Zweiter Aufzug


Vorhalle in Kreons Haus. Zur Rechten über einer Stufe liegt der Knabe Schwertträger fest eingeschlafen. Türhüter, Wärter der Hunde stehen beisammen.


KNABE regt sich im Schlafe.

Mein Herr und König, ich will dich sehn in deiner ersten Schlacht.

WÄRTER.

Wer redet?

TÜRHÜTER.

Der Knabe.

WÄRTER.

Träumt der laut wie ein Jagdhund?

TÜRHÜTER.

Dabei schläft er so fest wie ein Toter.

KNABE.

Hörst du denn nicht, mein König! Hör doch rufen!

Ein ganzes Volk, das ruft: Kreon und Theben!

WÄRTER.

Mit wem redet er?

TÜRHÜTER.

Mit dem Herrn vermutlich. Laß ihn und heb dich.

WÄRTER.

Er nennt ihn König.

TÜRHÜTER.

Kümmerts dich!

WÄRTER.

Wird unser Herr König sein in Theben?

Daß ers werden will, weiß ich schon.

Es läuft genug Gered darüber herum.

TÜRHÜTER.

Redest du mit deinen Hunden auch so viel?

WÄRTER.

Die wedeln vor Freude, wenn ich nur den Mund auftue.

TÜRHÜTER.

Ich nicht, wie du siehst.

WÄRTER.

Gestern ists zum Schlagen gekommen

zwischen unseren Leuten und den Leuten

der Königin. Weißt dus nicht, oder tust

du nur so, als ob dus nicht wüßtest?

TÜRHÜTER sieht ihn bös an.

WÄRTER.

Wie du einem von meinen bösen Thessalischen

mit gespaltener Nase ähnlich siehst.

Du bist der Rechte, um die Tür zu hüten.

Sie sagen, wenn sie zehnmal ein Weib ist,

so ist sie Königin und darf die Krone und

das Königsschwert behalten. Und die Unseren

schreien: Für Kreon die Krone! Sind das Sachen!

TÜRHÜTER.

Vieh!

KNABE im Schlafe.

Ich will auf deinem Wagen stehn, mein König,

und dir die Pfeile reichen. Ich will schwelgen,

wenn du den Tod ausstreust mit Königshänden.

WÄRTER.

Hör den, der ist schon mitten drin.

TÜRHÜTER.

Ich sage, mach, daß du fortkommst.

WÄRTER.

Warum tut er das?

Warum ists ihm so um die Kron?

Ist er nicht der reichste Herr

im Land und der Bruder der Königin?

Hat er nicht einen Hundezwinger wie

kein König in Griechenland?

Ich verstehs nicht, was ihn treibt,

ich ließ' es, wenn ich er wäre.

TÜRHÜTER.

Er ließ' es auch, wenn er du wäre.

EIN DIENER kommt gelaufen.

Sie bringen den Magier!

Halb geführt und halb getragen!

Er hat die Augen zu, sie bringen ihn.


Der Magier Anagyrotidas, von zweien geführt. Ein verstörtes, bleiches Gesicht, die Augen mit schweren

Lidern geschlossen. Kreon tritt aus dem Haus hervor, fürstlich gekleidet.


DIENER zum Magier.

Du stehst vor Kreon, Mensch.

KREON.

Du bist der Magier?

MAGIER mit geschlossenen Augen.

Sein Leib, mit Schwerterhieben blutend aus

dem Mutterschoß der Nacht herausgehaun,

steht hier. Fluch über deine Knechte, die

ihn vor dich schleppten.

KREON.

Meine Knechte taten,

was ich befahl. Sie packten dich im Schlaf?

MAGIER.

Fluch dem, der es befahl. Die Nacht war gut.

Die Nacht war ohnegleichen. Auf dem Leib

des Opfertieres lag ich, zuckend mit

dem Zuckenden. Aus seiner Kehle troff

das Blut. Ich mischte meinen Hauch damit,

da fuhr die Seele mir aus meinem Leib

und schwang sich auf dem Tier hinab zur Herrin Hekate.

Weh, die Gelenke schmerzen!

KREON.

Laß sie schmerzen.

Ich leg dir Turmalin und Amethyst

herum!

MAGIER.

Den göttlich Nackten rissen sie

in kalte Finsternis empor.

KREON.

In Purpur

und Byssos will ich dir die Glieder wickeln.

MAGIER.

Verflucht ihr Atem, den ich spüren mußte.

KREON.

Wolken von Ambra über dich und Duft

von Myrrhen Tag und Nacht, wenn du mir hilfst!

MAGIER schlägt die Augen auf.

Was ists, das du begehrst?

KREON.

Muß ich dem Magier

viel reden? Mach mir meine Seele stark,

Anagyrotidas, dann fordre, was du willst.

MAGIER.

Du bist in einen großen Kampf verstrickt

um einen hohen Preis.

KREON.

Du sagst es.

MAGIER.

Tag

und Nacht hörst du nicht auf zu ringen.

Du hast mich aus dem Grab gescharrt, darin

ich lebend lag, du kannst nicht länger warten:

denn eine Kraft ist dir entgegen, stärker

als deine Kraft.

KREON.

Du hast es wiederum

getroffen.

MAGIER.

Aber nicht im Lichte wird

der Kampf gekämpft: ein Etwas aus dem Dunkel

wirkt seinen Zauber gegen dich.

KREON.

So scheints.

MAGIER.

Von nah Verwandten etwa geht es aus.

KREON.

Magier, du bist sehr klug.

MAGIER.

Für meine Augen ist

ein Menschenleib ein aufgeschlagnes Buch,

und jede Seele trägt die Miene ihres Schicksals

vor meinem Blick.

KREON.

So kannst du meinen Feind

mir sagen?

MAGIER.

Groß ist seine Kraft. Das seh ich.

Drum flackert dein Gesicht, wie dessen, der

gemartert wird. Er saugt an deiner Seele.

Er stiehlt dich von dir selber. Wo du bist,

dort bist du nicht. Der Tag, den du betrittst,

ist doch nicht völlig Tag, die Nacht nicht völlig Nacht

und gleicht von fern nur frühren Nächt und Tagen,

stets schweifst du, wie auf einem fremden Stern,

und Fremdes schweift durch dich, die Krongewalt der Seele

der eigenen, ist dir entwendet, und der Welt

Gebirg und Meer und Täler sind die Kissen nur,

die deine Seele qualvoll durcheinander wirft,

um sich zu wälzen aus dem wüsten Fiebertraum.

KREON.

Oh, du bist groß, der meine Krankheit kennt

und hat mich nie gesehen! Magier,

befreie mir die Seele, und ich lasse dich

auf einem weißen Roß mit goldnen Zäumen

nach Hause führen!

MAGIER.

Der Feind, der mit dir ringt, hat eine mächtige Seele.

KREON.

Ich nenn ihn dir, Anagyrotidas!

dann aber hilf mir: es ist meine Schwester.

Versöhne mir die Schwester, daß sie mir

die Seele freigibt und mich König werden läßt!

Sie hat mich einst geliebt, nun haßt sie mich,

die Schwester, hörst du mich? Sie ist der Dämon,

der mir die Seele aus dem Leibe saugt:

denn ich hab fürchterlich an ihr getan,

so tut sie fürchterlich an mir und zahlt.

In ihrer Hochzeitsnacht, verstehst du mich,

am Abend, da sich König Laïos

vermählte mit Jokaste, sandten mich,

den Knaben, der ich war, die hohen Priester

mit einer Botschaft. Willst die Botschaft wissen?

So fahr auch dieses hin! Dies war die Botschaft:

»Nimm, Laïos, dich in acht, eh du das Bett besteigst,

und wahre dich, denn wenn dir je der Schoß

der leuchtenden Jokaste einen Sohn gebiert,

so stirbst du auch von dieses Sohnes Hand.

Nun wähle!« Fürchterliche Botschaft, Magier,

im Mund des Kindes! Magier, es war

die Hochzeitsnacht des Königs. War die Nacht,

da er dem jungfräulichen Weibe nahte. Schwebt da nicht

die Herrin Hekate ganz nah der Erde,

wenn solch ein Königskind gezeugt soll werden?

Verflucht die Priester, die dem Kind das taten.

Aus Kindesmund den giftgen Tod hinein

zu träufeln in die Lebenssaat! Da gings

wie mit der giftgen Salbe, die Medea

zur Hochzeit der Kreusa sandte: die

zerfraß das Salbengefäß.

MAGIER.

Zerfraß das Gift

des Kindes Seele?

KREON.

Ja, du fassest mich,

so hilf mir, Magier!

MAGIER.

Ich seh durch wüsten Nebel

Die Nacktheit deines Herzens glühn, gieß aus

die Seele, wie das schwarze Opferblut!

KREON.

Durchdringen dich mit meines innersten

Geschicks unnennbarstem Gefühl, das will ich,

du großer Magier! Verlaß mich nicht,

denn heut entscheidet sich mein Schicksal, Magier.

Von dem Tag an zerfraß mein Herz und Hirn

dies Wissen: Du bist König, bis dahin

bist du das ungeborne Schattenbild

von einem König! Mensch, von Stund an waren

des Lebens Möglichkeiten abgelebt

im voraus. Welche Taten sollt ich tuen?

Sie waren alle unfruchtbar, sie rissen

die Krone nicht von Laïos' Kopf herab.

Da ließ ich meine Hände von den Taten.

Ich wanderte, mich widerte das Land,

ich ging zu Meer, da war das Meer erschöpft.

Des Weibes Lust zu voraus abgeweidet,

als hätt ich jede nackt in meinem Traum

gehabt und wiederum von mir getan.

Ein jedes Ding der Welt, ja auch der Mord,

hörst du mich, Magier, auch der Mord so schal,

als hätte ichs gekostet und dann wieder

von mir gespieen. Magier, die Götter

verglühten mir wie alte Fackeln! Ausgesogen

war das Weltall, hörst du mich?

Das hat Jokaste mir getan, ihr Blick

hat mich gefeit gegen das Leben: weil

ich ihr das Ungeborene erwürgte,

hat sie mir so gezahlt, entmannt mein Wollen,

in ungeborene kraftlose Träume mich

gejagt. Ich hab zu viel geträumt. Beschneide mir

die Träume, Magier, mit einem Messer:

denn nun ist Laïos tot,

nun müssen meine Kräfte schwellen

zum Reißen, Mensch, nun muß ich greifen können

nach Kron und Schwert, die Träume muß ich abtun:

ein König träumt nicht, eines Königs Träume

gehen aus ihm hervor und werden Taten

und thronen in der Welt. Nun muß ich blühn,

sonst faule ich! Dies ist mein Schicksalsmorgen, Zauberer,

wenn du dran stürbest, reiß mir aus der Nacht

ein Ding hervor, dran ich mich klammern kann,

ein Ding, und wär es eine Qual, nur so viel

als dem, der spielt, das Blinken des noch nicht

geworfnen Würfels ist, daraus der Abgrund

ihm grinst und auch der Himmel lächelt! Magier,

nur einen solchen Lebensblick aus der

versteinten Welt, den zaubre mir hervor,

dann bin ich König, Magier, dann fordre

die Welt von mir! Wo geht dein Auge hin,

sieh mich nicht an, als ob du mich nicht kenntest.

