Caput X

[370] Zwo Gestalten, wild und mürrisch,

Und auf allen vieren rutschend,

Brechen Bahn sich durch den dunklen

Tannengrund, um Mitternacht.


Das ist Atta Troll, der Vater,

Und sein Söhnchen, Junker Einohr.

Wo der Wald sich dämmernd lichtet,

Bei dem Blutstein, stehn sie stille.
[370]

»Dieser Stein« – brummt Atta Troll –

»Ist der Altar, wo Druiden

In der Zeit des Aberglaubens

Menschenopfer abgeschlachtet.


O der schauderhaften Greuel!

Denk ich dran, sträubt sich das Haar

Auf dem Rücken mir – Zur Ehre

Gottes wurde Blut vergossen!


Jetzt sind freilich aufgeklärter

Diese Menschen, und sie töten

Nicht einander mehr aus Eifer

Für die himmlischen Intressen; –


Nein, nicht mehr der fromme Wahn,

Nicht die Schwärmerei, nicht Tollheit,

Sondern Eigennutz und Selbstsucht

Treibt sie jetzt zu Mord und Totschlag.


Nach den Gütern dieser Erde

Greifen alle um die Wette,

Und das ist ein ew'ges Raufen,

Und ein jeder stiehlt für sich!


Ja, das Erbe der Gesamtheit

Wird dem einzelnen zur Beute,

Und von Rechten des Besitzes

Spricht er dann, von Eigentum!


Eigentum! Recht des Besitzes!

O des Diebstahls! O der Lüge!

Solch Gemisch von List und Unsinn

Konnte nur der Mensch erfinden.


Keine Eigentümer schuf

Die Natur, denn taschenlos,[371]

Ohne Taschen in den Pelzen,

Kommen wir zur Welt, wir alle.


Keinem von uns allen wurden

Angeboren solche Säckchen

In dem äußern Leibesfelle,

Um den Diebstahl zu verbergen.


Nur der Mensch, das glatte Wesen,

Das mit fremder Wolle künstlich

Sich bekleidet, wußt auch künstlich

Sich mit Taschen zu versorgen.


Eine Tasche! Unnatürlich

Ist sie wie das Eigentum,

Wie die Rechte des Besitzes –

Taschendiebe sind die Menschen!


Glühend haß ich sie! Vererben

Will ich dir, mein Sohn, den Haß.

Hier auf diesem Altar sollst du

Ew'gen Haß den Menschen schwören!


Sei der Todfeind jener argen

Unterdrücker, unversöhnlich,

Bis ans Ende deiner Tage –

Schwör es, schwör es hier, mein Sohn!«


Und der Jüngling schwur, wie eh'mals

Hannibal. Der Mond beschien

Gräßlich gelb den alten Blutstein

Und die beiden Misanthropen. – –


Später wollen wir berichten,

Wie der Jungbär treu geblieben

Seinem Eidschwur; unsre Leier

Feiert ihn im nächsten Epos.
[372]

Was den Atta anbetrifft,

So verlassen wir ihn gleichfalls,

Doch um später ihn zu treffen,

Desto sichrer, mit der Kugel.


Deine Untersuchungsakten,

Hochverräter an der Menschheit

Majestät! sind jetzt geschlossen;

Morgen wird auf dich gefahndet.


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 370-373.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Atta Troll
Gedichte Von Heinrich Heine, Vierter Band. Deutschland. Atta Troll
Atta Troll. Ein Sommernachtstraum
Atta Troll - Ein Sommernachtstraum Deutschland - Ein Wintermärchen
Sämtliche Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Düsseldorfer Ausgabe / Atta Troll Ein Sommernachtstraum. Deutschland Ein Wintermärchen
Neue Gedichte: Deutschland. Ein Wintermärchen. Atta Troll (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon