[348] NEUGEBAUER tritt ein. Euer Erlaucht haben befohlen.
HANS KARL. Wenn Sie die Freundlichkeit hätten, meinem Gedächtnis etwas zu Hilfe zu kommen. Ich suche ein Paket Briefe – es sind private Briefe, versiegelt – ungefähr zwei Finger dick.
NEUGEBAUER. Mit einem von Euer Erlaucht darauf geschriebenen Datum? Juni 15 bis 22. Oktober 16?
HANS KARL. Ganz richtig. Sie wissen –
NEUGEBAUER. Ich habe dieses Konvolut unter den Händen gehabt, aber ich kann mich im Moment nicht besinnen. Im Drang der Geschäfte unter so verschiedenartigen Agenden, die täglich zunehmen –
HANS KARL ganz ohne Vorwurf. Es ist mir unbegreiflich, wie diese ganz privaten Briefe unter die Akten geraten sein können –[348]
NEUGEBAUER. Wenn ich befürchten müßte, daß Euer Erlaucht den leisesten Zweifel in meine Diskretion setzen –
HANS KARL. Aber das ist mir ja gar nicht eingefallen.
NEUGEBAUER. Ich bitte, mich sofort nachsuchen zu lassen; ich werde alle meine Kräfte daransetzen, dieses höchst bedauerliche Vorkommnis aufzuklären.
HANS KARL. Mein lieber Neugebauer, Sie legen dem ganzen Vorfall viel zu viel Gewicht bei.
NEUGEBAUER. Ich habe schon seit einiger Zeit die Bemerkung gemacht, daß etwas an mir neuerdings Euer Erlaucht zur Ungeduld reizt. Allerdings war mein Bildungsgang ganz auf das Innere gerichtet, und wenn ich dabei vielleicht keine tadellosen Salonmanieren erworben habe, so wird dieser Mangel vielleicht in den Augen eines wohlwollenden Beurteilers aufgewogen werden können durch Qualitäten, die persönlich hervorheben zu müssen meinem Charakter allerdings nicht leicht fallen würde.
HANS KARL. Ich zweifle keinen Augenblick, lieber Neugebauer. Sie machen mir den Eindruck, überanstrengt zu sein. Ich möchte Sie bitten, sich abends etwas früher freizumachen. Machen Sie doch jeden Abend einen Spaziergang mit Ihrer Braut.
NEUGEBAUER schweigt.
HANS KARL. Falls es private Sorgen sind, die Sie irritieren, vielleicht könnte ich in irgendeiner Beziehung erleichternd eingreifen.
NEUGEBAUER. Euer Erlaucht nehmen an, daß es sich bei unsereinem ausschließlich um das Materielle handeln könnte.
HANS KARL. Ich habe gar nicht solches sagen wollen. Ich weiß, Sie sind Bräutigam, also gewiß glücklich –
NEUGEBAUER. Ich weiß nicht, ob Euer Erlaucht auf die Beschließerin von Schloß Hohenbühl anspielen?
HANS KARL. Ja, mit der Sie doch seit fünf Jahren verlobt sind.
NEUGEBAUER. Meine gegenwärtige Verlobte ist die Tochter eines höheren Beamten. Sie war die Braut meines besten Freundes, der vor einem halben Jahr gefallen ist. Schon bei Lebzeiten ihres Verlobten bin ich ihrem Herzen nahegestanden – und ich habe es als ein heiliges Vermächtnis des[349] Gefallenen betrachtet, diesem jungen Mädchen eine Stütze fürs Leben zu bieten.
HANS KARL zögernd. Und die frühere langjährige Beziehung?
NEUGEBAUER. Die habe ich natürlich gelöst. Selbstverständlich in der vornehmsten und gewissenhaftesten Weise.
HANS KARL. Ah!
NEUGEBAUER. Ich werde natürlich allen nach dieser Seite hin eingegangenen Verpflichtungen nachkommen und diese Last schon in die junge Ehe mitbringen. Allerdings keine Kleinigkeit.
HANS KARL schweigt.
NEUGEBAUER. Vielleicht ermessen Euer Erlaucht doch nicht zur Genüge, mit welchem bitteren, sittlichen Ernst das Leben in unsern glanzlosen Sphären behaftet ist, und wie es sich hier nur darum handeln kann, für schwere Aufgaben noch schwerere einzutauschen.
HANS KARL. Ich habe gemeint, wenn man heiratet, so freut man sich darauf.
NEUGEBAUER. Der persönliche Standpunkt kann in unserer bescheidenen Welt nicht maßgebend sein.
HANS KARL. Gewiß, gewiß. Also Sie werden mir die Briefe möglichst finden.
NEUGEBAUER. Ich werde nachforschen, und wenn es sein müßte, bis Mitternacht.
Ab.
HANS KARL vor sich. Was ich nur an mir habe, daß alle Menschen so tentiert sind, mir eine Lektion zu erteilen, und daß ich nie ganz bestimmt weiß, ob sie nicht das Recht dazu haben.
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