Die Kraft über Jokaste! Soll ich Kräuter

anzünden? Willst du einen Becher trinken,

drin Perlen aufgelöst sind? willst du baden,

und wärs in Menschenblut? Womit bezwing ich

die Schwester?

MAGIER.

Opfre, Kreon, opfre, Kreon!

KREON.

Was opfre ich? Die ganzen Herden, Magier?

Das Haus? Befiel, es geht in Flammen auf,

die Edelsteine, die Gewänder, alles?

MAGIER.

O Kreon, was du nicht gekauft hast, Kreon,

ganz unbefleckt von deiner Seele Gier

und dennoch dir gehörig, dieses opfre

geschwinde.

ZWERG hinzuspringend.

Solch ein Ding

ist nicht auf Erden, Zauberer, du lügst.

Kreon ist solch ein reicher Fürst, die Welt

hat nicht, was Kreon nicht sich kaufen könnte;

hat er nicht mich gekauft, den schönen Zwerg,

mich, den Äthiopien geboren hat?

Die Welt ist feil für Kreon. Kreon opfert

kein ungekauftes Ding.

KREON.

Leckst du die Lippen

und eiferst Hohn auf mich? Die Peitsche her!

ZWERG läuft fort.

KREON zum Magier zurück.

Was greifen deine Arme in die Luft?

MAGIER.

Mein Dämon faßt mich an. Verflucht die Hände,

die mir den heilgen Schlaf zerrissen, Fluch

der Gier in meinem Herzen, daß ich kam.

KREON.

Und stürbest du, ich will die Antwort haben!

Was muß ich opfern?

MAGIER.

Kreon, sei verflucht,

aus meines Todes Schweiß heraus verflucht,

für dein und meine Gier.

Auch wenn ich jetzt nicht sterbe, sei verflucht,

daß ich den Tod vorkosten muß.

KREON.

Die Antwort.

MAGIER.

Ich sterbe.

KREON packt ihn.

Wie bezwing ich mein Geschick?

MAGIER stürzt zu Boden.

KREON.

Ihr Diener!


Diener kommen.


Schafft dies fort.

EIN DIENER.

Er ist nicht tot.

So lag er auch, als wir ihn holten: auf den Knien

bat uns sein Bruder, ihn zu schonen, bis

die Seele ihm von selbst zurückgekehrt.

Du hattest uns befohlen: diesen Morgen!

so schleppten wir ihn her.


Zwei tragen den Magier weg.


KREON.

Ins Haus, mir aus den Augen.

Die Welt ist übertüncht. Ich hab das Glück,

daß unter meinen Augen ihre Risse

aufklaffen und mir scheußliche Geburten

entgegenspringen. Mußt ich noch die Leiche

an meine Brust mir legen? Wie lang schlief ich

heut morgen?

DIENER.

Herr, du schliefest nicht, du warst

zu Wagen in der Stadt.

KREON.

Vergeß ich das, du Tier?

Wie lang ich nach dem Bade schlief?

DIENER.

Nur kaum

geruhet hast du nach dem Bad, die Augen

kaum zugetan.

KREON kehrt ihm den Rücken. Der Diener geht, sich neigend.

Die Augen kaum. Und dennoch

so maßlos widerlich geträumt. Mich alt geträumt,

mit einer wüsten Schwere in den Gliedern,

und noch nicht König, immer noch nicht König

in Theben! Was? So etwas wie ein Diener

des neuen Mannes, der dann König war.

Ich glaube, als sein Bote stand ich vor ihm

und wurde ausgescholten. Brächt ich nur

den Ton aus meinem Ohr, mit dem ich ihm

entgegnete, ein ekler Ton, ich glaub

ich habe sein Gewand mit meinen Händen

demütig angerührt. Verfluchter Traum!

Und wie ich das Gesicht des fremden Menschen

in mir nicht wiederfinde. Wenn ich glaub,

da ists, dann nimmts von Laïos Züge an,

ist eine Art von jüngrer Laïos, ist

ein Laïos, der wiederkam! Wer bin ich

wenn ich voll Stoff zu solchen Träumen bin?

O bodenloser Abgrund, wenn das Zeugende

des tief geheimen Denkens mir zu innerst

mit solcher Unkraft mir vergiftet ist

und in so fahlen Träumen seinen Atem

ausläßt, daß mir vor Ekel übel wird.

DER KNABE schnell aufstehend.

Herr, was befiehlst du mir?

KREON.

Schlaf fort, das junge Blut

braucht seinen Schlaf.

KNABE.

Heut nicht. Ich schlief auch nicht.

KREON.

Du schliefst nicht?

KNABE.

Nein, doch Herr, ich lehnte hier:

dein Schritt ist wie des Panthers, und ich habe dich

gehört den Gang herüber aus dem Bade.

Schlief ich im Stehen?

KREON.

Ei, war niemand hier?

KNABE.

Kein Mensch.

KREON.

Ach!

KNABE.

Herr, du seufzest?

KREON vor sich.

Eine Nacht

voll solchen Schlafs.

KNABE.

Wie sollt ich schlafen können

nach einer solchen Nacht! Herr, du bist bleich

nach einer solchen Nacht!

KREON.

Was weißt du, Knabe,

von meinen Nächten?

KNABE.

War ich nicht mit dir?

O was für eine Nacht, Herr! Einen König

hat sie gemacht und hats gewußt und funkelnd

und blinkend sich gebrüstet, daß sies wußte.

Und wo du tratest in die Häuser, Herr,

da schlug das Dunkel vor wie eine Mähne,

und aus dem Dunkel hob sich Wind und rauschte

und deckte das Geheimnis zu. Die Sterne wollten

aus ihrer Fassung brechen, um herab

zu stürzen in dein Diadem. Ich lag

bei deinem Wagen vor den Häusern, fliegend

in Fieber.

KREON.

Knabe, wenn ich König bin,

so laß ich deinen Namen in das Gold

des Weinpokales graben, draus ich trinke

zu Abend.

KNABE.

Und ich horchte in das Raunen

und Rauschen in der Luft, die königlich

dein Schicksal wob, und wenn ein dumpfer Laut

hervordrang aus den Häusern, wußte ich,

nun fallen Männer, fürstliche, vor dir

zur Erde, ihrem König sich zu weihn.

Mit dieser Nacht hast du vorausbezahlt

den Pfeil, der mich in deiner ersten Schlacht

ins Herz mag treffen, Herr, und wenn er kommt,

sink ich von deinem Wagen in den Tod

und lache, wie der Schwimmer, der vom Kahn

sich gleiten läßt ins Wasser, weil er satt ist

die Lust des Fahrens.

KREON.

Könnt ich seine Worte

für einen Morgentrunk in meine Seel

mir trinken. Ah, durchlöchert ist der Becher,

nichts kommt in mich.

KNABE.

Herr, ich hör einen laufen,

ein Bote, Herr. Hierher, hierher!

KREON vor sich.

Was kann da werden? Hat ein Sieger je

an seinem Königsmorgen so geträumt?

ERSTER BOTE hereinstürzend.

Wer weist mich zu dem Fürsten? Wo im Hause

find ich den Kreon, der heut König wird?

KREON hervortretend.

Was bringst du ihm?

BOTE fällt vor ihm nieder.

Ein ungeheures Glück.

Die Worte sind zu arm, du großer Fürst.

Vom flachen Land komm ich hereingeflogen:

es sammeln sich die Hirten deiner Herden,

die Knechte sich im Wein- und Ackerland

und sie ergreifen Winzermesser und

sie binden Sicheln an die Hirtenstäbe:

es sind Sendboten durchgeritten überall.

KREON.

Sendboten?

BOTE.

Weiß auf schaumbedeckten Pferden.

KREON.

Geschickt von mir?

BOTE.

Von dir? Von Göttern scheints

gespornt und ausgespieen von der Erde!

Es heißt, durch eines deiner Dörfer hat man

die Dioskuren selbst jagen sehn

und rufen hören: Waffnet euch, ihr Männer,

für Kreon! Waffnet euch und zieht hinein,

ihm helfen!

ZWEITER BOTE schnell auftretend.

Botenlohn, mein großer Fürst,

ich bin Agathokles, der Tagesläufer,

und bring die Krone dir von Theben, Kreon,

im Mund getragen.

KREON.

Laß sie fallen, Freund.

ZWEITER BOTE.

Die Stadt ist auf, das Schifferviertel brennt,

und wie mit Nackten und mit Schreienden

der Fluß und Strand sich füllen, von den Brücken

da schreits herab: Laßt eure Häuser brennen,

ihr Schiffer, Kreon wird euch Häuser geben!

Auf, die ihr keine Häuser habt, zu Kreon,

der König sein soll!

KREON.

Und wie wirkt das Wort?

ZWEITER BOTE.

Wie's wirkt? So, daß sich aus dem Löwentor

Zehntausend wälzen, ehe eine Stunde

vergeht, um dort vor jener Königsburg

für dich zu pochen, Herr!

DRITTER BOTE auftretend.

Was immer diese melden, König Kreon,

heiß sie zur Seite stehn und warten, ich

allein bin wert, gehört zu werden.

KREON.

Bursche,

du grüßest vorschnell.

DRITTER BOTE.

Nein, ich grüße richtig,

denn aus der heilgen Straße komm ich keuchend:

da wälzt sich dir ein unerhörter Zug,

ein unabsehbarer von Priestern, Kreon,

und dieses singen sie: Seht euren König,

ihr heiligen Thebaner, der die Sphinx

vertreiben wird aus ihrer Kluft zu Harma,

und Kreon ist sein Name.

KNABE.

O mein König,

ich fühle wie die Züge sich begegnen!

In meiner Brust, geliebter Herr, begegnen,

einander sich die drei, wie Flüsse dröhnend!

Verfärbst du dich?

KREON.

Vor Ekel über dich

schmeichelnde Kröte, lügnerische.

KNABE.

Ich

dir lügen?

KREON.

Wie soll dies geschehn können

jemals, daß diese glatten Künste, diese

erbärmlich mühsam ausgesonnenen,

Gewalt bekommen, wirkliche, das Volk

empor zu reißen zu der Königsburg,

auf daß sie mich zu ihrem König machen,

mich, dessen Herz sie minder kennen als

die Klüfte des Kythäronbergs da drüben?

KNABE zu den Boten.

Ich bitt euch, geht, der Herr, ihr seht, ist unwohl.

Im Hause seid so gütig, Freunde, wartet.

Man ruft euch wieder.

ZWEITER BOTE.

Herr, bei meinem Kopf,

ich hab dir wahr geredet.

KNABE.

Geht nur, geht,

wer zweifelt!

ERSTER BOTE in der Tür noch zu Kreon.

Wie ich sagte, Herr, die Deinen

unzählbar wimmeln aus dem flachen Land

gewaffnet.

KREON.

Auch die Dirnen?

ERSTER BOTE.

Wie, mein Fürst?

KREON.

