Zehnte Szene

[391] HANS KARL ist von rechts eingetreten.

ANTOINETTE nach einem kurzen Stummsein, Sichducken, rasch auf ihn zu, ganz dicht an ihn. Ich hab die Briefe genommen und verbrannt. Ich bin keine sentimentale Gans, als die mich meine Agathe hinstellt, daß ich mich über alte Briefe totweinen könnt. Ich hab einmal nur das, was ich im Moment hab, und was ich nicht hab, will ich vergessen. Ich leb nicht in der Vergangenheit, dazu bin ich nicht alt genug.

HANS KARL. Wollen wir uns nicht setzen?


Führt sie zu den Fauteuils.


ANTOINETTE. Ich bin halt nicht schlau. Wenn man nicht[391] raffiniert ist, dann hat man nicht die Kraft, einen Menschen zu halten, wie Sie einer sind. Denn Sie sind ein Genre mit Ihrem Vetter Stani. Das möchte ich Ihnen sagen, damit Sie es wissen. Ich kenn euch. Monstros selbstsüchtig und grenzenlos unzart. Nach einer kleinen Pause. So sagen Sie doch was!

HANS KARL. Wenn Sie erlauben würden, so möchte ich versuchen, Sie an damals zu erinnern –

ANTOINETTE. Ah, ich laß mich nicht malträtieren. – Auch nicht von jemandem, der mir früher einmal nicht gleichgültig war.

HANS KARL. Sie waren damals, ich meine vor zwei Jahren, Ihrem Mann momentan entfremdet. Sie waren in der großen Gefahr, in die Hände von einem Unwürdigen zu fallen. Da ist jemand gekommen – der war – zufällig ich. Ich wollte Sie – beruhigen – das war mein einziger Gedanke – Sie der Gefahr entziehen – von der ich Sie bedroht gewußt – oder gespürt hab. Das war eine Verkettung von Zufällen – eine Ungeschicklichkeit – ich weiß nicht, wie ich es nennen soll –

ANTOINETTE. Diese paar Tage damals in der Grünleiten sind das einzige wirklich Schöne in meinem ganzen Leben. Die laß ich nicht – Die Erinnerung daran laß ich mir nicht heruntersetzen.


Steht auf.


HANS KARL leise. Aber ich hab ja alles so lieb. Es war ja so schön.

ANTOINETTE setzt sich, mit einem ängstlichen Blick auf ihn.

HANS KARL. Es war ja so schön!

ANTOINETTE. »Das war zufällig ich.« Damit wollen Sie mich insultieren. Sie sind draußen zynisch geworden. Ein zynischer Mensch, das ist das richtige Wort. Sie haben die Nuance verloren für das Mögliche und das Unmögliche. Wie haben Sie gesagt? Es war eine »Ungeschicklichkeit« von Ihnen? Sie insultieren mich ja in einem fort.

HANS KARL. Es ist draußen viel für mich anders geworden. Aber zynisch bin ich nicht geworden. Das Gegenteil, Antoinette.[392] Wenn ich an unsern Anfang denke, so ist mir das etwas so Zartes, so Mysterioses, ich getraue mich kaum, es vor mir selbst zu denken. Ich möchte mich fragen: Wie komm ich denn dazu? Hab ich denn dürfen? Aber Sehr leise. ich bereu nichts.

ANTOINETTE senkt die Augen. Aller Anfang ist schön.

HANS KARL. In jedem Anfang liegt die Ewigkeit.

ANTOINETTE ohne ihn anzusehen. Sie halten au fond alles für möglich und alles für erlaubt. Sie wollen nicht sehen, wie hilflos ein Wesen ist, über das Sie hinweggehen – wie preisgegeben, denn das würde vielleicht Ihr Gewissen aufwecken.

HANS KARL. Ich habe keins.

ANTOINETTE sieht ihn an.

HANS KARL. Nicht in bezug auf uns.

ANTOINETTE. Jetzt war ich das und das von Ihnen – und weiß in diesem Augenblick so wenig, woran ich mit Ihnen bin, als wenn nie was zwischen uns gewesen wär. Sie sind ja fürchterlich.

HANS KARL. Nichts ist bös. Der Augenblick ist nicht bös, nur das Festhalten-Wollen ist unerlaubt. Nur das Sich-Festkrampeln an das, was sich nicht halten läßt –

ANTOINETTE. Ja, wir leben halt nicht nur wie die gewissen Fliegen vom Morgen bis zur Nacht. Wir sind halt am nächsten Tag auch noch da. Das paßt euch halt schlecht, solchen wie du einer bist.

