISING. Es ist der Juden selbst wegen, daß ich darauf zurückkomme. In Nürnberg schlägt man sie schon tot, wie die Hunde, und böse Beispiele stecken eher an, als gute!
ERNST. Meine Juden sollens so treiben, daß sie das Totschlagen nicht verdienen, dann wirds wohl unterbleiben. Ich mische mich in diese Händel nicht hinein. Fragt bei meinem Bruder an, ob er will!
PREISING. Das wär wohl das erste Mal, daß Herzog Wilhelm etwas wollte, was Ew. Gnaden nicht wollen!
ERNST. Eben darum soll man ihn nie vorbei gehen! Weiter!
PREISING. In Sachen des strittigen Kurhuts hat der böhmische Hof endlich –
ERNST. Nichts davon! Das hat Kaiser Rudolf durch seinen doppelten Spruch so verwickelt, daß nur das Schwert noch helfen kann, und das Schwert können wir erst dann ziehen, wenn München, Ingolstadt und Landshut einmal wieder zusammen gehen. Dazu ist bis jetzt wenig Hoffnung, denn meine teuren Vettern Ludwig und Heinrich mögten mich freilich gern umarmen,[715] wenn sie mir nur zugleich auch den Rücken kehren könnten. Also weiter! Doch halt, halt, erst dies! Wir sind ja unverhofft zu Geld gekommen, der Württemberger muß das wieder herausgeben, was er bei Erziehung seiner Tochter an Birkenreisern erspart hat, und obendrein schwere Zinsen zahlen. Mit seinen fünfundzwanzigtausend Gulden können wir allerlei machen!
PREISING. Wenn wir sie erst haben, ja!
ERNST. Haltet Ihr den Grafen für keinen ehrlichen Mann?
PREISING. Für den ehrlichsten Mann von der Welt!
ERNST. Nun denn! Ein Bettler ist er doch gewiß auch nicht! Wir könnten eine unsrer verpfändeten Städte dafür auslösen, und ich weiß schon, wo man sich am billigsten finden lassen wird, weil man unser Geld am nötigsten braucht.
PREISING. Das wäre freilich ein Gewinn!
ERNST. Ja, da gäbs doch einen Fleck weniger im Lande, wo wir unsern Herzogsstab nicht wieder aufheben dürften, wenn er uns einmal aus der Hand glitte. Wir könnten dem Lech aber auch für ewige Zeiten einen Freipaß damit erkaufen, daß er uns von den Augsburgern nicht wieder auf einen Wink des Kaisers versperrt werden kann, wie Anno Neunzehn bei den Bischofhändeln!
PREISING. Dazu werden die Kaufherren raten!
ERNST. Und Ihr?
PREISING. Gnädiger Herr, der Württemberger wird nicht aufknöpfen, ich sags Euch!
ERNST. Nicht aufknöpfen? Ei! Ei! Hab ich nicht mein Pfand? Sind mir nicht Geiseln gestellt? Was kann er denn einwenden?
PREISING. Er legts übel aus, daß Herzog Albrecht sich gar keine Mühe gab, seine Braut wieder zu bekommen, daß er in Augsburg aufs Tanzhaus ging, statt den Entführer verfolgen zu helfen!
ERNST. Was war denn an der noch wieder zu bekommen? Sie war ja schon las Weib eines andern, eh wir hier noch die Flucht erfuhren! Der Württemberger soll sich in acht nehmen! Ich besetz ihm Göppingen, eh ers denkt, es kommt mir auf einen Ritt noch nicht an!
PREISING. Ich sage Euch, und bitt Euch, nicht unwirsch zu werden,[716] über den Sieger von Alling ist nie so viel geredet worden, wie über den Tänzer von Augsburg!