Ich meine, ob die Dioskuren auch

Kuhdirnen sich bewaffnen hießen, mir

die Krone zu ergattern?

KNABE.

Geht, man ruft euch.


Drängt sie ins Haus.


KREON.

Was starrst du so auf mich? Da du ja weißt,

daß ich dies alles ausgesonnen habe,

da du ja weißt, aus welchem Stoff dies alles

gebildet ist! Wie kannst du jubeln, Schlange,

wenn du vernimmst, daß nun die Sonne das

soll sehen, was der bodenlose Abgrund

heraufschickt, der die fahlen Träume mir

gebiert! Dies alles ist die Kreatur

meines Verlangens: Knabe, wo war Kraft in dem Verlangen?

Verflucht, was da erbärmlich sich hinaufschleppt:

ich wills erwürgen, eh die Sonne es bescheint.

Mich graust, ich will nicht vor den Spiegel treten,

in dem ich ganz mich sehen muß!

KNABE.

Mein König!

KREON.

Ja, wirst du fahl, wird alles fahl, worauf

mein Auge fällt? Muß ich mit jedem Blick

die Leichen sehn in übertünchten Gräbern?

Tritt ab!

KNABE.

Herr, fürchterlich versuchst du mich,

Doch du versehrst mir meine Seele nicht.

Hör ich dich reden, daß das Blut mir friert,

so denk ich: träumend mußt du nieder, wie

das Niedrige empor sich träumt, und säh ich

dich tun mit den Händen eine Tat

des Grausens, säh ich dich in Schmach und Leiden

dich wälzen, dann noch schriee es in mir:

so müssen Könige ihr Diadem aufwiegen,

und würfe mich vor deine Füße hin.

KREON.

Wie klug du lügst.

KNABE.

Veracht mich nur, was hab ich

vor dir getan!

KREON.

Ah, schminkst du dich mit Tränen?

Man kann sich auch mit Taten schminken, also

warum mit Tränen nicht? Sag mir, womit

hab ich denn dich gekauft? Ists mit dem Glanz

des Königsschwertes, das du vor mir her

willst tragen? Mit dem Platz an meiner Seite

in meinem Wagen? Füllen die die Seele dir

bis an den Rand?

KNABE.

Du hast mich nicht gekauft,

es sei denn damit, daß du Kreon bist

und ein geborner König. Sieh, das kann ich

beweisen, Herr, mit einer Schrift, die mir

auf meiner Brust geschrieben ist.

KREON.

Die Narbe

hier überm Herzen

KNABE.

Ja! Die ist aus einer Nacht,

da lagen wir auf unsren Knien in Theben,

und in das Dunkel sangen zu den Göttern

die Priester. Trug der Nachtwind dirs herauf?

Denn alles dieses war um deinetwillen.

KREON.

Wars die Nacht,

da ich die Sphinx bestehn ging?

KNABE.

Die Nacht.

Mit einem Mal erloschen alle Lichter,

und alles Singen wurde still, und alle beteten für dich,

mir aber schien mein Beten zu gering,

denn es bestand nur aus Gedanken, zwar

aus glühenden, doch haftet auch Gedanken

noch von der Nichtigkeit der Worte an.

So griff ich nach dem kleinen Messer, das ich

im Gürtel trug, und ließ mein Blut hinfließen

für dich.

KREON.

Und ich, bevor der Morgen graute,

bin ich zurückgekehrt, unfruchtbar war

mein Gang und dein Geopfertes vergeblich.

Ekelt dich nicht?

KNABE.

Die Götter wolltens nicht

in jener Nacht. Sie gaben dir ein Zeichen:

sie ließen deines Fackelträgers Fuß

ausgleiten und er stürzte in den Abgrund,

so mußtest du zurück. Doch, siehe, ich,

ich wußte nicht, daß ich im Leben noch

die Augen würde auftun, und ich wußte nicht,

daß dein Schwertträger lag, wo nur die Geier

ihn fänden!

KREON.

Midas bin ich, Midas, Midas,

dem was er anrührt scheußlich sich verwandelt!

Ich hab auch dich gekauft, schwachsinn'ger Knabe,

es waren nicht die Götter, die den Mann,

der mir die Fackel trug, in Abgrund stürzten.

KNABE.

Auf einem solchen Wege strauchelt keiner

von ungefähr.

KREON.

In seinem Rücken steckt mein Dolch.

KNABE.

Sag nein!

sag, daß du mich nur prüfst! Wenn du ihn haßtest,

warum dein Schwert ihn tragen lassen?

KREON.

Knabe,

ich weiß nicht, ob ich ihn gehaßt hab oder

geliebt. Doch wie er damals vor mir herging,

so fühlte ich, daß er in seinem Herzen

nicht glaubte, daß ich siegen würde, hörst du?

Ich fühlte es an seinem Schritt, ich konnte

es seinem Rücken ansehn, – da erstach ich ihn.


Der Knabe verhüllt sich das Gesicht.


KREON.

Wenn er als Fackelträger vor mir herging

und mich im Innern preisgab, war er da

nicht ein Verräter?


Der Knabe zittert.


KREON.

Schweigst du mir? Du meinst, entscheiden

darüber könnte einer nur, der wüßte,

ob er im Herzen ein Verräter war

an mir – vielleicht in seinem Herzen litt er

an seinem Zweifel. Sieh, ich sage dir,

wer so ist, dem ist besser, nicht zu leben.

Einfache Seelen sollen leben, Knabe.

Nun, Knabe, willst du noch Kreons Schwertträger sein?

KNABE auf der Erde.

Laß mich.

KREON über ihn gebeugt.

Hab ich dich Furcht gelehrt, und gingest immer

wie einer, den vom Rücken nichts bedroht,

Beneidenswerter!...


Eine Stille.


Also doch gekauft,

gekauft ums Leben dessen, der vor dir

mein Schwert trug...


Eine Stille.


Und mir ist, als hätte etwas mir

die Hand geführt bei dem lautlosen Stoß:

vielleicht war das dein Dämon, Knabe. Knabe,

hast du nicht ein begehrlich Spiel gespielt,

die Nacht mit deinem Blut?


Geht weg zur Tür.


KNABE sich aufrichtend.

Weh, bleib ich nun bei dir,

so denkt dein Herz, du habest mich gekauft

mit deines Schwertes Glanz und mit dem Platz auf deinem Wagen.

KREON an der Tür.

Hörst du, wie die uralten Totenlieder

um Laïos aus allen Mauern dringen?

Die Königin ist stark, verlaß mich, Knabe,

wer klug ist, läßt ein Schiff, das sinken soll.

KNABE steht auf, gebrochen.

Dein Blick ist traurig, Herr, wie ich ihn nie

gesehen habe. Über einen Abgrund

von Qualen kommt er mir herüber. Herr,

wie wenig kenne ich dein Herz! ich fühle,

du kannst hier sein und anderswo. Mein König,

wo bist du?

KREON.

Immer wo ich nicht sein will,

einfache Seele du. Was gäb ich drum,

bei dir zu sein, den ich erkauft mir hab,

und bin, ich glaub, bei dem, der tot ist, der

im Abgrund dort verwest.

KNABE.

Herr, deine Seele

ist krank, mein König.

KREON.

Und doch könnt ich dich

mehr lieben, als ich jemals ihn geliebt.

Allein ich glaub, er gab mir größre Kraft,

wenn er bei mir war. Wär er jetzt bei mir,

mir ist, ich stünde nicht von meiner Unkraft

geschüttelt hier, mir ist, wär er bei mir,

ich läg und schliefe jetzt und aus dem Schlaf

mich wecken kämen sie und legten mir

die Krone auf mein Bett.

KNABE.

Mein Herr und König,

in deiner ersten Schlacht will ich auf deinem Wagen stehn,

mit offnem Hals und unbedecktem Haupt

und mich für dich dem ersten Pfeil hingeben.

KREON.

Ist das die Luft, in der ich siegen kann?

Wie sie die unheimlichen Totenlieder mir

herüberjagt zum Hohn!

KNABE.

Die Lieder sind

um Laïos, der König war vor dir.

KREON.

Ganz recht, warum zog Laïos hinaus

und ließ die Lanzenträger hinter sich?

Wem hält das Weib die Burg? Für wen bewahrt sie

Stirnreif und Schwert?

KNABE.

Das Volk von Theben pocht

ans Tor für dich.

KREON.

Verdammter Widerhall

kraftloser Wünsche. Nirgends aus der Luft

schwingt sich ein Helfer mir und wär es nur

ein Fächeln, nur ein Hauch. Wie ausgesogen

das Weltall. Zog er nicht hinaus wie einer,

der Platz zu machen geht? Für wen? Ich muß sie fragen.


Will fort.


KNABE.

In einer Stunde, Kreon, bist du König,

dann frag.

KREON.

Jetzt muß ichs wissen, blöder Knabe,

jetzt oder nie. Sie thront und ist ein Dämon

voll Kraft und höhnt mich mit den Totenliedern,

sie hält mein nacktes Schicksal in den Händen.

KNABE.

In deinen Händen ist dein Schicksal, Kreon.

KREON.

Schweig mir! Warum zog Laïos in den Tod?

Es gibt keinen Gedanken auf der Welt, als diesen.

KNABE.

Weil Laïos in seinen Tod hinauszog,

um dessentwillen kannst du König sein,

eh diese Sonne sinkt.

KREON.

Blödsichtger Knabe, eben

weil dies auf meinem Weg so lächelt, darum

atmet es mein Verderben!


Stürzt hinaus.


KNABE.

Kreon! Kreon!

Er hört mich nicht – Ich bin ihm nichts. Das Weltall

stockt rings um ihn. Er glaubt an keinen Menschen.

Kein Weg zu ihm. Ein Weg ist immer: einer –

vor dem mich schaudert, dieser ist der meine,

der einzige, – sonst bin ich nichts, verworfen,

ein Scherben.


Zieht ein Messer.


Kreon,

du sollst den Dämon haben, der sich dir

herniederschwingt aus leerer Luft und Kraft

in deine Seele fächelt, o mein König! ...

Man kann sich auch mit Taten schminken. Gräßlich,

daß mir das einfällt. Fort, das ist ein Wirbel,

der mich nicht packen darf. Ich muß mich haben.

Jetzt darf ich schnell mich geben.


Geht ins Haus.


VIERTER BOTE kommt eilig.

Kreon! Kreon!

FÜNFTER kommt.

Die Schiffervorstadt brennt, zehntausend schreien

nach einem König. Wo ist Kreon?

VIERTER.

Kreon!

FÜNFTER.

Ins Haus, dies hat nicht Zeit!

VIERTER in der Tür.

Hier liegt ein Mensch.

FÜNFTER bei ihm.

Sein Knabe? Schläft der hier?

VIERTER.

Ich bin voll Blut.

FÜNFTER.

Der Knab ist tot!

VIERTER.

Er ist noch warm, doch jetzt

ist nicht die Stunde, dies zu melden.

SECHSTER kommt eilig.

Kreon!


Verhangenes Gemach im Palast. Halbdunkel. Links führen Stufen zu einer türlosen Öffnung in ein anderes, höher gelegenes Gemach.

