Sechzehnte Szene

[368] STANI aufs neue in der Mitteltür. Ist es sehr unbescheiden, Onkel Kari?

HANS KARL. Aber bitte, ich bin zur Verfügung.

STANI vorne bei ihm. Ich muß dir melden, Onkel Kari, daß ich inzwischen eine Konversation mit der Mamu gehabt habe und zu einem Resultat gekommen bin.

HANS KARL sieht ihn an.

STANI. Ich werde mich mit der Helen Altenwyl verloben.

HANS KARL. Du wirst dich –

STANI. Ja, ich bin entschlossen, die Helen zu heiraten. Nicht heute und nicht morgen, aber in der allernächsten Zeit. Ich habe alles durchgedacht. Auf der Stiege von hier bis in den zweiten Stock hinauf. Wie ich zur Mamu in den zweiten Stock gekommen bin, war alles fix und fertig. Weißt du, die Idee ist mir plötzlich gekommen, wie ich bemerkt hab, du interessierst dich nicht für die Helen.

HANS KARL. Aha.

STANI. Begreifst du? Es war so eine Idee von der Mamu. Sie behauptet, man weiß nie, woran man mit dir ist – am Ende hättest du doch daran gedacht, die Helen zu nehmen – und du bist doch für die Mamu immer der Familienchef, ihr Herz ist halt ganz Bühlisch.

HANS KARL halb abgewandt. Die gute Crescence!

STANI. Aber ich hab immer widersprochen. Ich verstehe ja jede Nuance von dir. Ich hab von jeher gefühlt, daß von einem Interesse für die Helen bei dir nicht die Idee sein kann.

HANS KARL dreht sich plötzlich zu ihm um. Und deine Mutter?

STANI. Die Mamu?

HANS KARL. Ja, wie hat sie es aufgefaßt?

STANI. Feuer und Flamme natürlich. Sie hat ein ganz rotes Gesicht bekommen vor Freude. Wundert dich das, Onkel Kari?

HANS KARL. Nur ein bißl, nur eine Idee – ich hab immer den Eindruck gehabt, daß deine Mutter einen bestimmten Gedanken hat in bezug auf die Helen.

STANI. Eine Aversion?[368]

HANS KARL. Gar nicht. Nur eine Ansicht. Eine Vermutung.

STANI. Früher, die früheren Jahre?

HANS KARL. Nein, vor einer halben Stunde.

STANI. In welcher Richtung? Aber die Mamu ist ja so eine Windfahn! Das vergißt sie ja im Moment. Vor einem Entschluß von mir, da ist sie sofort auf den Knien. Da spürt sie den Mann. Sie adoriert das fait accompli.

HANS KARL. Also, du hast dich entschlossen? –

STANI. Ja, ich bin entschlossen.

HANS KARL. So auf eins, zwei!

STANI. Das ist doch genau das, worauf es ankommt. Das imponiert ja den Frauen so enorm an mir. Dadurch eben behalte ich immer die Führung in der Hand.

HANS KARL raucht.

STANI. Siehst du, du hast vielleicht früher auch einmal daran gedacht, die Helen zu heiraten –

HANS KARL. Gott, vor Jahren vielleicht. In irgendeinem Moment, wie man an tausend Sachen denkt.

STANI. Begreifst du? Ich hab nie daran gedacht! Aber im Augenblick, wo ich es denke, bring ich es auch zu Ende. – Du bist verstimmt?

HANS KARL. Ich habe ganz unwillkürlich einen Moment an die Antoinette denken müssen.

STANI. Aber jede Sache auf der Welt muß doch ihr Ende haben.

HANS KARL. Natürlich. Und das beschäftigt dich gar nicht, ob die Helen frei ist? Sie scheint doch zum Beispiel diesem Neuhoff Hoffnungen gegeben zu haben.

STANI. Das ist ja genau mein Kalkul. Über Hoffnungen, die sich der Herr von Neuhoff macht, gehe ich einfach hinweg. Und daß für die Helen ein Theophil Neuhoff überhaupt in Frage kommen kann, das beweist doch gerade, daß eine ernste Okkupation bei ihr nicht vorhanden ist. Solche Komplikationen statuier ich nicht. Das sind Launen, oder sagen wir das Wort: Verirrungen.

HANS KARL. Sie ist schwer zu kennen.

STANI. Aber ich kenn doch ihr Genre. In letzter Linie kann die sich für keinen Typ von Männern interessieren als für den[369] unsrigen; alles andere ist eine Verirrung. Du bist so still, hast du dein Kopfweh?

HANS KARL. Aber gar nicht. Ich bewundere deinen Mut.

STANI. Du und Mut und bewundern?

HANS KARL. Das ist eine andere Art von Mut als der im Graben.

STANI. Ja, ich versteh dich ja so gut, Onkel Kari. Du denkst an die Chancen, die ich sonst noch im Leben gehabt hätte. Du hast das Gefühl, daß ich mich vielleicht zu billig weggeb. Aber siehst du, da bin ich wieder ganz anders; ich liebe das Vernünftige und Definitive. Du, Onkel Kari, bist au fond, verzeih, daß ich es heraussage, ein Idealist: deine Gedanken gehen auf das Absolute, auf das Vollkommene. Das ist ja sehr elegant gedacht, aber unrealisierbar. Au fond bist du da wie die Mamu; der ist nichts gut genug für mich. Ich habe die Sache durchgedacht, wie sie ist. Die Helen ist ein Jahr jünger wie ich.

HANS KARL. Ein Jahr?

STANI. Sie ist ausgezeichnet geboren.

HANS KARL. Man kann nicht besser sein.

STANI. Sie ist elegant.

HANS KARL. Sehr elegant.

STANI. Sie ist reich.

HANS KARL. Und vor allem so hübsch.

STANI. Sie hat Rasse.

HANS KARL. Ohne Vergleich.

STANI. Bitte, vor allem in den zwei Punkten, auf die in der Ehe alles ankommt. Primo: sie kann nicht lügen, secundo: sie hat die besten Manieren von der Welt.

HANS KARL. Sie ist so delizios artig, wie sonst nur alte Frauen sind.

STANI. Sie ist gescheit wie der Tag.

HANS KARL. Wem sagst du das? Ich hab ihre Konversation so gern.

STANI. Und sie wird mich mit der Zeit adorieren.

HANS KARL vor sich, unwillkürlich. Auch das ist möglich.

STANI. Aber nicht möglich. Ganz bestimmt. Bei diesem Genre von Frauen bringt das die Ehe mit sich. In der Liaison[370] hängt alles von Umständen ab, da sind Bizarrerien möglich, Täuschungen, Gott weiß was. In der Ehe beruht alles auf der Dauer; auf die Dauer nimmt jeder die Qualität des andern derart in sich auf, daß von einer wirklichen Differenz nicht mehr die Rede sein kann: unter der einen Voraussetzung, daß die Ehe aus dem richtigen Entschluß hervorgeht. Das ist der Sinn der Ehe.


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 4, Frankfurt a.M. 1979, S. 368-371.
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