ERNST. Ich weiß, ich weiß, und es verdrießt mich genug! Preising, es ist die Strafe unsrer eignen Jugendsünden, daß wir gegen die unserer Kinder nachsichtig sein müssen. Ihr wißt, was ich auf Andechs verwende, glaubts mir, man baut niemals Kapellen ohne Grund! Aber es ist schon dafür gesorgt, daß ein Ende wird. Erich von Braunschweig sagte schon vor zwei Jahren zu mir: es ist schade, Ernst, daß du nur den einen Sohn hast und daß der versprochen ist! Dies Wort blieb mir im Kopf hängen, und noch denselben Tag, wo ich die Flucht der Württembergerin erfuhr, ließ ich um die Braunschweigerin anhalten! Nun, gestern zur Nacht lief das Jawort ein!
PREISING. Und Albrecht! Wird er einverstanden sein?
ERNST. Einverstanden? Wie kommt Ihr mir vor? Darnach hab ich wahrhaftig noch nicht gefragt, das, denk ich, versteht sich von selbst!
PREISING. Ihr habt ihm einen Boten geschickt!
ERNST. Einen? Drei, vier hab ich ihm geschickt, mit Ermahnungen und Warnungen, dem letzten hab ich sogar einen Brief mitgegeben!
PREISING. Nun, der ist wieder da, er steigt eben vom Pferd!
ERNST. Er hat lange genug gemacht!
PREISING. Und ist doch nicht langsam geritten, denn er kommt nicht von Augsburg, sondern von Vohburg, der Herzog hat die Reichsstadt verlassen, bevor er eintraf!
ERNST. So ist der Handel mit der Dirne vorbei, und ich hätte mir den dummen Brief sparen können!
PREISING. Nichtsweniger, als das, er hat die Dirne mitgenommen!
ERNST. Das ist viel! Das würde ich bei Lebzeiten meines Vaters nie gewagt haben! Bringt das der Bote?
PREISING. Ja – Und –
ERNST. Was noch? Warum stockt Ihr? Das kenn ich ja gar nicht an Euch!
PREISING. Das Gerücht – wissen müßt Ihrs – geht sogar noch weiter, viel weiter!
ERNST. Das Gerücht hat tausend Zungen, und nur mit einer[717] spricht es die Wahrheit; wer will die herausfinden? Aber wie weit gehts denn? Ich bin doch neugierig!
PREISING. Man munkelt von einer heimlichen Heirat! Die Dirne hätts nicht anders getan!
ERNST. Und das könnt Ihr mir mit einem ernsthaften Gesicht sagen? Preising! Bringt das auch der Bote?
PREISING. Ich habe ihm augenblicklich das strengste Stillschweigen auferlegt.
ERNST. Nicht doch! Er soll reden! Aber er soll hinzufügen, daß der Dirne ganz Baiern zum Leibgeding verschrieben ist! Er lacht. Meint Ihr nicht? Auch der Teil, der nicht uns gehört, der solle apart für sie erobert werden! Durch mich, versteht Ihr?
PREISING. Und Ihr seid gewiß, daß nichts dahinter steckt? Gar nichts?
ERNST. Preising! Er hebt seine drei Finger in die Höhe. Das solltet Ihr doch auch können, und ob Ihr auf dem Todbett lägt! So viel Respekt für mein Blut verlang ich! Die Sippschaft der Dirne hats in Umlauf gesetzt, um ihre Schande zu verbrämen! Das liegt ja auf der Hand! Aber daraus folgt nicht, daß wir ruhig zusehen wollen, bis es im ganzen Reich herum ist, bewahre! Es freut mich jetzt doppelt, daß der Braunschweiger endlich gesprochen hat, nun können wir dem Kot gleich einen Platzregen nachschicken, und wir wollen uns rühren, daß er sich nicht vorher fest setzt! Also! Ihr steigt augenblicklich zu Pferd und meldets meinem Sohn. –
PREISING. Wenn ers nun aber doch nicht aufnimmt, wie Ihr denkt?