HANS KARL. Alles was geschieht, das macht der Zufall. Es ist nicht zum Ausdenken, wie zufällig wir alle sind, und wie uns der Zufall zueinanderjagt und auseinanderjagt, und wie jeder mit jedem hausen könnte, wenn der Zufall es wollte.

ANTOINETTE. Ich will nicht –

HANS KARL spricht weiter, ohne ihren Widerstand zu respektieren. Darin ist aber so ein Grausen, daß der Mensch etwas hat finden müssen, um sich aus diesem Sumpf herauszuziehen, bei seinem eigenen Schopf. Und so hat er das Institut gefunden, das aus dem Zufälligen und Unreinen das Notwendige, das Bleibende und das Gültige macht: die Ehe.[393]

ANTOINETTE. Ich spür, du willst mich verkuppeln mit meinem Mann. Es war nicht ein Augenblick, seitdem du hiersitzt, wo ich mich hätte foppen lassen und es nicht gespürt hätte. Du nimmst dir wirklich alles heraus, du meinst schon, daß du alles darfst, zuerst verführen, dann noch beleidigen.

HANS KARL. Ich bin kein Verführer, Toinette, ich bin kein Frauenjäger.

ANTOINETTE. Ja, das ist dein Kunststückl, damit hast du mich herumgekriegt, daß du kein Verführer bist, kein Mann für Frauen, daß du nur ein Freund bist, aber ein wirklicher Freund. Damit kokettierst du, so wie du mit allem kokettierst, was du hast, und mit allem, was dir fehlt. Man müßte, wenns nach dir ging', nicht nur verliebt in dich sein, sondern dich noch liebhaben über die Vernunft hinaus, und um deiner selbst willen, und nicht einmal nur als Mann – sondern – ich weiß ja gar nicht, wie ich sagen soll, o mein Gott, warum muß ein und derselbe Mensch so charmant sein und zugleich so monstros eitel und selbstsüchtig und herzlos!

HANS KARL. Weiß Sie, Toinette, was Herz ist, weiß Sie das? Daß ein Mann Herz für eine Frau hat, das kann er nur durch eins zeigen, nur durch ein einziges auf der Welt: durch die Dauer, durch die Beständigkeit. Nur dadurch: das ist die Probe, die einzige.

ANTOINETTE. Laß mich mit dem Ado – ich kann mit dem Ado nicht leben –

HANS KARL. Der hat dich lieb. Einmal und für alle Male. Der hat dich gewählt unter allen Frauen auf der Welt, und er hat dich liebbehalten und wird dich liebhaben für immer, weißt du, was das heißt? Für immer, gescheh dir, was da will. Einen Freund haben, der dein ganzes Wesen liebhat, für den du immer ganz schön bist, nicht nur heut und morgen, auch später, viel später, für den seine Augen den Schleier, den die Jahre, oder was kommen kann, über dein Gesicht werfen – für seine Augen ist das nicht da, du bist immer die du bist, die Schönste, die Liebste, die Eine, die Einzige.

ANTOINETTE. So hat er mich nicht gewählt. Geheiratet hat er mich halt. Von dem andern weiß ich nichts.[394]

HANS KARL. Aber er weiß davon.

ANTOINETTE. Das, was Sie da reden, das gibts alles nicht. Das redet er sich ein – das redet er Ihnen ein – Ihr seids einer wie der andere, ihr Männer, Sie und der Ado und der Stani, ihr seids alle aus einem Holz geschnitzt, und darum verstehts ihr euch so gut und könnts euch so gut in die Hände spielen.

HANS KARL. Das redt er mir nicht ein, das weiß ich, Toinette. Das ist eine heilige Wahrheit, die weiß ich – ich muß sie immer schon gewußt haben, aber draußen ist sie erst ganz deutlich für mich geworden: es gibt einen Zufall, der macht scheinbar alles mit uns, wie er will – aber mitten in dem Hierhin- und Dorthingeworfenwerden und der Stumpfheit und Todesangst, da spüren wir und wissen es auch, es gibt halt auch eine Notwendigkeit, die wählt uns von Augenblick zu Augenblick, die geht ganz leise, ganz dicht am Herzen vorbei und doch so schneidend scharf wie ein Schwert. Ohne die wäre da draußen kein Leben mehr gewesen, sondern nur ein tierisches Dahintaumeln. Und die gleiche Notwendigkeit gibts halt auch zwischen Männern und Frauen – wo die ist, da ist ein Zueinandermüssen und Verzeihung und Versöhnung und Beieinanderbleiben. Und da dürfen Kinder sein, und da ist eine Ehe und ein Heiligtum, trotz allem und allem –

ANTOINETTE steht auf. Alles was du redst, das heißt ja gar nichts anderes, als daß du heiraten willst, daß du demnächst die Helen heiraten wirst.

