[251] VOLKER hält Giselher zurück.
Mein Giselher, ich muß dir was vertraun.
GISELHER.
Du mir?
VOLKER.
Auch bitt ich dich um deinen Rat.
GISELHER.
Wir ritten fast die ganze Zeit zusammen,
Und jetzt auf einmal? Nun, so faß dich kurz!
VOLKER.
Sahst du das Mägdlein? Doch, was frag ich noch,[251]
Sie hielt ja keinen Becher in der Hand.
GISELHER.
Sprich nicht so dumm, ich hab sie wohl gesehn.
VOLKER.
Du hast ja aber doch den Kuß verschmäht,
Den sie dir schuldig war –
GISELHER.
Was höhnst du mich?
VOLKER.
Ich muß dich prüfen, eh ichs glauben kann,
Denn das vom Becher ist dein eignes Wort.
Wie alt erscheint sie dir?
GISELHER.
Nun laß mich aus!
VOLKER.
Du hast noch Zeit. Führt sie den Mädchen-Titel
Schon unbestritten?
GISELHER.
Kümmerts dich?
VOLKER.
Ja wohl:
Ich mögt hier werben, und ich muß doch wissen,
Daß sie den Bräutigam nicht stehen läßt,
Wenn sie zum Blindekuh gerufen wird.
GISELHER.
Du willst hier werben? Du?
VOLKER.
Nicht für mich selbst!
Mein Helm ist, trotz der Beulen, die er hat,
Noch blank genug, mir mein Gesicht zu zeigen.
O nein, für Gerenot.
GISELHER.
Für Gerenot?
VOLKER.
Nun frag ich dich im Ernst: ists euch genehm?
Dann tu ichs gern! Hab ichs doch selbst gesehn,
Daß ihns durchfuhr, als ob der Blitz ihn träfe,
Wie er dies Kind am Fenster stehen sah.
GISELHER.
Ihn? Er hat nicht einmal hinauf geschaut! –
Das war ja ich.
VOLKER.
Das wärest du gewesen?
Sprachst du denn auch zu mir?
GISELHER.
Das glaub ich nicht,
Doch dafür sprech ich jetzt. Ihr habt ja immer
Gedrängt, ich sollte frein, und Gerenot
Am allermeisten – Nun, es wird geschehn!
VOLKER.
Auf einmal?
GISELHER.
Wenn sie will. Ich hab den Kuß
Der Höflichkeit verschmäht –
VOLKER.
Ists wirklich so?[252]
GISELHER.
Verpaßt, wenns dir gefällt, wie meinen Teil
Vom großen Kuchen, doch es ist mir gleich,
Einen andern oder keinen!
Rasch ab.
Ausgewählte Ausgaben von
Die Nibelungen
|
Buchempfehlung
Anselm vertritt die Satisfaktionslehre, nach der der Tod Jesu ein nötiges Opfer war, um Gottes Ehrverletzung durch den Sündenfall des Menschen zu sühnen. Nur Gott selbst war groß genug, das Opfer den menschlichen Sündenfall überwiegen zu lassen, daher musste Gott Mensch werden und sündenlos sterben.
86 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro