Alys Schloß

[495] Erleuchtetes Kabinett mit einer grollen Mitteltüre.

Man hört Tanzmusik. Don Enrique liegt zu Zuleimas Füßen.


DON ENRIQUE pathetisch.

Ein Zaberduft betäubet meine Sinne,

Und schauernd weiß ich nicht, was ich beginne!

Anbetend sink ich hin zu deinen Füßen,

Um dich als heil'ge Jungfrau zu begrüßen!

Du bist des Himmels Strahlenkuniginne,

Der ich nicht nahen darf mit ird'scher Minne!

Und wenn auch Hymens Bande uns umschließen –

Ich lieg als Knecht dir immerdar zu Füßen!


Die Musik hat aufgehört. Don Diego ist während dieser Apostrophe hereingeschlichen und hat beide Flügel der Mitteltüre geöffnet. Man sieht einen prächtigen, menschenvollen Ballsaal. Die tanzenden Paare bleiben stehen und schauen freudig nach Don Enrique und Zuleima. Einige Stimmen rufen.


Heil! Heil! Heil! unserm schönen Brautpaar!


Trompetentusch. Don Enrique steht auf. Don Diego schleicht sich wieder fort. Die Mitteltüre bleibt offenstehen.


ZULEIMA ernst.

Führt mich zum Saal!

DON ENRIQUE reicht ihr den Arm; verwirrt.

Señora, mein Bedienter,

Der Schalk, hat dies getan.[495]

ZULEIMA.

Gut, Señor, gut.


Aly und ein Ritter treten in der Türe den Vorigen entgegen.


ALY er faßt Don Enrique beim Arm.

Nein, liebe Clara, laß mir deinen Bräut'gam;

Hier Don Rodrigo führet dich zum Saal.


Zuleima, vom Ritter geführt, geht ab. Die Mitteltüre schließt sich.


DON ENRIQUE.

Ich wundre mich –

ALY ernst.

Erinnert Ihr Euch nicht,

Daß ich noch ein Geheimnis für Euch habe,

Das ich versprach, noch vor dem Hochzeitstag

Euch mitzuteilen, Señor?

DON ENRIQUE neugierig und schmeichelnd.

Ach, ihr habt

So vieles schon für mich getan –

ALY.

Ich nichts,

Nur, nur von Doña Clara hing es ab,

Ob sie die Hand Euch reichen wollt.

DON ENRIQUE.

Nein, Señor,

Nur Eure Stimme, die des Vaters, galt.

ALY.

Wohl hatt ich Gründe, Claras Hand Euch nicht

Zu geben. Doch ich hatte nicht das Recht.

Denn wisset: Claras Vater bin ich nicht.

DON ENRIQUE kleinlaut.

Ihr Vater nicht?

ALY lächelnd.

Seid ohne Sorge, Señor.

Urkundlich und durch Testamentes Kraft

Hab ich sie anerkannt als eigne Tochter.[496]

Jetzt, Señor, seht Ihr wohl, warum nur Clara

Verfügen konnte über ihre Hand.

Doch merkt's Euch, niemand hier, sie selber nicht,

Kennt dies Geheimnis.

DON ENRIQUE.

Señor, staunen muß ich –

ALY.

Mitteilen aber muß ich's Euch, dem Bräut'gam.

Doch erst gelobt mir, daß Ihr es verschweigt,

Sogar vor Eurer Braut, damit ich ihr

Den großen Schmerz erspare, und die Ruh'

Aus ihrem süßen Herzchen nicht verscheuche.

DON ENRIQUE gibt ihm den Handschlag.

Mit meinem Ritterwort gelob ich Schweigen.

ALY.

Ihr wißt, ich hieß nicht immer Don Gonzalvo.

DON ENRIQUE.

Nicht minder schön und herrlich war der Name,

Den jedermann Euch gab, dem guten Aly.

ALY.

Ja, ja! den guten Aly nannt man mich!

Doch hätt man mich mit besserm Recht genannt:

Den glücklichen. Denn Aly war einst glücklich,

Durch Freundschaft und durch Liebe.

Einen Freund,

Den seltensten der Schätze, gab mir Gott.