HANS KARL bleibt sitzen, hält sie. Aber ich denk doch nicht an die Helen! Ich red doch von dir. Ich schwör dir, daß ich von dir red.

ANTOINETTE. Aber dein ganzes Denken dreht sich um die Helen.

HANS KARL. Ich schwöre dir: ich hab einen Auftrag an die Helen. Ganz einen andern als du dir denkst. Ich sag ihr noch heute –

ANTOINETTE. Was sagst du ihr noch heute – ein Geheimnis?

HANS KARL. Keines, das mich betrifft.

ANTOINETTE. Aber etwas, das dich mit ihr verbindet?

HANS KARL. Aber das Gegenteil![395]

ANTOINETTE. Das Gegenteil? Ein Adieu – du sagst ihr, was ein Adieu ist zwischen dir und ihr?

HANS KARL. Zu einem Adieu ist kein Anlaß, denn es war ja nie etwas zwischen mir und ihr. Aber wenns Ihr Freud macht, Toinette, so kommts beinah auf ein Adieu hinaus.

ANTOINETTE. Ein Adieu fürs Leben?

HANS KARL. Ja, fürs Leben, Toinette.

ANTOINETTE sieht ihn ganz an. Fürs Leben? Nachdenklich. Ja, sie ist so eine Heimliche und tut nichts zweimal und redt nichts zweimal. Sie nimmt nichts zurück – sie hat sich in der Hand: ein Wort muß für sie entscheidend sein. Wenn du ihr sagst: Adieu – dann wirds für sie sein Adieu und auf immer. Für sie wohl. Nach einer kleinen Pause. Ich laß mir von dir den Ado nicht einreden. Ich mag seine Händ nicht. Sein Gesicht nicht. Seine Ohren nicht. Sehr leise. Deine Hände hab ich lieb. – Was bist denn du? Ja, wer bist denn du? Du bist ein Zyniker, ein Egoist, ein Teufel bist du! Mich sitzenlassen ist dir zu gewöhnlich. Mich behalten, dazu bist du zu herzlos. Mich hergeben, dazu bist du zu raffiniert. So willst du mich zugleich loswerden und doch in deiner Macht haben, und dazu ist dir der Ado der Richtige. – Geh hin und heirat die Helen. Heirat, wenn du willst! Ich hab mit deiner Verliebtheit vielleicht was anzufangen, mit deinen guten Ratschlägen aber gar nix. Will gehen.

HANS KARL tut einen Schritt auf sie zu.

ANTOINETTE. Laß Er mich gehen. Sie geht ein paar Schritte, dann halb zu ihm gewendet. Was soll denn jetzt aus mir werden? Red Er mir nur den Feri Uhlfeldt aus, der hat so viel Kraft, wenn er was will. Ich hab gesagt, ich mag ihn nicht, er hat gesagt, ich kann nicht wissen, wie er als Freund ist, weil ich ihn noch nicht als Freund gehabt hab. Solche Reden verwirren einen so. Halb unter Tränen, zart. Jetzt wird Er an allem schuld sein, was mir passiert.[396]

HANS KARL. Sie braucht eins in der Welt: einen Freund. Einen guten Freund. Er küßt ihr die Hände. Sei Sie gut mit dem Ado.

ANTOINETTE. Mit dem kann ich nicht gut sein.

HANS KARL. Sie kann mit jedem.

ANTOINETTE sanft. Kari, insultier Er mich doch nicht.

HANS KARL. Versteh Sie doch, wie ich meine.

ANTOINETTE. Ich versteh Ihn ja sonst immer gut.

HANS KARL. Könnt Sies nicht versuchen?

ANTOINETTE. Ihm zulieb könnt ichs versuchen. Aber Er müßt dabei sein und mir helfen.

HANS KARL. Jetzt hat Sie mir ein halbes Versprechen gegeben.


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 4, Frankfurt a.M. 1979, S. 391-397.
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