Sechste Szene

[344] Vinzenz führt Agathe herein. Beide Diener ab.


HANS KARL. Guten Abend, Agathe.

AGATHE. Daß ich Sie sehe, Euer Gnaden Erlaucht! Ich zittre ja.

HANS KARL. Wollen Sie sich nicht setzen?[344]

AGATHE stehend. Oh, Euer Gnaden, seien nur nicht ungehalten darüber, daß ich gekommen bin, statt dem Brandstätter.

HANS KARL. Aber liebe Agathe, wir sind ja doch alte Bekannte. Was bringt Sie denn zu mir?

AGATHE. Mein Gott, das wissen doch Erlaucht. Ich komm wegen der Briefe.

HANS KARL ist betroffen.

AGATHE. O Verzeihung, o Gott, es ist ja nicht zum Ausdenken, wie mir meine Frau Gräfin eingeschärft hat, durch mein Betragen nichts zu verderben.

HANS KARL zögernd. Die Frau Gräfin hat mir allerdings geschrieben, daß gewisse in meiner Hand befindliche, ihr gehörige Briefe, würden von einem Herrn Brandstätter am Fünfzehnten abgeholt werden. Heute ist der Zwölfte, aber ich kann natürlich die Briefe auch Ihnen übergeben. Sofort, wenn es der Wunsch der Frau Gräfin ist. Ich weiß ja, Sie sind der Frau Gräfin sehr ergeben.

AGATHE. Gewisse Briefe – wie Sie das sagen, Erlaucht. Ich weiß ja doch, was das für Briefe sind.

HANS KARL kühl. Ich werde sofort den Auftrag geben.

AGATHE. Wenn sie uns so beisammen sehen könnte, meine Frau Gräfin. Das wäre ihr eine Beruhigung, eine kleine Linderung.

HANS KARL fängt an, in der Lade zu suchen.

AGATHE. Nach diesen entsetzlichen sieben Wochen, seitdem wir wissen, daß unser Herr Graf aus dem Felde zurück ist und wir kein Lebenszeichen von ihm haben –

HANS KARL sieht auf. Sie haben vom Grafen Hechingen kein Lebenszeichen?

AGATHE. Von dem! Wenn ich sage »unser Herr Graf«, das heißt in unserer Sprache Sie, Erlaucht! Vom Grafen Hechingen sagen wir nicht »unser Herr Graf«!

HAND KARL sehr geniert. Ah, pardon, das konnte ich nicht wissen.

AGATHE schüchtern. Bis heute nachmittag haben wir ja geglaubt, daß heute bei der gräflich Altenwylschen Soiree das[345] Wiedersehen sein wird. Da telephoniert mir die Jungfer von der Komtesse Altenwyl: Er hat abgesagt!

HANS KARL steht auf.

AGATHE. Er hat abgesagt, Agathe, ruft die Gräfin, abgesagt, weil er gehört hat, daß ich hinkomme! Dann ist doch alles vorbei, und dabei schaut sie mich an mit einem Blick, der einen Stein erweichen könnte.

HANS KARL sehr höflich, aber mit dem Wunsche, ein Ende zu machen. Ich fürchte, ich habe die gewünschten Briefe nicht hier in meinem Schreibtisch, ich werde gleich meinen Sekretär rufen.

AGATHE. O Gott, in der Hand eines Sekretärs sind diese Briefe! Das dürfte meine Frau Gräfin nie erfahren!

HANS KARL. Die Briefe sind natürlich eingesiegelt.

AGATHE. Eingesiegelt! So weit ist es schon gekommen?

HANS KARL spricht ins Telephon. Lieber Neugebauer, wenn Sie für einen Augenblick herüberkommen würden! Ja, ich bin jetzt frei – Aber ohne die Akten – es handelt sich um etwas anderes. Augenblicklich? Nein, rechnen Sie nur zu Ende. In drei Minuten, das genügt.

AGATHE. Er darf mich nicht sehen, er kennt mich von früher!

HANS KARL. Sie können in die Bibliothek treten, ich mach Ihnen Licht.

AGATHE. Wie hätten wir uns denn das denken können, daß alles auf einmal vorbei ist.

