Achte Szene

[190] Ute und der Kaplan treten auf.


KAPLAN.

Es gibt dafür kein Bild auf dieser Welt!

Ihr wollt vergleichen, und Ihr wollt begreifen,

Doch hier gebrichts am Zeichen, wie am Maß.

Werft Euch vor Gott darnieder im Gebet,

Und wenn Ihr in Zerknirschung und in Demut

Euch selbst verliert, so werdet Ihr vielleicht,

Und wärs nur für so lange, als der Blitz

Auf Erden weilt, zum Himmel aufgezückt.

UTE.

Kann das geschehn?

KAPLAN.

Der heilge Stephanus

Sah, als das grimmentbrannte Volk der Juden

Ihn steinigte, des Paradieses Tore

Schon offen stehn und jubelte und sang.

Sie warfen ihm den armen Leib zusammen,

Ihm aber wars, als rissen all die Mörder,

Die ihn in blinder Wut zu treffen dachten,

Nur Löcher in sein abgeworfenes Kleid.

UTE zu Kriemhild, die sich hinzugesellt hat.

Merk auf, Kriemhild!

KRIEMHILD.

Ich tus.

KAPLAN.

Das war die Kraft

Des Glaubens! Lernt nun auch den Fluch

Des Zweifels kennen! Petrus, der das Schwert

Der Kirche trägt, und ihre Schlüssel führt,

Erzog sich einen Jünger, welchen er

Vor allen liebte. Dieser stand einmal

Auf einem Felsen, den das wilde Meer[190]

Umbrauste und bespülte. Da gedacht er

Der Zuversicht, mit der sein Herr und Meister

Auf unsres Heilands ersten Wink das Schiff

Verließ, und festen Schritts die See betrat,

Die ihn bedrohte mit dem sichren Tod.

Ein Schwindel faßte ihn bei dem Gedanken

An diese Probe, und das Wunder schien

Ihm so unmöglich, daß er eine Zacke

Des Felsens packte, um nur nicht zu fallen,

Und ausrief: Alles, alles, nur nicht dies!

Da blies der Herr, und plötzlich schmolz der Stein

Zu seinen Füßen ein, er sank und sank

Und schien verloren, und vor Furcht und Grauen

Sprang er hinunter in die offne Flut.

Doch diese hatte, von demselben Hauch

Des Ewgen still getroffen, sich verfestigt,

Sie trug ihn, wie die Erde mich und euch,

Und reuig sprach er: Herr, das Reich ist Dein!

UTE.

In Ewigkeit!

KRIEMHILD.

So bete, frommer Vater,

Daß Er, der Stein und Wasser so verwandelt,

Auch meinen Siegfried schützt. Für jedes Jahr,

Das mir beschieden wird an seiner Seite,

Erbau ich einem Heilgen den Altar.


Ab.


KAPLAN.

Du staunst das Wunder an. Laß dir noch sagen,

Wie ich zu meiner Priesterkutte kam.

Ich bin vom Stamm der Angeln, und als Heide

Geboren unter einem Volk von Heiden.

Wild wuchs ich auf, und ward mit funfzehn Jahren

Schon mit dem Schwert umgürtet. Da erschien

Der erste Bote Gottes unter uns.

Er ward verhöhnt, verspottet und zuletzt

Getötet. Königin, ich war dabei

Und gab ihm, von den andern angetrieben,

Mit dieser Hand, die ich seitdem nicht brauche,

Obgleich der Arm nicht lahm ist, wie Ihr glaubt,

Den letzten Schlag. Da hört ich sein Gebet.

Er betete für mich, und mit dem Amen[191]

Verhaucht' er seinen Geist. Das wandte mir

Das Herz im Busen um. Ich warf mein Schwert

Zu Boden, hüllte mich in sein Gewand

Und zog hinaus und predigte das Kreuz.

UTE.

Dort kommt mein Sohn! O, daß es dir gelänge,

Den Frieden, welcher ganz von hier entwich,

Zurück zu führen!


Beide ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 190-192.
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