Pieve

[127] Jedermann kennt die Bilder- und Landkartenhändler, die im Land herum ihre Waren, Bildnisse von Heiligen, Bildnisse von Kaisern und Königen und Kriegsschauplätzen feil tragen. Aber für manchen kommen sie wie die Storken ins Land, das heißt, er weiß nicht, woher sie kommen. Von Pieve kommen sie, im Kanton Tessino, in welsch Tirol, und dieses Pieve dient zum Beweis, was aus einem armen Dorfe werden kann, wenn auf unverdrossene und sparsame Väter ebenso brave Söhne und Enkel folgen, und deswegen ist an einem solchen Bildermann mehr zu sehen, als an seinen Bildern allen. Pieve hat eine unfruchtbare Gemarkung. Der Boden nährt seine Einwohner nicht. Lange behalfen sich daher die armen Leute mühsam und kümmerlich mit einem Handel von Feuersteinen, der eben nicht viel eintrug. Als aber der Besitzer der berühmten Buch- und Kupferstichhandlung, Remondini in Bassano, sah, wie unverdrossen und fleißig diese Leute waren,[127] so vertraute er ihnen anfangs schlechte, alsdann immer bessere Kupferstiche und Helgen an, um damit einen kleinen Handel zu treiben. Damit durchzogen sie nun Tirol, die Schweiz und das angrenzende Deutschland, und es ging schon besser. Sie hatten an den gemalten Kaisern und Königen, Propheten und Aposteln selber mehr Freude, als an den plumpen Feuersteinen. Sie trugen auch leichter daran, und hatten mehr Gewinn. Bald brachten sie es so weit, daß sie den Kupferstichhandel aus dem Fundament verstanden, und mit eigenem Gelde treiben konnten. Und, was fast unglaublich ist, sie bildeten in kurzer Zeit stehende Handelsgesellschaften in Augsburg, Straßburg, Amsterdam, in Hamburg, Lübeck, Koppenhagen, Stockholm, Warschau und Berlin. In allen diesen und noch mehrern Städten sind sie jahraus jahrein mit großen Vorräten von sehr kostbaren Kupferstichen und Landkarten zu finden. Ja eine Gesellschaft kam sogar bis nach Tobolsk in Asien, und eine andere, welche aber mißglückte, bis nach Philadelphia in Amerika, lauter Leute aus dem armen Dörflein Pieve. Neben diesen stehenden Bilderhandlungen aber durchwandern noch viele andere von ihnen alle Länder von Europa, besonders Deutschland, Polen, Preußen, Holland, Dänemark, Schweden, Rußland, England und Frankreich. Alle Mannsleute in Pieve kennen diesen Handel und beschäftigen sich damit. Vor der französischen Revolution, als ihre Geschäfte am glücklichsten vonstatten gingen, war zur Zeit des Sommers, außer Kindern und alten Greisen, keine männliche Person daheim, aber alle kamen mit wohlerworbenem Gewinn zurück. Die Weiber trieben unterdessen den Feldbau. Seit der Revolution und des Kriegs an allen Enden und Orten[128] hat dieser lebhafte Handel sehr gelitten. Dennoch hat noch jede Familie von Pieve unaufhörlich einen Mann auf der Reise. Schon in der frühen Jugend begleitet der Sohn den Vater auf seinen Zügen, und wird dieser alt, so überläßt er dem Sohn das Geschäft, und bringt seine Jahre daheim in Ruhe und Wohlstand und mit Ehren zu.

Das sind die Bilderhändler von Pieve. Der Rheinische Hausfreund kennt fast alle, die am Rhein auf und ab auf den Straßen sind, und zieht vor jedem den Hut ab.

[1808]

Quelle:
Johann Peter Hebel: Poetische Werke. München 1961, S. 127-129.
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