HANS KARL im Begriff, sie hinüberzuführen, bleibt stehen, runzelt die Stirn. Liebe Agathe, da Sie ja von allem informiert sind – ich verstehe nicht ganz, ich habe ja doch der Frau Gräfin aus dem Feldspital einen langen Brief geschrieben, dieses Frühjahr.

AGATHE. Ja, den abscheulichen Brief.

HANS KARL. Ich verstehe Sie nicht. Es war ein sehr freundschaftlicher Brief.

AGATHE. Das war ein perfider Brief. So gezittert haben wir, als wir ihn gelesen haben, diesen Brief. Erbittert waren wir und gedemütigt!

HANS KARL. Ja, worüber denn, ich bitt Sie um alles!

AGATHE sieht ihn an. Darüber, daß Sie darin den Grafen Hechingen[346] so herausgestrichen haben – und gesagt haben, auf die Letzt ist ein Mann wie der andere, und ein jeder kann zum Ersatz für einen jeden genommen werden.

HANS KARL. Aber so habe ich mich doch gar nicht ausgedrückt. Das waren doch niemals meine Gedanken!

AGATHE. Aber das war der Sinn davon. Ah, wir haben den Brief oft und oft gelesen! Das, hat meine Frau Gräfin ausgerufen, das ist also das Resultat der Sternennächte und des einsamen Nachdenkens, dieser Brief, wo er mir mit dürren Worten sagt: ein Mann ist wie der andere, unsere Liebe war nur eine Einbildung, vergiß mich, nimm wieder den Hechingen –

HANS KARL. Aber nichts von all diesen Worten ist in dem Brief gestanden.

AGATHE. Auf die Worte kommts nicht an. Aber den Sinn haben wir gut herausbekommen. Diesen demütigenden Sinn, diese erniedrigenden Folgerungen. Oh, das wissen wir genau. Dieses Sichselbsterniedrigen ist eine perfide Kunst. Wo der Mann sich anklagt in einer Liebschaft, da klagt er die Liebschaft an. Und im Handumdrehen sind wir die Angeklagten.

HANS KARL schweigt.

AGATHE einen Schritt näher tretend. Ich habe gekämpft für unsern Herrn Grafen, wie meine Frau Gräfin gesagt hat: Agathe, du wirst es sehen, er will die Komtesse Altenwyl heiraten, und nur darum will er meine Ehe wieder zusammenleimen.

HANS KARL. Das hat die Gräfin mir zugemutet?

AGATHE. Das waren ihre bösesten Stunden, wenn sie über dem gegrübelt hat. Dann ist wieder ein Hoffnungsstrahl gekommen. Nein, vor der Helen, hat sie dann gerufen, nein, vor der fürcht ich mich nicht – denn die lauft ihm nach; und wenn dem Kari eine nachlauft, die ist bei ihm schon verloren, und sie verdient ihn auch nicht, denn sie hat kein Herz.

HANS KARL richtet etwas. Wenn ich Sie überzeugen könnte –

AGATHE. Aber dann plötzlich wieder die Angst –

HANS KARL. Wie fern mir das alles liegt –[347]

AGATHE. O Gott, ruft sie aus, er war noch nirgends! Wenn das bedeutungsvoll sein sollte –

HANS KARL. Wie fern mir das liegt!

AGATHE. Wenn er vor meinen Augen sich mit ihr verlobt –

HANS KARL. Wie kann nur die Frau Gräfin –

AGATHE. Oh, so etwas tun Männer, aber Sie tuns nicht, nicht wahr, Erlaucht?

HANS KARL. Es liegt mir nichts in der Welt ferner, meine liebe Agathe.

AGATHE. Oh, küß die Hände, Erlaucht!


Küßt ihm schnell die Hand.


HANS KARL entzieht ihr die Hand. Ich höre meinen Sekretär kommen.

AGATHE. Denn wir wissen ja, wir Frauen, daß so etwas Schönes nicht für die Ewigkeit ist. Aber, daß es deswegen auf einmal plötzlich aufhören soll, in das können wir uns nicht hineinfinden!

HANS KARL. Sie sehen mich dann. Ich gebe Ihnen selbst die Briefe und – Herein! Kommen Sie nur, Neugebauer.


Agathe rechts ab.


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 4, Frankfurt a.M. 1979, S. 344-348.
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