Caput XII

[463] Im nächtlichen Walde humpelt dahin

Die Chaise. Da kracht es plötzlich –

Ein Rad ging los. Wir halten still.

Das ist nicht sehr ergötzlich.


Der Postillion steigt ab und eilt

Ins Dorf, und ich verweile

Um Mitternacht allein im Wald.

Ringsum ertönt ein Geheule.


Das sind die Wölfe, die heulen so wild,

Mit ausgehungerten Stimmen.

Wie Lichter in der Dunkelheit

Die feurigen Augen glimmen.


Sie hörten von meiner Ankunft gewiß,

Die Bestien, und mir zur Ehre

Illuminierten sie den Wald

Und singen sie ihre Chöre.


Das ist ein Ständchen, ich merke es jetzt,

Ich soll gefeiert werden!

Ich warf mich gleich in Positur

Und sprach mit gerührten Gebärden:


»Mitwölfe! Ich bin glücklich, heut

In eurer Mitte zu weilen,

Wo soviel edle Gemüter mir

Mit Liebe entgegenheulen.


Was ich in diesem Augenblick

Empfinde, ist unermeßlich;

Ach, diese schöne Stunde bleibt

Mir ewig unvergeßlich.
[463]

Ich danke euch für das Vertraun,

Womit ihr mich beehret

Und das ihr in jeder Prüfungszeit

Durch treue Beweise bewähret.


Mitwölfe! Ihr zweifeltet nie an mir,

Ihr ließet euch nicht fangen

Von Schelmen, die euch gesagt, ich sei

Zu den Hunden übergegangen,


Ich sei abtrünnig und werde bald

Hofrat in der Lämmerhürde –

Dergleichen zu widersprechen war

Ganz unter meiner Würde.


Der Schafpelz, den ich umgehängt

Zuweilen, um mich zu wärmen,

Glaubt mir's, er brachte mich nie dahin,

Für das Glück der Schafe zu schwärmen.


Ich bin kein Schaf, ich bin kein Hund,

Kein Hofrat und kein Schellfisch –

Ich bin ein Wolf geblieben, mein Herz

Und meine Zähne sind wölfisch.


Ich bin ein Wolf und werde stets

Auch heulen mit den Wölfen –

Ja, zählt auf mich und helft euch selbst,

Dann wird auch Gott euch helfen!«


Das war die Rede, die ich hielt,

Ganz ohne Vorbereitung;

Verstümmelt hat Kolb sie abgedruckt

In der »Allgemeinen Zeitung«.
[464]

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 463-465.
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