Jokaste tritt herein. Im gleichen Augenblick tritt oben auf der Schwelle des Nebengemachs Antiope hervor. Ihr greises Gesicht ist blutlos weiß; ihr dunkles Gewand verfließt in der Dämmerung des Raumes. Sie stützt sich auf einen Stab.

Im Augenblick, da Jokaste hereintritt, hört man sehr stark den Gesang der Totenklägerinnen im Hause. Dann dämpft er sich sogleich, als wären Türen zugefallen.


JOKASTE.

Schläfst du, Mutter?

ANTIOPE von oben, wo sie bleibt.

Meine Augen schlafen, aber mein Herz ist wach.

Was singen die?

JOKASTE.

Die Totenlieder, Mutter,

um Laïos, deinen Sohn.

ANTIOPE.

Und du klagst nicht?

Du liegst nicht an der Erde? Dein Gewand

ist nicht zerrissen?

JOKASTE.

Meine Frauen haben

die Brüste sich zerschlagen. Hörst du nicht,

wie das Gewölbe schallt von ihren Klagen?

Sie wälzen für mich ihren traurigen Leib auf der Erde,

in mir ist alles auf Tod und Trauer gestellt –

was brauch ich die Zeichen?

Was frommt mir die Gebärde?

ANTIOPE böse.

So große Kräfte sind in deinem Blut,

du Königin, die große Priesterin –

wer ergründet deinen königlichen Sinn!

was brauchst du die Toten zu ehren!

JOKASTE.

Was willst du, Mutter, von mir?

ANTIOPE.

Wehe denen, die unfruchtbar sind!

JOKASTE.

Mutter, du hast zu lange gelebt –

so warst du fruchtbar und bist es nicht mehr,

deine gesegneten Hände sind heute wieder leer,

kinderlos ist wieder dein Schoß.

Und der Wind gehet um dich herum

so wie um mich.

ANTIOPE.

Wehe über dich, daß es so ist!

Dein Wort kehrt sich wider dich,

indem es aus deinem Munde geht.

JOKASTE.

Mutter, was willst du von mir?

ANTIOPE.

Laïos, meinen Sohn, will ich von dir!

Gib mir ihn wieder!

JOKASTE.

Mutter, er war mein Mann. Wer hilft mir?

ANTIOPE.

Ich stand aufrecht, als sie aus Königsschlachten

meinen Mann und meine Brüder brachten.

So wie Laïos starb, dürfen Könige nicht sterben:

vor der Zeit bleichte sein Haar,

mit Netzen umstellte ihn, daß ich es sah,

ein langsames Verderben.

Gib mir ihn wieder!

JOKASTE.

Mutter, komm zu dir! Ich bin seine Frau.

ANTIOPE.

Wer die Unfruchtbare zu sich nimmt,

auf den blicken die Götter ergrimmt.

Er schläft mit ihr, er teilt mit ihr sein Brot, –

so ißt er sich den langsamen Tod.

Er atmet den Fluch in sein eigenes Blut,

er wird des Lebens nimmer froh –

wehe!

JOKASTE.

Mutter, von wem redest du so?

ANTIOPE.

Du warst seine Frau? So höre mich an,

die ich auch eine Königin bin.

Ich weiß die Gesetze und die Gebräuche und ihren Sinn.

Königen sind ihre Frauen gegeben,

damit das, was königlich war an ihnen,

an ihren Seelen und ihren Mienen,

ihre Königsgedanken und Königsgebärden,

unter den Völkern weiterlebe:

wo ist das Ebenbild, geprägt in deinem Schoß,

darin ich königlich und groß

meinen Sohn wiedersehe?

Bring ihn doch, daß ich mich freue seiner Nähe!

JOKASTE.

Mutter, laß uns jede in ihre Kammer gehn

und um die Toten weinen.

Aber es sind nicht alle Dinge auf Erden

so wie sie scheinen.

ANTIOPE schweigt haßvoll, wendet sich aufgestützt halb ab.

JOKASTE die Hände zu ihr hebend.

O Mutter meines Königs und Erlauchte,

wie glich mein Gatte dir an Stirn und Aug.

Ich neige mich vor dir, die du ihn mir

geboren hast.

ANTIOPE.

Warum zog Laïos,

mein Sohn, hinaus? Ich weiß, du kannst nicht lügen,

so sag es mir. Ertrug er nicht das Haus,

das ohne Kinder war, und widerte

dein unfruchtbares Bette seinem Herzen,

daß er hinzog mit wenig Knechten, so

wie einer, der den Tod nicht meiden will?

JOKASTE.

Wer meidet seinen Tod? Nach Delphoi zog

dein Sohn zum Gott –

ANTIOPE.

Im Herzen welche Bitte,

die, ehe sie ans Licht kam, ungesprochen,

ermordet ist mit ihm zugleich?

JOKASTE.

Du fragst?

Die Sphinx! Erträgt ein König das?

ANTIOPE.

Du teilst sein Bett; du sagst, das war der Grund?

JOKASTE.

Seitdem der Dämon sich zum Nest gewählt

die Höhle dort und singend Männer würgte,

kam Nacht für Nacht kein Schlaf in unsre Augen,

wir saßen aufrecht da und lauerten,

und gräßlich wars zu hören – gräßlicher

die Stille. Unsre Blicke mieden sich

und unsre Lippen blieben zu – allein

wir dachten nur das Eine.

ANTIOPE.

Warum zog

der König nie hinaus und brachte Opfer

und übte heilge Bräuche vor der Höhle,

darin sie haust?

JOKASTE.

Dies ist – vielleicht geschehn –

vielleicht hat Laïos ein sehr großes Opfer

gebracht in einer finstern Opfernacht.

ANTIOPE.

An welchem Ort?

JOKASTE.

Die Götter selber wählen

den Ort.

ANTIOPE.

Allein der Dämon lebt und mordet!

So war dies Opfer nicht genug.

JOKASTE.

So scheints.


Für sich.


Ich sag mirs selbst – nun sagt sies auch. Leb wohl.

ANTIOPE.

Leb wohl? Du bleibst ja hier. Und ich – auch ich –

Meinst du, ich stürbe schnell dem Sohne nach,

und sagst mir Lebewohl? Allein ich lebe.

Und wenn mich dies nicht in die Grube warf,

so steh ich fest: uralte Götter nähren

mein altes Blut, die Nacht und andere,

zu denen ihr zu wenig betet. Ich

bedarf nicht Schlafes. Meine Augen sehen

die Nacht, auch wenn es tagt, so wie wer tief

genug in einen alten Brunnen stieg,

die Sterne auch am hellen Mittag schaut.

Ich lebe halb im Leben, halb im Tod.

Die ich geboren habe, sind dahin.

Der erste war ein schönes Kind: ihn zog

ein glitzernd helles unschuldsvolles Wasser,

ein liebliches hinab, – da war er tot.

Der zweite war ein kühner, wilder Knabe:

er legte Feur an seiner Feinde Stadt,

und Feur verbrannte seinen Leib. Der dritte –


Sinnt nach.


der dritte war dein Mann, er fuhr die Straße

durch fremdes Berggeklüft in Nacht und Wind

und kam nicht mehr zurück. Ich aber lebe.

Was ich dahingab an den offnen Tag,

ist mir zur Nacht geheim zurückgekommen.

Mir ist, ich überlebe auch noch dich.

JOKASTE vor sich.

Das kann leicht sein.

ANTIOPE.

Obwohl du dastehst funkelnd

von innen und bezeichnet bist mit Zeichen

des Lebens – so wie Laïos für mein Aug

die Todeszeichen trug. – Doch was mich hält,

ist gleich geheimnisvoll wie das, was lebt

in dem Rubin, dem einzigen, der mitten

im königlichen Stirnreif stizt und nachts

viel stärker als am Tage glüht, und stoß ich

einmal die Nahrung und den Trunk zurück,

so leb ich dann vielleicht noch Jahr und Tag,

im Dunkel kauernd, von den matten Blitzen

des Königsschwerts, das dort am Nagel hängt.

Von diesem Stab löst meine Hände nicht

der Tod: es muß ein Gott und ein Geschick

des Weges kommen und mir aus den Händen

ihn winden.

JOKASTE.

Ja, du redest zu den Göttern

wie zu verwandtem Blut. Du ringst mit ihnen

wie eine Riesenfackel mit dem Sturm.


Für sich.


Ich brenne mit so schwacher Flamme, käme

ein Kind, das irgendwo im Schatten steht,

es könnte sie ausatmen. Mutter – Mutter –

wie gleichen deine Hände, wenn sie so

den Stab umklammern, Laïos' Händen! Mutter –

er war fürwahr dein Sohn. Mit solchen Händen

hielt er das Königsschwert, mit solchen faßt' er

das Diadem – umschlang er meinen Leib – –


Vor sich, halb unbewußt.


mit solchen Händen griff er nach dem Kinde – –

Weh, Mutter, hörst du mich?

ANTIOPE.

Ich höre dich –

du sprachst von Laïos, meinem Kind.

JOKASTE.

Ich sprach

von Laïos und einem Kind!

ANTIOPE.

Du hast ihm

kein Kind geboren. Weh den Unfruchtbaren!

Sie tragen einen Fluch!

JOKASTE.

Dich schaudert nicht,

wenn du bedenkst, was du geboren hast?

ANTIOPE.

Ich trug von einem König Könige!

Fort mit der Kinderlosen, aus dem Bette!

JOKASTE.

Mich würde schaudern bis ins Mark, zu denken,

daß ich die Mutter eines Menschen bin.

Weh, Mutter von Dämonen! Schuld und Qual

aufhäufend maßlos! Wo sind Grenzen? Wie

entsühnst du dich? Wie legst du an die Kette

das rasende Begehren? Wann erlischt

der Brand, der springt und springt und was er anfällt,

verzehren will! So fleh doch um ein Ende!

Was einer leiden kann, ist ohne Maß!

So segne doch die Götter, daß sie gnädig

mit ihren Füßen ausgetreten haben

das Feuer rings um dich, das fressende

aus deinem Leib, und dich mir gleich gemacht.

Nun atmet reine Luft um dich herum,

und stirbst du nun, so kommst du ganz zur Ruh.

Wohl dir und mir!

ANTIOPE.

Fluch über deine Zunge!

Auf, meine Söhne! Auf, du aus dem Wasser –

du aus dem Feuer – du aus frischem Grab!

Auf! Her zu mir! Und treibt das Weib hinaus!

Sie höhnt mich, daß ich fruchtbar war, und prahlt,

die nichts geboren hat.

JOKASTE.

Ich hab geboren.

ANTIOPE böse.

Beinahe hättest du. Allein den Atem

ihm mitzugeben, das hast du vergessen.

So kam es tot zur Welt und tauschte nur

ein Grab mit einem Grab.

JOKASTE finster.

Es hat gelebt.

ANTIOPE.

Das stolze Kind! Wie viele Augenblicke?

Denn Stunden warens nicht.

JOKASTE.

Es hat gelebt,

solang, als diese Hände da zu leben

ihm gönnen wollten.

ANTIOPE.

Diese?

JOKASTE.