Und auch ein Weib, ein Weib, so schön, so mild –

Nein, Sünde ist es, sie ein Weib zu nennen –

Ein Engel lag an meinem sel'gen Herzen;

Und auch noch Vaterfreuden sollt ich fühlen.

Mein holdes Weib gebar mir einen Knaben;

Sie selber aber wurde bleich und bleicher –

Und starb.[497]

Da goß der Freund mir Trost ins Herz,

Und da sein Weib, just zu derselben Zeit,

Ein Töchterchen gebar, hat diese Gute

Zu sich genommen mein verwaistes Kind,

Und großgesäugt und mütterlich gepflegt.

Doch als ich wieder zu mir nahm ins Schloß

Den Schmerzensohn, ergriff, bei seinem Anblick,

Mich jedesmal aufs neu' der alte Schmerz

Ob seiner toten Mutter. Dieses merkte

Mein kluger Freund, und einst sprach er zu mir:

»Was dünkt dir, Aly, wenn wir unsre Kinder

Schon jetzt als Braut und Bräutigam verlobten,

Um unsre Freundschaft fester noch zu gründen?«

Laut weinend fiel ich in des Freundes Arm,

Und in derselben Stunde ward beschlossen:

Daß ich des Freundes Tochter zu mir nehmen

Und unter Ammenleitung, hier im Schlosse,

Selbst auferziehen sollt, damit ich selbst

Dem eignen Sohn ein wackres Weib erziehe,

Und daß mein Sohn erzogen werden sollte

Von meinem Freund, damit er selber bilde

Den künft'gen Eh'mann seiner einz'gen Tochter.

Und dies geschah.

DON ENRIQUE.

Ich brenne vor Begier –

ALY.

Die Kinder wuchsen auf, und sahn sich oft,

Und liebten sich – bis das Gewitter kam.

Ihr wißt wohl, wie sein Blitzstrahl eingeschlagen

In des Alhambras höchsten Turm, wie viele

Der edelsten Geschlechter von Granada

Zur Religion des Kreuzes sich gewandt.

Ihr wißt, daß es der frommen Christenamme

Schon längst gelang, Zuleimas sanftes Herz

Für Christum zu gewinnen, daß die Holde

Den Heiland auch bald öffentlich bekannte,[498]

Und durch der Taufe heil'ges Sakrament

Den schönen Namen Clara sich gewann.

Ich ging denselben Weg, dem eignen Herzen

Und der geliebten Pflegetochter folgend.

Ich hegte keinen Zweifel, daß mein Freund,

Der Gleichgesinnte, gleichem Beispiel huld'ge.

Doch wehe mir, er war ein blinder Moslem,

Und nahm die Botschaft auf mit kaltem Zorne,

Und ließ mir melden: Seines Gottes Feind,

Den hasse er, als seinen eignen Feind,

Er wolle nie der Gottesleugnerin,

Der eignen Tochter Antlitz wiedersehn,

Er wolle fliehen aus dem Land der Schlangen,

Und meinen Sohn, das eigne Pflegekind,

Den wolle er dem Zorne Allahs opfern,

Und mit des Sohnes Blut den Vater sühnen.

Und Wort gehalten hat der Wüterich!

Vergebens eilte ich nach seinem Schlosse;

Er war entflohn, entflohn mit seiner Beute.

Ich sah den armen Knaben nimmer wieder;

Und Krämer einst, die von Marokko kamen,

Erzählten mir vom Tode meines Sohns.

DON ENRIQUE mit affektiertem Schmerze.

O schrecklich! schrecklich! Rührung übermannt mich!

Mein Herz verblutet! Und Ihr habt Euch nicht

Furchtbar gerächt an diesem Wüterich?

Ihr hattet ja des Buben eigne Tochter

In der Gewalt? Wie habt Ihr da gehandelt?

ALY stolz.

Ich hab gehandelt, Señor, wie ein Christ. –


Geht ab.


DON ENRIQUE allein.

Soll ich es Don Diego sagen? Ja, ja.

Er soll mal sehn, daß er nicht alles weiß.[499]

Er sieht mich an für dumm. Nur immer zu!

Wir wollen sehen, wer der Klügste ist.


Die Tanzmusik beginnt wieder.


Doch still davon. Da rufen schönre Töne,

Und meine schöne Doña darf nicht warten.


Er geht ab.


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 495-500.
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