ERNST. Haltet Euch doch nicht bei Unmöglichkeiten auf! Das sind ja ganz verschiedene Dinge! Er sagt ja; ob gern oder ungern, schnell oder langsam, das kümmert nicht mich und nicht Euch. Es gibt zwar eine Person, der das nicht so gleichgültig sein kann, wie uns beiden, aber auch um die ist mir nicht bange, sie wirds schon durchsetzen, wenn sie nur einmal da ist! In Braunschweig ist ja alles schön, bis auf das Hexenvolk, das sich zu Walpurgis bei Nebel und Nacht auf dem Blocksberg versammelt, und Erichs Anna soll noch mächtig hervorleuchten! Ihr kennt das schnurrige Wort ja wohl, das auf dem letzten Fürstentag über sie umging. Der Burggraf von[718] Nürnberg, der kleine Buckligte, der immer so twatsche Einfälle hat, sagte, als die Rede auf ihr schlichtes Wesen in Gang und Kleidertracht kam, sie sei ein Licht, das ungeputzt noch heller brenne, als geputzt, und die Jüngeren unter uns schwuren mit großem Lärm, das sei wahr, während wir Älteren lachten. Zum Teufel, die wirds doch mit der Baderin aufnehmen können?
PREISING. Gut denn!
ERNST. Weiter entbietet ihn zum Turnier, nach Regensburg, denk ich! Ja, ja, nach Regensburg! Ich bins denen schuldig! Er soll nicht länger dastehen, wie ein Knabe, dem der eine Vogel davon geflogen ist, und der keinen andern fangen kann, auch solls die Ritterschaft gleich wissen, daß Welf und Wittelsbach sich endlich einmal wieder küssen wollen, und das will ich feierlich auf dem Turnier verkünden! Es muß so rasch, als möglich, zustande gebracht werden, mein Bruder soll die Ausschreibungen auf der Stelle erlassen, ich will gleich zu ihm, er wirds gern tun, das ist ein Geschäft für ihn! Wißt Ihr, wie's mit seinem Sohne steht? Ich sah ihn lange nicht, sie verstecken ihn vor mir, wie's scheint, als ob sie sich schämten, ich mag kaum nach ihm fragen!
PREISING. Besser, wie ich höre, etwas besser, seit das alte Kräuterweib ihn pflegt!
ERNST. Das freut mich, obgleich es wohl nicht viel heißt! Denn mit diesem Knaben spielen alle Gebresten Fangball, ich hätte gar nicht gedacht, daß es so viele Übel gibt, als er schon gehabt hat, es ist ein Elend! Preising, der arme Adolf wird gewiß keine tolle Streiche machen, höchstens den, daß er ins Kloster geht, und daran tut er am Ende sogar recht!
PREISING. Oft werden schwache Kinder doch noch starke Männer!
ERNST. Gott gebs, ich wünsch es von Herzen! Aber – was trieb mein Albrecht schon alles, als er vier Jahre alt war! Da kam kein Bart ungerupft vom Schloß, und kein Fenster blieb ganz, wo er herum hantierte. Freilich, jetzt ists weit mit ihm gekommen, er hat sein Nest beschmutzt, und das hätt ich nie gedacht, ich hielt ihn für einen bessern Vogel. Nun, es soll schon wieder rein werden, und später kann ich dafür auch um[719] so mehr von ihm fordern, denn alle zehn Gebote zusammen peitschen den Mann nicht so vorwärts, wie die Jugend- Torheiten, die ihm rechts und links über die Schultern gucken, wenn er den Kopf einmal dreht. Nur darum, glaub ich, läßt Gott, der Herr, sie zu! Wendet sich zum Abgehen.
PREISING. Und wenn – – Gnädiger Herr, in einem solchen Fall ward das Ja gewiß noch niemals schnell gesagt! Wenn er es mir nicht gleich auf den Weg mitgibt: lad ich ihn dann auch zum Turnier?
ERNST. Dann erst recht! Dann will ich ihn vor gesamter Ritterschaft – – Torheit! Zu Pferd, Preising, zu Pferd! Rasch ab.
Vohburg.
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Agnes Bernauer
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