Oder die

des Sohnes. Denn es sind die gleichen.

ANTIOPE.

Was

für Reden sind das? – Dunkle jedenfalls.

JOKASTE.

Die Tat war mehr als dunkel. Sie hat Nacht

für immer ausgeschüttet über mich

und über ihn.

ANTIOPE.

Ich höre, wenn du willst,

oder ich lasse dich und gehe fort.

Für Rätselreden ist mein Kopf zu alt.

JOKASTE.

Stammutter alles dieses Unheils du,

so hast du nicht zur Grube fahren dürfen,

bevor auch dieses Letzte, Tiefverborgne

noch, wo es lag und über ihm, gewälzt,

die Qual von Jahren, unaufhaltsam sich

ans Freie windet und hinüberkriecht

in deinen Leib, wie, wenn es Abend wird,

die Schlangen zu der alten Höhle kehren.

Denn ohne daß ich mich bezwingen kann,

tritt es aus mir hervor – als stiege unten

in meine Seele unaufhaltsam, lautlos

wie dunkles Wasser schon der Tod und jagte

ans Freie, was da wohnt.

ANTIOPE.

Ich steh und höre.

JOKASTE.

Aus meinem Schoß das Kind, das schöne Kind,

mit Augen tief und strahlend, mit dem Hauch

des Lebens rings um seinen Leib – das starke,

lebendige Kind – mit seinen beiden Händen

hat Laïos es erwürgt!

ANTIOPE.

Sie ist von Sinnen!

Jokaste, komm zu dir!

JOKASTE.

Ich bin bei mir.

Erwürgt mit eignen Händen oder fort

getragen und dem Knecht gegeben, der

es töten mußte. Ist nicht dies wie jenes?

Weh mir! Wie er es griff, das sehen noch

die Augen da – dann wurde Dunkel – Dunkel!

Und als ich zu mir kam, da stand er da

an meinem Bette, Laïos, – da wars

vorbei.

ANTIOPE schweigt.

JOKASTE.

Hörst du mich, Mutter? Tot

war mein lebendiges Kind!

ANTIOPE schweigt.

JOKASTE.

Bist du von Stein?


Nach einer Stille.


ANTIOPE.

Warum hat Laïos, mein Sohn, der König,

das Kind aus deinem Schoß mit eigner Hand

hinrichten müssen? War es nicht sein Blut,

er hätte dich gerichtet mit dem Kinde.

Ich kann nicht sehn im Finstern. Rede du.

JOKASTE.

Willst du es bis zur Neige trinken? Du

bist stark. Als ich vermählt mit Laïos war,

des Tages ward mein Leib gesegnet – oder

vielmehr verflucht – mit einem Kind. Da sandte

der König diese Botschaft an die Priester:

sie sollten kommen und die Bräuche üben

und weihn in meinem Leib das Ungeborne.

Sie kamen nicht. Sie sandten eine Botschaft

zurück, und nicht durch einen Herold – nein!

Kreon, dem Kinde, meinem Bruder, legten

die Gräßlichen in seinen Mund, zu melden,

was gräßlich war: Der König hüte sich

und stehe an dem Bette seiner Frau,

gewappnet und mit einem nackten Schwert,

wie vor der Höhle, draus sein schlimmster Feind

hervorzubrechen lauert. Ists ein Knabe,

den ihm die Königin gebiert, und wird

der Knabe Mann, erschlägt er seinen Vater

und setzt sich auf den Thron.

ANTIOPE.

Du standest nah,

als Kreon, der ein Kind war, deinem Mann

die Botschaft brachte?

JOKASTE.

Nein. Ich war so selig

in dem, was mich erwartete, ich lebte

und wusch mich in den heiligen Gewässern,

und daß der König bleich und finster wurde,

ich sah es kaum. Bis einmal, eine Nacht,

da trat er an mein Bette, und sein Atem

ging wie der Atem eines fremden Mannes,

daß ich erschreckt ihn rief bei seinem Namen:

da sagte er es mir.

ANTIOPE.

Was dann?

JOKASTE.

Ich betete,

daß es ein Mädchen würde. Tag und Nacht

rang ich in mir mit dem, was dunkel ist,

mit dem, was keinen Namen hat. Es waren

die Qualen alle ganz vergeblich. Einsam

im Berggeklüfte steht ein Turm – dort bracht ich

ans Licht, was nicht im Lichte bleiben durfte.

ANTIOPE.

Du sagst, zu töten gab ers einem Knecht?

Mitwisser war der Knecht. Er durfte schwerlich

am Leben bleiben. Was geschah mit ihm?

JOKASTE.

Das weiß ich nicht. Doch hätte ich gehört,

er habe diesem einen andern nachgeschickt,

der stärker war, ihn zu erwürgen

und irgendwo geheim ihn zu verscharren,

ich glaubte es. Wer dieses Eine tat,

tut vieles und schreckt nicht zurück vor Blut.

ANTIOPE.

Recht war und klug und so, wie sichs geziemt

für einen König, war, was Laïos tat.

Auch mit dem Schicksal ringt ein König noch

Brust gegen Brust.

JOKASTE.

Nein! nein! nein! Ihr – ihr wohl.

Ihr tuts! Mit fürchterlichen Händen greift

ihr in die Welt. Allein was frommt es denn?

Nützt denn das blutge Opfer? Haben wir –

wir zwei, er, der mein Herr und König war,

und ich, ein halbes Kind, und alle beide

vom Blut der Götter, haben wir nicht da

dem Leben so geopfert, wie niemals

zuvor geopfert wurde? – Und dafür

hat uns das Leben angeschaut, als wäre

es über unsrer Tat erstarrt und müßte

mit Blicken, unter denen unser Mark

gefror, uns zahlen, daß wir ihm zu wild

gedient. Oh, hätte Laïos mich gehört

und mich und sich dem Tod geweiht, anstatt

des Kindes – oh, ich hätt ihm geben können,

was nun vergraben blieb! – die Sterne hätten

in uns gebebt, die dunklen heilgen Flüsse

in uns hineingerauscht, wir wären ganz

allein gewesen auf der stummen Welt –

allein! – wie hätte ich mich geben können!

Wie eine Göttin einem Gott! – Er aber,

er war dein Sohn und rang mit seinem Leben

und rang und rang, ich sah ihn bleicher werden

und finstrer, sah ihn leiden – litt ich denn

nicht auch? Ich weiß es kaum. Ich zog mich so –

so aus dem Leben, wie man seinen Leib

aus einem Bade zieht, kaum daß der Fuß

noch drinnen ist – ich war ganz abgelöst,

und in mir dacht es nicht: dies muß ich leiden,

nein: solche Leiden gibt es in der Welt,

so leiden Königinnen, dachte ich,

als säng es einer, und ich hörte zu.

ANTIOPE.

Dies ist ein Zeichen, daß die Götter dich

umgeben haben wie mit einer Wolke

und aufgespart für was noch kommen soll.

Jokaste, wie ich nie dich sah, so seh ich

dich nun.

JOKASTE.

Nun kommt nichts mehr. Nein, Mutter, sie

betrügen nicht, die Götter! Nun ists doch

das Kind, das seinem Vater hat den Tod

gegeben. Freilich nicht mit eigner Hand,

das arme Kind – es wohnt ja nicht im Licht.

Doch einen Herold hats zuerst geschickt,

der nistete sich ein, von wo sein Singen

zum Vater und zur Mutter drang, sooft

sie schlafengehen wollten.

ANTIOPE.

Redest du

dies von der Sphinx?

JOKASTE.

Ich rede von der Sphinx.

Die Mutter kennt die Boten, die das Kind

heraufschickt aus der finstern Weit da drunten.

ANTIOPE.

Es waren Räuber, die den König schlugen,

und nicht die Sphinx.

JOKASTE.

Doch wars die Sphinx, die trieb

ihn hin, dort in das fremde Berggeklüft,

und dort sprang sein Geschick ihn an. Der Räuber

war nur der mißgestalte niedre Sklav

für einen, der im Dunkel stand. So schlug

das Kind den Vater. Doch sein Bote wartet

noch immer dort. Ihm fehlt noch immer etwas

zu seiner Botschaft, die er melden soll

dort drunten.

ANTIOPE.

Wie sie alle Zeichen deutet –

wie richtig und wie falsch!

JOKASTE.

Hörst du mich, Mutter?

Wo bist du?

ANTIOPE.

Wie das Dämmernde erglüht

von ihrem Blut! wie stark die Lebensflamme

sich hebt!

JOKASTE.

Was sagst du, Mutter?

ANTIOPE.

Wie du strahlst!

wie du den Gott herbeiziehst!

JOKASTE.

Welchen Gott?

Wen siehst du, Mutter, aus dem Dunkel treten?

ANTIOPE.

Den Gott, der sich mit dir vermählen soll

und Laïos, dem Toten, einen Erben

erwecken soll aus deinem Schoß.

JOKASTE.

Schweig, Mutter!

Du stehst nicht dort, wo Menschen atmen dürfen –

ich höre nicht auf dich.

ANTIOPE.

Ich fühl ihn nahn,

aus einem Walde windet er sich los.

Trägt ihn ein Adlerfittig? Jagt ein dunkles

Gewölk mit ihm daher? Ich hör ein Rauschen –

ist das sein Mantel?

JOKASTE.

Mutter, was dich schüttelt

wie Sturm die Flamme, ist mein naher Tod.

ANTIOPE.

Dein Leben ists, dein kommendes, es haucht

herüber grenzenlos, wie feuchter Atem

von stürzendem Gewässer auf mein altes

Gebein!

JOKASTE.

Des Todes Zeichen sind um mich –

meinst du, ich fühl es nicht? Mein Leben starrt

nicht mehr versteinert auf mich her, ich sehe

die Dinge alle so, als hätte ich

sie liebgehabt und müßte um sie weinen:

mir ist, als wäre hinter ihnen allen

mein totes Kind versteckt.

ANTIOPE.

Die Ungebornen

verbergen sich im Busch und Strauch, sie winken

aus Luft und Wasser.

JOKASTE.

Laïos, mein Mann,

wo bist du denn? Ich kann dich ja nicht finden –

nicht hier in meiner Brust und nicht im Haus!

Ich kann den Klang von deiner Stimme nicht

mehr finden! Geh mir nicht so schnell voraus –

so warte doch auf mich! – Hilf mir doch, Mutter!

Ich kann seit dreien Tagen meinen Mann

nicht denken, wie ein fahler fremder Schatten

sinkt er zurück, so tief hinab, er läßt mich

so ganz allein!

ANTIOPE.

Den Toten laß die Toten,

Du Selige, die du lebendig bist!

Sieh, die Geräte leuchten, und das Haus

kann seine Lust nicht halten, und die Luft

ist voll davon.

JOKASTE.

Nein, nein, so grüßt der Tod.

Bald kommt ein Zeichen. So wie nie im Leben,

so fühl ich meinen Leib: nicht schwer noch leicht –

ich fühl ihn so, als wär ich selbst die Luft,

die ihn umfließt und von ihm Abschied nimmt.

ANTIOPE steigt die Stufen herab.

