36.

[267] Nah der Mauer von Zamora

War zum grausen Todeskampfe

Zubereitet schon der Platz.

Schon durchritt ihn Don Diego,

Mit der Stärke des Alciden,

Seine jungen Feind erwartend.


Schweigt, unglückliche Drommeten!

Eines Vaters Eingeweide

Wenden sich bei eurem Hall.


Wer den väterlichen Segen

Erst empfing: es war Don Pedro,

Er, der Brüder ältester.

Als er vor Diegos Antlitz

Kam, begrüßt' er ihn bescheiden

Als den ältern Kriegesmann:
[267]

»Möge Gott, Euch vor Verrätern

Schützend, Eure Waffen segnen,

Don Diego! Ich erschein hier,

Von dem Schimpfe des Verrates

Mein Zamora zu befrein –«


»Schweig!« erwidert Don Diego,

»Denn Verräter seid ihr alle!«

Und so trennen beide sich,

Raum zu nehmen; beide rennen

Mächtig los; es sprühen Funken –

Ach, das Haupt des jungen Kriegers

Trifft Diego; er zerspaltet

Seinen Helm, durchbohrt sein Hirn –

Pedro Arias stürzt vom Rosse

In den Staub hin.


Don Diego

Hebt den Degen und die Stimme

Fürchterlich hin gen Zamora.

»Sendet einen andern!« rief er,

»Dieser liegt.« Es kam der andre,

Kam der Dritte; der auch fiel.


Schweigt, unglückliche Drommeten!

Eines Vaters Eingeweide

Wenden sich bei eurem Hall.


Tränen flossen, stille Tränen,

Auf des guten Greises Wangen,

Als er seinen jüngsten Sohn,

Seines Lebens letzte Hoffnung,

Waffnete zum Todeskampf.


»Auf«, sprach er, »mein Sohn Fernando!

Mehr, als du an meiner Seite

Noch im letzten Kampf geleistet,[268]

Mehr verlang ich nicht von dir.

Eh du in die Schranken eintrittst,

So umarm erst deine Brüder

Und dann blick auf mich zurück –«


»Weint Ihr, Vater?«


»Sohn, ich weine.

So weint' über mich mein Vater

Einst, beleidiget vom König

Zu Toledo. Seine Tränen

Gaben mir des Löwen Stärke,

Und ich bracht ihm – welche Freude! –

Seines stolzen Feindes Haupt.«


Mittag war es, als der letzte

Sohn des Grafen, Don Fernando

Arias, in die Schranken trat;

Dem Besieger seiner Brüder,

Seinem stolzen Blick begegnet

Er mit Ruh und Festigkeit.


Dieser, spielend mit dem jungen

Krieger, nahm den ersten Streich auf,

Auf die Brust; er war nicht tödlich.

Aber bald lag mit den Trümmern

Ihrer Rüstungen der Kampfplatz

Überdeckt. Gebrochen lagen

Schon die Schranken; beide Rosse

Keichen, durch und durch in Schweiß.


Als man ihnen Morgensterne,

Kolben brachte, deren Eisen

Blitzt in ihrer beider Hand.

Und der erste Schlag des Eisens

In der stärkern Hand Ordoños

Traf – des edlen Jünglings Haupt.
[269]

Todverwundet, seinem Rosse

Griff er um den Hals und hält sich

An der Mähn ihm; Hölleneifer

Gibt zum letzten Streich ihm Kraft.

Diesen Streich, er tut ihn tapfer;

Aber weil das Blut des Hauptes

Sein Gesicht bedeckt, so trifft er,

Ach, die Zügel nur des Rosses,

Sie durchhaund. Es bäumt das Roß sich,

Wirft den Reiter aus den Schranken

»Sieg!« schrien alle Zamoraner;

Das Gericht des Kampfes schwieg.


Arias Gonzalo, zum Kampfplatz

Eilend, fand den Kampfplatz leer,

Sah den jüngsten Sohn verblühen,

Ihn verblühn wie eine Rose,

Eh sie sich entfaltete.


Schweigt, unglückliche Drommeten!

Eines Vaters Eingeweide

Wenden sich bei eurem Hall.[270]

Quelle:
Herders Werke in fünf Bänden, Band 1, Weimar 1963, S. 267-271.
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