Zweite Szene

[200] Siegfried tritt auf mit Rumolt und mit Knechten.


SIEGFRIED.

Da bin ich! Nun, ihr Jäger,

Wo sind die Taten? Meine würden mir

Auf einem Wagen folgen, doch er ist

Zerbrochen!

HAGEN.

Nur den Löwen jag ich heut,

Allein, ich traf ihn nicht.

SIEGFRIED.

Das glaub ich wohl,

Ich hab ihn selbst erlegt! – Da wird gedeckt:

Ein Tusch für den, der das geordnet hat,

Jetzt spürt man, daß mans braucht. Verfluchte Raben,

Auch hier? Laßt blasen, daß die Hörner springen!

Mit jeglichem Getiere warf ich schon

Nach diesem Schwarm, zuletzt mit einem Fuchs,

Allein sie weichen nicht, und dennoch ist

Mir nichts im frischen Grün so widerwärtig,

Als solch ein Schwarz, das an den Teufel mahnt.

Daß sich die Tauben nie so um mich sammeln!

Hier bleiben wir wohl auch die Nacht?

GUNTHER.

Wir dachten –

SIEGFRIED.

Ei wohl, der Platz ist gut gewählt. Dort klafft

Ein hohler Baum! Den nehm ich gleich für mich!

Denn so bin ichs von Jugend auf gewohnt,

Und Beßres kenn ich nicht, als eine Nacht,

Den Kopf ins mürbe Glimmholz eingewühlt,

So zwischen Schlaf und Wachen zu verdämmern

Und an den Vögeln, wie sie ganz allmählig,

Der eine nach dem andern, munter werden,

Die Stunden abzuzählen. Tick, Tick, Tick!

Nun ist es zwei. Tuck, Tuck! Man muß sich recken.

Kiwitt, Kiwitt! Die Sonne blinzelt schon,

Gleich öffnet sie die Augen. Kikriki!

Springt auf, wenn ihr nicht niesen wollt.

VOLKER.

Ja wohl!

Es ist, als ob die Zeit sie selber weckte,

Indem sie sich im Dunkeln weiter fühlt,[200]

Um ihr den Takt zu ihrem Gang zu schlagen.

Denn in gemeßnen Pausen, wie der Sand

Dem Glas entrinnt, und wie der lange Schatten

Des Sonnenweisers fortkriecht, folgen sich

Der Auerhahn, die Amsel und die Drossel,

Und keiner stört den andern, wie bei Tage,

Und lockt ihn einzufallen, eh er darf.

Ich hab es oft bemerkt.

SIEGFRIED.

Nicht wahr? – Du bist

Nicht fröhlich, Schwächer.

GUNTHER.

Doch, ich bins!

SIEGFRIED.

O nein!

Ich sah schon Leute auf die Hochzeit gehn

Und hinter Särgen schreiten, und ich kann

Die Mienen unterscheiden. Machts, wie ich,

Und tut, als hätten wir uns nie gekannt,

Und uns zum ersten Mal, der eine so,

Der andre so versehn, im Wald getroffen.

Da schüttet man zusammen, was man hat,

Und teilt mit Freuden mit, um zu empfangen.

Wohlan, ich bringe Fleisch von allen Sorten,

So gebt mir denn für einen Auerstier,

Fünf Eber, dreißig oder vierzig Hirsche

Und so viel Hühner, als ihr sammeln mögt,

Des Löwen und der Bären nicht zu denken,

Nur einen einzgen Becher kühlen Weins.

DANKWART.

O weh!

SIEGFRIED.

Was gibts?

HAGEN.

Das Trinken ist vergessen.

SIEGFRIED.

Ich glaubs. Das kann dem Jäger wohl begegnen,

Der statt der Zunge eine Feuerkohle

Im Munde trägt, wenns Feierabend ist.

Ich soll nur selber suchen, wie ein Hund,

Obwohl mir seine Nase leider mangelt,

Es sei darum, ich störe keinen Spaß.


Er sucht.


Hier nicht! Auch dort nicht! Nun, wo steckt das Faß?

Ich bitt dich, Spielmann, rette mich, sonst werd ich[201]

Euch aus dem lautesten der stillste Mann.

HAGEN.

Das könnte kommen, denn – Es fehlt am Wein.

SIEGFRIED.

Zum Teufel eure Jagden, wenn ich nicht

Als Jäger auch gehalten werden soll!

Wer hatte denn für das Getränk zu sorgen,

HAGEN.

Ich! – Doch ich wußte nicht, wohin es ging,

Und schickt es in den Spessart, wos vermutlich

An Kehlen mangelt.

SIEGFRIED.

Danke dir, wer mag!

Gibts hier denn auch kein Wasser? Soll man sich

Am Tau des Abends letzen und die Tropfen

Der Blätter lecken?

HAGEN.

Halt nur erst den Mund,

So wird das Ohr dich trösten!

SIEGFRIED horcht.

Ja, es rauscht!

Willkommen, Strahl! Ich liebe dich zwar mehr,

Wenn du, anstatt so kurz vom Stein heraus

Zu quellen und mir in den Mund zu springen,

Den krausen Umweg durch die Rebe nimmst,

Denn du bringst vieles mit von deiner Reise,

Was uns den Kopf mit muntrer Torheit füllt,

Doch sei auch so gepriesen.


Er geht auf den Brunnen zu.


Aber nein,

Erst will ich büßen, und ihr sollts bezeugen,

Daß ichs getan. Ich bin der Durstigste

Von allen, und ich will als letzter trinken,

Weil ich ein wenig hart mit Kriemhild war.

HAGEN.

So fang ich an.


