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[184] Tuxedo Park, Mai 1900.


Die hier verlebten Tage, lieber Freund, haben mir so unendlich wohlgetan, dass es mir Vielgewanderten ganz schwer wird, wieder aufzubrechen und weiter zu ziehen. Ich habe ein unbestimmtes[184] Gefühl, als sei ich in einem stillen Hafen und als warte meiner irgendwo draussen ein stürmisches Meer. Aber das muss ein Rest überangestrengter Nerven sein, die Ermüdung, die von langem Lastentragen zurückbleibt, die Angst vor dem Leben. Eigentlich war mir ja gerade in den letzten Tagen zuweilen so, als hörte ich unzählige kleine Stimmen sagen: »die Welt wird mit jedem neuen Frühling von neuem schön.« Die Schwalben meinten das, und die weissen Lämmerwölkchen am blauen Himmel, die tausend kleinen Insekten und die Millionen Samenstäubchen. Auch der schwarze Kater, der im Hof in der Sonne liegt, schnurrt gegenwartsfroh und zukunftssicher! Und am weltenzufriedensten scheinen Madame Baltykoff und Anstruther, die auch hier zu Besuch bei Bridgewaters sind. Sie hätten es mir gar nicht zu sagen brauchen, ich sah es ihnen gleich an – Madame Baltykoff hat Amerika gründlich studiert und ist dabei zum Ergebnis gekommen, dass das Beste und Behaltenswerteste, das das Land produziert, dieser eine Amerikaner ist. Sie scheint ruhiger geworden; vielleicht fehlte ihr, wie so manchem hin und her geworfenen Schiffchen, nur der richtige Ankerplatz, und sie hat den nun gefunden. Anstruther erklärte mir, Madame Baltykoff sei ihm in jeder Beziehung überlegen (das gehört nun einmal zum Credo jedes netten[185] Amerikaners über alle Frauen, sogar über die eigene); nur in seiner amerikanischen Nationalität besässe er einen grossen Vorteil über sie und den böte er ihr an, mit ihm zu teilen. »Nach all ihren Ansichten,« sagte er, »verdient sie eine freie Amerikanerin zu sein.« Mr. Bridgewater meint, diese Verlobung sei ein Schritt zur Amerikanisierung der Welt auf sozialem Wege und in dieser Amerikanisierung erblickt er ja die Aufgabe des kommenden Jahrhunderts. Das einzig Betrübende in der allgemeinen Freude ist, dass Anstruthers Name aus dem Klub der vierzig amüsantesten Männer gestrichen werden muss. Kein Mitglied darf verheiratet sein. Ist es nicht beschämend, dass man in diesem gegen Frauen doch so galanten Lande zur Überzeugung gekommen ist, dass die Ehe sofort geisteslähmend wirkt?

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Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten, Berlin 521903, S. 184-186.
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