Vergib dem Mund, der dich unfruchtbar nannte,

er hat gefrevelt. Sieh, die Hände machen

es gut und weihen dich. Leib meiner Tochter,

gesegnet sei!


Rührt Jokaste an, weihend, umschreitet sie feierlich.


JOKASTE.

Was tust du, Mutter? – Mutter –

Ich bin des toten Laïos Weib! Für wen

segnest du mich?

ANTIOPE.

Für den, der kommen wird.

JOKASTE.

Der Tod – der Tod!

ANTIOPE.

Du Blut vom Blut der Götter,

ich habe dich geweiht für Laïos' Bette,

nun weih ich dich für ihn, dem Platz zu machen

Laïos hat sterben müssen.

JOKASTE.

Auf die Tür!

Ihr Totenlieder, hüllt mich ein!

ANTIOPE schreitend und weihend.

Die Götter

vergessen nicht ihr Blut, sie senden einen:

er schwingt sich aus der Luft, er tritt aus Flammen

hervor, das Wasser gibt ihn her, er kommt –

sein ist das Schwert, sein ist der Stirnreif, sein

ist König Laïos' Bette.

JOKASTE.

Schweig und steh!


Mächtiges, dumpfes Getöse außen.


Ich hör ein Brausen. Schwillt der Fluß herauf,

der alte heilige, über diesen Berg

und spült dies Haus hinweg und mich mit ihm?

Dann segne ich den Fluß: er ist mein Ahn

und kommt mich holen.


Sie stehen beide horchend. Das Totenlied ist plötzlich abgebrochen. Das Getöse schwillt an.


JOKASTE.

Nun werden alle Träume wahr: das ist

das Ende.

ANTIOPE.

Was für Träume?

JOKASTE.

Wenn ich lag

und schlief nur halb, da kamen sie gezogen,

die Tritte schlürften – viele waren sie –

mit nackten Händen schlugen sie die Mauer.

ANTIOPE.

Wer kam? wer schlug ans Haus?

JOKASTE.

Die Mütter.

ANTIOPE.

Mütter?

JOKASTE.

Die, deren Kinder tot und unbegraben

da drüben liegen.

ANTIOPE.

Bei der Sphinx?

JOKASTE nickt.

ANTIOPE.

Die Toten

laß tot sein.

JOKASTE.

Doch die Mütter – zu der Mutter –

die Mütter ziehen alles hinter sich,

das Blut ist stark, die Welt hängt an den Müttern.


Dumpfe Schläge ans Tor.


ANTIOPE.

Was haben wir zu schaffen mit dem Volk?

JOKASTE.

Der Tod kam über sie aus meinem Leib!

ANTIOPE.

Aus deinem Leib?

JOKASTE angstvoll.

Die Sphinx – ich weiß es, Mutter,

ich weiß es – Laïos hat es auch gewußt –

er zog hinaus – doch an dem einen Opfer

war nicht genug.


Schläge.


Ich will hinaus!

ANTIOPE hinausrufend.

Verrammelt

das Tor mit Steinen!

JOKASTE.

Nein, ich will hinaus!

ANTIOPE.

Wer wirft sich einem Wildbach in den Weg?

Ihn bändigt eine Mauer, nicht ein Mensch.

JOKASTE.

Sie wollen mich!

ANTIOPE.

Wer sind sie, daß sie dürfen

die Hände recken und dein Blut begehren?

Du bist die Königin.

JOKASTE.

Sie fordern mich!

ANTIOPE.

Ihr Schreien ist wie Wasser, wenn es brüllt.

JOKASTE.

Ich will zu ihnen gehn!


Stärkere Schläge. Die Mägde schreien auf, draußen.


ANTIOPE.

Schreit zu den Göttern.

So hat es kommen müssen. Mit dem Blitz

in Fäusten fährt ein Gott in Flammen nieder

und mit der einen Hand umschlingt er dich

und mit der andern schleudert er den Tod.

Bacchos, wir schreien zu dir auf, wir sind

von deinem goldnen Blut! Jokaste, her!

Herab dies Kleid! Wer hüllt den Leib in Jammer,

wenn sich ein Gott mit dir vermählen kommt?

JOKASTE.

Ja, Mutter, einem Gott vermähl ich mich

nun bald. Her mit dem Kleid, her mit der Binde

der Opferpriesterin!


Sie geht hinauf, bleibt oben stehen, ruft zurück.


Wer hieß

die Totenlieder schweigen? Hier im Haus

ist noch das Fest des Todes nicht am Ende!


Vor dem Palast. Das Volk drängt gegen das Tor. Kreon steht im heiligen Hain halb verborgen.


DAS VOLK.

Auf das Tor! Heraus das Schwert! Heraus die Krone!

Kreon ist König! Öffnet dem König! Öffnet das Haus!

Kreon! Kreon!

DIE FRAUEN.

Auf das Tor! Seid wie der Blitz, Söhne der Stadt!

Auf das Tor!

DAS VOLK.

Für Kreon! Für Kreon!


Sie drängen stärker.


DIE VORDERSTEN.

Sie kommen von drinnen. Sie heben die Riegel.

DIE RÜCKWÄRTIGEN.

Hinauf! Hinein! Kreon! Kreon!

DIE VORDERSTEN.

Lanzen und Schwerter! Sie brechen hervor!


Weichen zurück, alle schreien auf.

Das Tor öffnet sich langsam, heraus tritt Jokaste, hinter ihr Antiope. Das Totenlied erschallt im Augenblick sehr stark, dann gedämpft.


DAS VOLK leise.

Die Königinnen!

ANTIOPE.

Was willst du, Volk, was schnaubst du so und heulst

vor diesem Königshaus. Gib Antwort, Volk.

DAS VOLK.

Ich will nicht länger ohne König sein.

Die Erde gibt das Schwert, die Götter geben

das Königsblut. Ich will das Königsschwert

aufblitzen sehn in eines Königs Hand.

Laïos ist tot. So gib das Schwert dem Kreon.

Kreon sei König: ein geweihter König

soll zwischen mir sein und der Sphinx. Ich will nicht

nackt sein und bloß und ohne einen Schutz,

wenn von dem Berg ins platte Land der Dämon

herniederhängt gleich einer Totenwolke.

Kreon soll König sein!

ANTIOPE.

Den willst du haben,

den Schattenmann, den Unhold ohne Kraft?

Schmach über dich! Dein eigner Wunsch bespeit dich

so wie ein mißgebornes krankes Kind.

VOLK.

Nicht böse Worte gib, gib einen König!

Um dessen willen steh ich hier.

ANTIOPE.

Aus diesem Leib? Er ist zu alt.

VOLK.

Die Junge, die bei dir steht, frag doch die,

warum sie keinen König mehr gebiert.

JOKASTE.

Schweig, Volk! Mich rührt nichts Sterbliches mehr an.

VOLK.

Dann her die Krone, her das Schwert, und Kreon

ist König, den die Götter wollen!

ANTIOPE.

Den?

VOLK.

Ja, Weib, die Priester haben mirs gesagt.

ANTIOPE.

Die Priester! Was sind Priester, daß sie mir

von Göttern reden! Hockt ihr an der Erde

und atmet Dämpfe, bis die Glieder zucken;

wenn Vögel krächzen, lallt die Botschaft nach,

doch redet nicht zu einer Königin

von Göttern, denn wir sind zu Tisch und Bett

Genossen derer, die zu euch nicht reden

als aus der Sturmflut oder aus dem Blitz.

Habt ihr ein Lied von Tantalos gehört,

von Niobe?

DIE GREISE.

Sie redet Zauberworte,

Weh uns, die Frau ist stark!

ANTIOPE.

Wie Hunde seid ihr niedrig und voll Furcht.

Kriecht hin, wo eure Häuser stehn, macht

das Land voll Kinder, daß sie über Meer

so wimmeln wie auf festem Grund, es wird

nichts anderes von euch begehrt.

VOLK.

Was schmähst du mich?

Du bist ein Weib, und ich will einen König.

ANTIOPE.

Den willst du, der sich dort ins Dunkel drückt?

Hat er sich eine Königsprophezeiung

gekauft? Denn feil ist alles wie der Mord.

KREON.

Dich schmäht sie so wie mich, hörst du sie, Volk?

VOLK.

Ich höre, was sie spricht, sie spricht von Mord.

Von wessen Mord?

KREON.

Wahnsinnig ist das Weib:

ich hätte Laïos ermordet, schreit sie.

ANTIOPE.

Ermordet nicht, du warst ja immer hier,

nicht dort im Wald. Allein, vielleicht, wer weiß?

gekauft, die ihn erwürgten.

KREON.

Weib, du lügst.

VOLK.

Bei wem ist Wahrheit? Ich will einen König

mit reinen Händen. Auf, rechtfertige dich,

auf, Kreon! Kreon!

STIMMEN auf dem flachen Dach über dem Tor.

Dort! Dort! Er tritt aus dem Wald heraus.

Ihn führt ein Kind, er kommt, er kommt!

Teiresias! Teiresias!

DAS VOLK.

Teiresias! – Was meinem Aug verborgen,

Der Seher siehts. Er kommt! er tritt zu mir:

so bin ich ja schon halb erlöst! er reißt

die Binde mir vom Aug, daß ich nicht länger

dastehe wie der Opferstier: er sagt mir,

wer dich von deinem Thron des Grausens treibt,

du Sphinx! er zeigt mir deutlich wie im Spiegel

den Retter, der mir kommen soll! er sagt mir,

welch einen König mir die Götter wählen!

Ich grüße dich, du heiliger, du Seher

Teiresias!


Teiresias von rechts hereingeführt von dem Kinde. Das Volk weicht in Ehrfurcht zurück.


TEIRESIAS.

Wo steh ich?

DAS KIND.

Wohin du wolltest geführt sein.

Ich weiß nicht, wer die sind.

Ein großes Haus ist hier.

DAS VOLK.

Das Haus des Laïos. Laïos ist tot.

Auf der Schwelle stehen zwei Königinnen.

TEIRESIAS.

Um mich sind viele.

DAS VOLK.

Alle sind wir hier, die Kinder der Stadt.

ANTIOPE.

Wir grüßen dich, Teiresias.

DAS VOLK.

Die Königinnen grüßen dich.

TEIRESIAS schweigt.

DAS VOLK.

Er hört sie nicht, er achtet nicht der Rede.

DAS KIND.

Er ist in einem Schlaf und schläft doch nicht.

Er hat nichts gegessen, nicht getrunken seit dem letzten Mond,

Er sitzt vor der Höhle und sieht, was nicht da ist.

Vögel nisten auf seinem Haupt, die Schlange schlaff in

seinem Schoß: er achtet es nicht.

Heute stand er auf und sagt: führ mich hinunter,

da führte ich ihn. Er wies mir den Weg.

DAS VOLK.

Heilig ist sein Schlaf. Er schaut ins Innere der Welt.

KREON.

Teiresias, hier steht ein unschuldig

Verklagter, hilf mir, großer Seher, hilf!

ANTIOPE.

Teiresias, hier steht die Königsmutter

und klagt um einen König. Hilf mir, Seher!

DAS VOLK.