Er geht zum Brunnen.


SIEGFRIED zu Gunther.

Erheitre dein Gesicht,

Ich hab ein Mittel, Brunhild zu versöhnen,

Du hast es nicht mehr weit zum ersten Kuß,

Und ich will mich enthalten, wie du selbst.

HAGEN kommt wieder und entwaffnet sich.

Man muß sich bücken, und das geht nicht so.


Wieder ab.


SIEGFRIED.

Kriemhild will sie vor allem deinem Volk,[202]

Bevor wir ziehen, um Verzeihung bitten,

Das hat sie frei gelobt, nur will sie gleich

Mit dem Erröten fort.

HAGEN kommt wieder.

So kalt, wie Eis.

SIEGFRIED.

Wer folgt?

VOLKER.

Wir essen erst.

SIEGFRIED.

Wohlan!


Er geht auf den Brunnen zu, kehrt aber wieder um.


Ja so!


Er entwaffnet sich und geht.


HAGEN auf die Waffen deutend.

Hinweg damit.

DANKWART trägt die Waffen fort.

HAGEN der seine Waffen wieder aufgenommen und Gunther fortwährend den Rücken zugewendet hat, nimmt einen Anlauf und wirft seinen Speer.

SIEGFRIED schreit auf.

Ihr Freunde!

HAGEN ruft.

Noch nicht still?


Zu den andern.


Kein Wort mit ihm, was er auch sagen mag!

SIEGFRIED kriecht herein.

Mord! Mord! – Ihr selbst? Beim Trinken! Gunther, Gunther,

Verdient ich das um dich? Ich stand dir bei

In Not und Tod.

HAGEN.

Haut Zweige von den Bäumen,

Wir brauchen eine Bahre. Aber starke,

Ein toter Mann ist schwer. Rasch!

SIEGFRIED.

Ich bin hin,

Doch noch nicht ganz!


Er springt auf.


Wo ist mein Schwert geblieben?

Sie trugens fort. Bei deiner Mannheit, Hagen,

Dem toten Mann ein Schwert! Ich fordre dich

Noch jetzt zum Kampf heraus!

HAGEN.

Der hat den Feind

Im Mund und sucht ihn noch.

SIEGFRIED.

Ich tropfe weg,

Wie eine Kerze, die ins Laufen kam,[203]

Und dieser Mörder weigert mir die Waffe,

Die ihn ein wenig wieder adeln könnte.

Pfui, pfui, wie feig! Er fürchtet meinen Daumen,

Denn ich bin nur mein Daumen noch.


Er strauchelt über seinen Schild.


Mein Schild!

Mein treuer Schild, ich werf den Hund mit dir!


Er bückt sich nach dem Schilde, kann ihn aber nicht mehr heben und richtet sich taumelnd wieder auf.


Wie angenagelt! Auch für diese Rache

Ists schon zu spät!

HAGEN.

Ha! wenn der Schwätzer doch

Die lose Zunge, die noch immer plappert,

Zermalmte mit den Zähnen, zwischen denen

Sie ungestraft so lange sündigte!

Da wär er gleich gerächt, denn die allein

Hat ihn so weit gebracht.

SIEGFRIED.

Du lügst! Das tat

Dein Neid!

HAGEN.

Schweig! Schweig!

SIEGFRIED.

Du drohst dem toten Mann?

Traf ichs so gut, daß ich dir wieder lebe?

Zieh doch, ich falle jetzt von selbst, du kannst

Mich gleich bespein, wie einen Haufen Staub,

Da lieg ich schon –


Er stürzt zu Boden.


Den Siegfried seid ihr los!

Doch wißt, ihr habt in ihm euch selbst erschlagen,

Wer wird euch weiter traun! Man wird euch hetzen,

Wie ich den Dänen wollte –

HAGEN.

Dieser Tropf

Glaubt noch an unsre List!

SIEGFRIED.

So ists nicht wahr?

Entsetzlich! Furchtbar! Kann der Mensch so lügen! –

Nun wohl! Da seid ihrs ganz allein! Man wird

Euch immer mit verfluchen, wenn man flucht,

Und sprechen: Kröten, Vipern und Burgunden!

Nein, ihr voran: Burgunden, Vipern, Kröten,[204]

Denn alles ist für euch dahin, die Ehre,

Der Ruhm, der Adel, alles hin, wie ich!

Dem Frevel ist kein Maß, noch Ziel gesetzt,

Es kann der Arm sogar das Herz durchbohren,

Doch sicher ist es seine letzte Tat!

Mein Weib! Mein armes, ahnungsvolles Weib,

Wie wirst dus tragen! Wenn der König Gunther

Noch irgend Lieb und Treu zu üben denkt,

So üb er sie an dir! – Doch besser gehst du

Zu meinem Vater! – Hörst du mich, Kriemhild?


Er stirbt.


HAGEN.

Jetzt schweigt er. Aber jetzt ists kein Verdienst!

DANKWART.

Was sagen wir?

HAGEN.

Das Dümmste! Sprecht von Schächern,

Die ihn im Tann erschlugen. Keiner wirds

Zwar glauben, doch es wird auch keiner, denk ich,

Uns Lügner nennen! Wir stehn wieder da,

Wo niemand Rechenschaft von uns verlangt,

Und sind, wie Feuer und Wasser. Wenn der Rhein

Auf Lügen sinnt, warum er ausgetreten,

Ein Brand, warum er ausgebrochen ist,

Dann wollen wir uns quälen. Du, mein König,

Hast nichts befohlen, des erinnre dich,

Ich hafte ganz allein. Nun fort mit ihm!


Alle ab mit der Leiche.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 200-205.
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