Teiresias, hier steh ich, das Lebendige

von Theben! aus den Mauern meiner Stadt

bin ich hervorgelaufen in der Angst

des Herzens, und ich schreie meine Not

zu dir: die Sphinx, die Sphinx ist über mir!

Hilf mir, Teiresias!

TEIRESIAS.

Hier schreit ein großes Leiden auf zum Himmel.

DAS VOLK.

Er wendet sich, er hat den Schrei gehört.

DER KNABE.

Dort rief es um dich.

TEIRESIAS.

Nein hier, nicht dort.


Gegen die Richtung deutend, wo Jokaste steht.


DAS VOLK.

Da steht die Königin.

TEIRESIAS.

Zu tief der Schlaf. Zu weit vom Schläfer

die äußere Tür, an der sie rufen.

Ists einer? Sinds viele? »Königin«!

Einst hatt es Sinn. Nun ists ohne Wesen.

DAS VOLK.

Er spricht zu sich selber.

TEIRESIAS.

So helft mir doch, wenn ihr mich braucht!

Eure Angst zog mich her,

so helft mir doch herauf aus der Tiefe.

ANTIOPE.

Bringt das Gewand des Toten!

JOKASTE.

Mutter, was willst du von ihm?


Das Gewand wird gebracht. Antiope geht mit denen, die das Gewand tragen, an den Rand der Plattform vor.


ANTIOPE.

Ehrwürdiger Seher, wer erschlug den Mann,

der dies am Leibe trug?

TEIRESIAS wendet sich ab.

Was halten sie

den Duft von Blut vor mir? Vergießen sie

nur Blut und Blut, erschlägt der Sohn den Vater,

erwürgen sie das Leben, wie es frisch

aus ihrem Leib hervorgekrochen kommt!

JOKASTE.

Ah, Mutter, laß mich fort!

TEIRESIAS.

Sie können nicht

mit ihrem Blut in ihrem Leibe hausen:

es wühlt in ihnen, ihre Adern schwellen

wie Schlangen um den Leib, sie sind sich nicht

genug gewaltig, ihre Hände sind

nicht stark genug zu wühlen in der Welt,

ihr Mund kann nicht in alle Früchte beißen,

noch sterbend buhlt ihr Aug umher und wird

nicht satt: so zeugen sie die Kinder, zeugen neu

begierige Lippen, neue wilde Hände

und neue Glieder, die umklammern können,

aus ihrem Blut heraus, bis daß sich Blut

und Blut in dunklem Wald begegnet, Haß

und Haß die Augen schief verschränkt und Glied

in Glied sich krampft.

ANTIOPE.

Nun kündet er den Mord.

TEIRESIAS.

O heiliges Blut!

Sie wissen nicht, was für ein Strom du bist,

sie tauchen nie in deine Lebenstiefen,

wo Weh und Wahn erstorben sind, wo Liebe

und Haß nicht wohnen, Hunger nicht und Durst,

nicht Alter und nicht Tod.

ANTIOPE.

Wir warten, Seher,

daß du den Mörder uns enthüllst.

FRAUEN.

Nein! Nein!

Die Toten sind dahin! Wir wollen leben.

Ein ungeheures Grausen liegt auf uns:

die Sphinx! die Sphinx!

TEIRESIAS.

Du sollst nicht zittern, Kind.

Es ist das Leid der Menschen, das von außen

mit dumpfem Anhauch meinen Leib erschüttert:

In meinem Blute innen blüht die Welt,

und Sterne gehen auf und nieder. Steh,

bald führst du mich nach Haus.

ANTIOPE.

Den Mörder will ich!

VOLK.

Den Retter zeig uns! Zeig uns einen König,

hilf unserer Not!

ANTIOPE mit dem Gewand.

Wer schlug den Laïos! Steht er etwa nahe?

Hier nahe uns?

TEIRESIAS weicht zurück.

Der tote König liegt,

die Knechte liegen tot mit offnen Augen.

Die Pferde schnauben, auf dem Wagen funkeln

die goldenen Geschenke für den Gott.

ANTIOPE.

Den Mörder! und die andern, die Gesellen!

Wer steht im Dunkel hinter ihnen?

VOLK.

Schweig,

der Seher achtet deiner nicht.

TEIRESIAS seinem Gesichte hingegeben.

Der Knabe

ist königlich.

VOLK jubelnd.

Er sieht mit seiner Seele

den, der uns retten wird!

ANTIOPE.

Wer ist der Knabe?

Auch Knaben können morden.

VOLK.

Schweig und horch.

Zeig uns den Retter!

ANTIOPE.

Laß den Mörder nicht

aus deinem Aug.

TEIRESIAS.

Nun tritt er aus dem Wald,

die Sonne ist auf ihm.

ANTIOPE.

Und Blut?

DIE RÜCKWÄRTIGEN.

Er sieht

den, der uns retten kommt.

ANDERE.

Sieht er den Gott?

DIE VORDEREN.

Ein Halbgott ists, die Sonne blitzt auf ihn.

Er sieht ihn immer. Kommt er näher?

ANDERE.

Weh,

wenn er nicht weiß von uns! Wenn er die Stadt

nicht kennt, die auf ihn wartet.

ANTIOPE.

Laß den Knaben

nicht aus dem Aug.

VOLK.

Erbarme dich, wo ist er,

wo ist der Retter hin?


Teiresias achtet ihrer nicht, sein blindes Auge starrt in die Ferne.


FRAUEN.

Er stößt uns wieder

zurück in Nacht und Tod, wir werfen dir

zu Füßen unsre Kinder! Welchen Weg

kommt unser Retter?

TEIRESIAS wirft die Arme in die Luft, von der Größe seines Gesichtes überwältigt.

Ah, was sich da gebiert! Der Qualen-abgrund,

die Höhle weltengroß getürmt aus Jammer!

Du letzte Nacht, du Höhle! Ah! Und jenseits

ist neuer Tag und eine andre Welt,

darunter ist noch eine Welt verborgen,

sie mündet in die Leidenshöhle, unten

im Schlund des Grausens bricht ihr Glanz hervor,

aus Qualen ohne Maß erhebt ein Halbgott sich!

Schweig, Zunge, neig dich, Leib!


Er geht auf Jokaste zu und wirft sich vor ihr nieder.


Um deinetwillen

bin ich gekommen.

JOKASTE.

Weihst du mich?

TEIRESIAS.

Nein, Mutter,

du bist es, die mich weiht.

DAS VOLK.

Der Seher liegt vor der Frau,

nicht vor der alten, die junge ehrt er wie eine Göttin!

TEIRESIAS.

Fort, Knabe, nach Haus.

KNABE.

Zur Höhle?

TEIRESIAS.

Zur Höhle.

DAS VOLK wirft sich ihm entgegen.

Wir lassen dich nicht! Den Retter! Welche Straße kommt er? Wann?

TEIRESIAS durch sie hinschreitend.

Nun schreitet er durchs Tor! Nun ist er in der Stadt.

Fort, Knabe, fort mit uns!

DAS VOLK.

Weh, wenn er uns

vorüberwandert! Wenn er uns nicht hört!

Wie schreien wir, daß er uns hören muß?

Seher, wie rufen wir ihn?

TEIRESIAS.

Das fragt die Mutter.


Er geht.


DAS VOLK.

Die Mutter? Wen meint er? Jokaste meint er.

Jokaste! Mutter!

ANTIOPE.

Um ihretwillen kommt der Gott. Mit ihr

vermählt er sich.

JOKASTE.

Wer spricht von einem Gott?

DAS VOLK.

Um deinetwillen kommt er, dem die Krone

gehört.

KREON von rückwärts.

Ansteckend Gift des Wahnsinns! Wer

soll kommen? Wollt ihr einem fremden Räuber

nachwerfen Kron und Reich?

DAS VOLK.

Und wärs ein Räuber,

wenn er uns rettet, ists ein Gott, und er

soll König sein. Jokaste, ruf ihn her.


Gewaltig.


Jokaste, ruf ihn her.

JOKASTE.

Wie kann ich rufen,

den ich nicht kenne?

DAS VOLK.

Schwör du bei der Luft,

beim Feuer, bei der Erde, daß der Stirnreif

sein ist, und sein das Schwert.

JOKASTE.

Das schwöre ich.

DAS VOLK.

Und du!

JOKASTE.

Was noch?

DAS VOLK.

Die Königin gehört

dem Retter, schwör, du wirst sein Weib.

JOKASTE.

Des fremden Mannes Weib?

DAS VOLK.

Und wärs ein Räuber,

wärs ein verlaufener Knecht, wär es ein Mörder,

schwör, daß du ihm gehörst, wenn er uns rettet.

Weib, schwör!

DIE FRAUEN.

Geliebte, schwör!

JOKASTE.

Ich schwor in mir.

KREON.

Ihr Bette ist noch warm von Laïos' Leib.

DAS VOLK.

Schwör laut!

JOKASTE.

Ich schwöre, wenn ein fremder Mann

euch von der Sphinx erlöst, so wird das Haus

ihm offenstehn, offen seiner Hand

das Schwert, der Stirnreif und des Laïos Bette –

und mich dann findet er in dem Gemach.

KREON.

So wahren Königinnen ihre Treu!

JOKASTE vor sich.

Daß er mich lebend findet, schwor ich nicht.

ANTIOPE.

Nun schreit es aus in die vier Winde. Nahe

war er im Spiegel, den der Seher schaut,

er atmet eine Luft mit uns, so wird

ein Ruf ihn treffen.

JOKASTE.

Mutter, komm ins Haus.


Die Königinnen treten in den Palast. Das Tor schließt sich hinter ihnen.


KREON nach vorne kommend.

Was willst du, Volk, noch hier? Was soll der Wahnsinn?

DAS VOLK.

Wir warten auf den Retter. Laß uns, Kreon.

Wir wissen nichts von dir. Der Seher hat

nicht dich gezeigt; geh fort.

KREON.

O Volk! Das Wasser

ist stetiger als du. Wer einen Haufen Kot

vom Boden aufnimmt, hält in seiner Hand

doch etwas, wer dich hält, der hält ja nichts.

Geil bist du auf das Neue wie ein Widder!

Mit einem Wort, aus seinem alten Maul

hervorgesprungen, macht ein Gaukler dich

da hüpfen oder dorthin! Wer dich hätte,

und schlüg dich nicht mit Skorpionen, Schmach

und Schande über den! Werd ich dein König,

dir tret ich auf den Nacken!


Er verschwindet zur Rechten.


EIN MANN aus der Stadt, von rückwärts auftretend.

Ein Held ist unter uns! Er kam herein,

sein Gang ist eines Königs Gang, er trägt

in seiner Hand den Stab, er kommt weit her!

Ein Held!

VOLK.

Nach welchen Zeichen? Läuft ein Einhorn

mit ihm? Steht über seinem Haupt ein Funkelstern?

DER BOTE.

In seiner Augen Höhl sind Sterne, Kraft

des Einhorns ist ihm selber um die Lenden

gegürtet! Wo ein Haus in Flammen stand,

dort sprang er hin, trat mit gewaltigem Fuß

die Tür ein, riß aus brennendem Gebälk

Lebendige hervor und achtete

die eigene Tat für nichts: vor seine Füße

fällt ihm die halbe Stadt: er stößt sie weg,

er kommt heraufgestiegen, hier herauf,

ihr heiligen Thebaner.

VIELE STIMMEN von rückwärts.

Seht den Helden.

ÖDIPUS von rückwärts heraufsteigend.

ANDERE STIMMEN murmelnd.

Den Helden seht.

ÖDIPUS.

Du Volk aus dieser Stadt,

was schnaubst du hier vor dem verschlossenen Tor

und bäumst dich wie ein reiterloses Roß?

Wo ist dein König, daß er dir den Zaum

nicht auflegt?

VOLK.

Tot ist unser König, Fremdling.

ÖDIPUS.

Und warum brennen Häuser in der Stadt?

Und warum starren eure Felder wüst,

was heult das Volk und jammert?

DAS VOLK.

Weißt du nicht,

daß du in Theben bist? So kommst du denn

herunter aus der Luft? So bist du Perseus?

Bist du denn Perseus?

ÖDIPUS.

Eine Straße kam ich

vom Berg herab und habe keinen Namen.

VOLK.

Kommst du vom Gebirge her? Und hast die Flüchtigen

nicht lagern sehn, und war die Luft nicht voll

mit Wehgeschrei?

ÖDIPUS.

Ich achte nicht die Stimmen,

die in der Luft sind.

DAS VOLK.

Also bist du nicht

der Retter, der uns kommt?

ÖDIPUS.

Wovor ein Retter?

DAS VOLK.

So bist du der Erlöser nicht, so willst du

nicht unser König sein? Wer bist du denn?

ÖDIPUS.

Volk, rede nicht verwirrt; in welcher Not

schreist du zum Himmel? Denn du dauerst mich,

Volk, weil du keinen König hast.

DAS VOLK.

Die Sphinx,

er weiß nichts von der Sphinx.

ÖDIPUS.

Was soll das Wort?

DAS VOLK.

Das Wort ist Qual und Tod. Dort drüben wohnts.

Es horstet im Geklüft so wie ein Geier

und äugt herab, wo Theben liegt, und Theben

gleicht dem gefallnen Vieh und zuckt vor Angst,

und seine Flanken fliegen, und die Augen

sind blutig.

ÖDIPUS.

Ging denn keiner hin und schlug

das Wesen?


Die Frauen schreien wehklagend auf.


DIE VORDERSTEN.

Vor der Höhle ist ein Abgrund,

da liegen unsre Toten.

DIE FRAUEN.

Weh!

ÖDIPUS vor sich.

Ihr guten Götter!

Welch eine Tat, ihr Seligen! Baut ihr

dem Heimatlosen solche Taten auf,

so funkelnde Paläste, drin zu hausen

für eine Nacht und wiederum für eine,

wohin sein Fuß ihn trägt? So habt ihr mich

mit eurem Fluch gesegnet? Denn ich fühls,

von grausigen Gliedern, von Polypenarmen

umschlungen sterb ich heute nicht: ich darfs

vollbringen und dann weiterziehen.

DAS VOLK.

Perseus,

verlaß uns nicht!

ÖDIPUS.

Auf, zeigt mir diesen Weg.

Wo haust der Dämon? Aber laßt mich dann

allein hinaufgehn und fragt nicht nach mir.

DAS VOLK.

Bist du nicht Herakles, bist du nicht Orpheus,

du junger Gott?

ÖDIPUS.

Den Weg.

DAS VOLK.

Die Königin,

er soll sie sehn, bevor er hingeht!

ÖDIPUS.

Sehen,

wen sehn?

DAS VOLK.

Die Königin, du junger Gott.

Jokaste! Auf das Tor!

JOKASTE tritt allein hervor.

Was ruft ihr mich?

DAS VOLK.

Den Retter sieh, den Retter da, den Jungen!

JOKASTE unwillkürlich.

Laïos!

DAS VOLK.

Was sagt die Frau?

JOKASTE.

Nein, nein, ein Traum.

ÖDIPUS von ihrem Anblick wie vom Blitz getroffen.

Wer ist die Frau?

JOKASTE fast gleichzeitig.

Wer ist der Jüngling?

DAS VOLK jauchzend.

Perseus! Orpheus! Herakles!

ÖDIPUS wie entgeistert.

Wer ist die Frau?

DAS VOLK.

Die Königin.

ÖDIPUS.

Was will

die Königin?

DAS VOLK.

Dein ist sie, dein, du Gott,

wenn du der Sieger bist! Er glaubt uns nicht.


Zu Jokaste.


Du hasts geschworen: künde dus.

JOKASTE.

Du darfst nicht!

Es ist dein Tod! Um deiner Mutter willen

tus nicht.

ÖDIPUS.

Um meiner Mutter willen, Frau?

O, wohl will ich es tun.

DAS VOLK.

Den Helden seht,

den Helden! Flehe zu den Göttern, Frau,

so wird er dein Gemahl.

ÖDIPUS vor sich.

Die Königin.

DAS VOLK.

Sie hat geschworen!

ÖDIPUS ungeheuer.

Ja?


Sich bändigend.


Ich bin von Sinnen:

der König ist ihr Gatte.

JOKASTE.

Mein Gemahl

ist tot.

ÖDIPUS.

Und ich, ihr Götter, steht mir bei,

daß ich jetzt nicht vergehe.

JOKASTE.

Willst du mich

noch etwas fragen, Jüngling?

ÖDIPUS.

Ich – mich nimmst du

zum Mann?

JOKASTE.

Ich bin nur wie das Diadem

und wie das Schwert: wer diese Stadt erlöst,

der greift nach uns.

ÖDIPUS.

Nicht fortgehn, nicht, noch nicht!

Der König, der dein Gatte war, gewann er,

der Tote, Kinder sich aus diesem Leib?

Ich will sie schützen und Verweser sein

für sie. Die Rechtgeborenen sind heilig.


Es sind indessen die Mägde hinter Jokaste herausgetreten. Die Totenklagen sind verstummt.


JOKASTE mit schwacher Stimme.

Ein Kind war da und war gleich nicht mehr da.

KREON von rückwärts.

Wie sich der Landstreicher gebärdet! Wie

er schon den König spielt!

ÖDIPUS königlich.

Wenn einer ist,

der von dem frühern König Gold und Gut

und Vieh und Land empfing, der fürchte nichts,

ich fordre nichts zurück.

DAS VOLK.

Du bist ein König!

Du warst von je ein König!

KREON zerreißt sein Gewand.

Gaukler, sei verflucht!


Verschwindet zwischen den Bäumen.

Es ist Dämmerung hereingebrochen.


ÖDIPUS.

Ich möchte opfern und ich habe nichts

zu opfern, eh ich geh.

JOKASTE zu ihren Mägden sich umwendend, mit einem maßlos veränderten Ton.

Sie sollen opfern,

was lebt ihm Haus. Die Tiere, die mir lieb sind,

sollen sie töten schnell. Die Pferde alle töten,

die heilgen Vögel sollen sie mit Pfeilen schießen

und alle meine Hunde, auch die Hündin,

die, seit sie lebt, vor meiner Kammer schlief,

die auch. Schnell, schnell, nichts braucht am Leben bleiben,

wenn dieser sterben geht.


Sie jagt mit der Wucht ihrer Befehle alle Mägde ins Haus und steht nun ganz allein da.


ÖDIPUS.

Hab ich denn gar nichts?

Bin ich so arm? Doch da, der Wanderstecken,

ich muß ja ohne Waffen zu dem Dämon:

dort ist ein Opferfeuer, nehmt den Stab

und bringt ihn dar.


Mehrere nehmen den Stab und tragen ihn in den heiligen Hain. Getöse im Palast.

Jokaste, die sich nicht umwendet, saugt mit dem Blick Ödipus in sich, der jetzt auf der Stufe zum heiligen Hain steht, plötzlich vom Widerschein starker Flammen übergossen.


DAS VOLK drängt gegen den heilgen Hain.

Die Flamme, seht die Flamme!

Wie sich die Götter freun an seinem Opfer!

Der Stock liegt vor dem Altar, wie die Flamme

zum Himmel schlägt.

DIE MÄGDE aus der Tür des Palastes hervorstürzend.

Die Königin Antiope!

JOKASTE.

Was ist

mit ihm?

DIE MÄGDE.

Sie rührt sich nicht, sie sitzt und hat

den Stab aus ihren Händen fallen lassen.

Wir fürchten uns, wir glauben, sie ist tot.

Hörst du uns, Königin?


Jokaste schweigt und starrt auf Ödipus.


ÖDIPUS.

Nun betet alle

mit mir um Sieg.

JOKASTE indem sie in die Luft greift, dann mit beiden Händen gegen ihr Herz fährt und jäh zusammensinkt.

Ich habe nie gelebt!


Die Mägde fangen sie in den Armen auf.


DAS VOLK.

Die Königin fällt hin!

ÖDIPUS.

Sie ist nicht tot.


Indes tragen die Mägde die Königin hinein, das Tor schließt sich. Kein Licht mehr als der Widerschein der großen Flamme aus dem Hain.


ÖDIPUS.

Ich weiß, sie ist nicht tot. In meinen Adern

halt ich die Welt: es stürzt kein Stern, es taumelt

kein Vogel von der Nestbrut, ohne mich.

Und alle meine Toten liegen gut:

der Vater und die Mutter gut daheim,

die ich nie wiedersehe, gut der Mann

am stillen Kreuzweg, gut das wundervolle Weib

im totengleichen Schlaf. Um meinetwillen

ist alles dies geschehn, damit die Kräfte

der Schlafenden in mir aufsteigen sollen,

wie Wasser in dem Springquell. Auf! Nun weist mir

den steilen Weg. Wo nicht, so wird vom Berg

die riesige Zypresse sich herab

mir neigen, daß ich ihren Wipfel küsse

und meine Glieder ihr verschlinge; auf

wird sie mich reißen zu der Höhle hin:

dort lauerts, unter meiner Hand zu sterben!

Denn meine Hand ist schwer wie eine Welt,

beflügelt ist mein Blut und meine Seele

steigt wie ein Springquell.


Er wendet sich zum Gehn.


DAS VOLK ihm nachdrängend.

Perseus bist du! Perseus!


Vorhang.


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 2, Frankfurt a.M. 1979.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ödipus und die Sphinx
Band VIII: <br /> Dramen 6: Ödipus und die Sphinx - König Ödipus

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Klein Zaches

Klein Zaches

Nachdem im Reich die Aufklärung eingeführt wurde ist die Poesie verboten und die Feen sind des Landes verwiesen. Darum versteckt sich die Fee Rosabelverde in einem Damenstift. Als sie dem häßlichen, mißgestalteten Bauernkind Zaches über das Haar streicht verleiht sie ihm damit die Eigenschaft, stets für einen hübschen und klugen Menschen gehalten zu werden, dem die Taten, die seine Zeitgenossen in seiner Gegenwart vollbringen, als seine eigenen angerechnet werden.

88 Seiten, 4.20 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon