Dreizehnte Szene

[399] Crescence und Hans Karl gehen links hinaus.

Helene mit Neuhoff treten von rechts herein. Man hört eine gedämpfte Musik aus einem entfernten Salon.


NEUHOFF hinter ihr. Bleiben Sie stehen. Diese nichtsnutzige, leere, süße Musik und dieses Halbdunkel modellieren Sie wunderbar.

HELENE ist stehengeblieben, geht aber jetzt weiter auf die Fauteuils links zu. Ich stehe nicht gern Modell, Baron Neuhoff.

NEUHOFF. Auch nicht, wenn ich die Augen schließe?

HELENE sagt nichts, sie steht links.

NEUHOFF. Ihr Wesen, Helene! Wie niemand je war, sind Sie. Ihre Einfachheit ist das Resultat einer ungeheuren Anspannung. Regungslos wie eine Statue vibrieren Sie in sich, niemand ahnt es, der es aber ahnt, der vibriert mit Ihnen.

HELENE sieht ihn an, setzt sich.

NEUHOFF nicht ganz nahe. Wundervoll ist alles an Ihnen. Und dabei, wie alles Hohe, fast erschreckend selbstverständlich.

HELENE. Ist Ihnen das Hohe selbstverständlich? Das war ein nobler Gedanke.

NEUHOFF. Vielleicht könnte man seine Frau werden – das war es, was Ihre Lippen sagen wollten, Helene!

HELENE. Lesen Sie von den Lippen wie die Taubstummen?

NEUHOFF einen Schritt näher. Sie werden mich heiraten, weil Sie meinen Willen spüren in einer willenlosen Welt.

HELENE vor sich. Muß man? Ist es ein Gebot, dem eine Frau sich fügen muß: wenn sie gewählt und gewollt wird?[399]

NEUHOFF. Es gibt Wünsche, die nicht weither sind. Die darf man unter seine schönen rassigen Füße treten. Der meine ist weither. Er ist gewandert um die halbe Welt. Hier fand er sein Ziel. Sie wurden gefunden, Helene Altenwyl, vom stärksten Willen, auf dem weitesten Umweg, in der kraftlosesten aller Welten.

HELENE. Ich bin aus ihr und bin nicht kraftlos.

NEUHOFF. Ihr habt dem schönen Schein alles geopfert, auch die Kraft. Wir, dort in unserm nordischen Winkel, wo uns die Jahrhunderte vergessen, wir haben die Kraft behalten. So stehen wir gleich zu gleich und doch ungleich zu ungleich, und aus dieser Ungleichheit ist mir mein Recht über Sie erwachsen.

HELENE. Ihr Recht?

NEUHOFF. Das Recht des geistig Stärksten über die Frau, die er zu vergeistigen vermag.

HELENE. Ich mag nicht diese mystischen Redensarten.

NEUHOFF. Es waltet etwas Mystik zwischen zwei Menschen, die sich auf den ersten Blick erkannt haben. Ihr Stolz soll es nicht verneinen.

HELENE Sie ist aufgestanden. Er verneint es immer wieder.

NEUHOFF. Helene, bei Ihnen wäre meine Rettung – meine Zusammenfassung, meine Ermöglichung!

HELENE. Ich will von niemand wissen, der sein Leben unter solche Bedingungen stellt!


Sie tut ein paar Schritte an ihm vorbei; ihr Blick haftet an der offenen Tür rechts, wo sie eingetreten ist.


NEUHOFF. Wie Ihr Gesicht sich verändert! Was ist das, Helene?

HELENE schweigt, sieht nach rechts.

NEUHOFF ist hinter sie getreten, folgt ihrem Blick. Oh! Graf Bühl erscheint auf der Bildfläche! Er tritt zurück von der Tür. Sie fühlen magnetisch seine Nähe – ja spüren Sie denn nicht, unbegreifliches Geschöpf, daß Sie für ihn nicht da sind?

HELENE. Ich bin schon da für ihn, irgendwie bin ich schon da!

NEUHOFF. Verschwenderin! Sie leihen ihm alles, auch noch die Kraft, mit der er Sie hält.[400]

HELENE. Die Kraft, mit der ein Mensch einen hält – die hat ihm wohl Gott gegeben.

NEUHOFF. Ich staune. Womit übt ein Kari Bühl diese Faszination über Sie? Ohne Verdienst, sogar ohne Bemühung, ohne Willen, ohne Würde –

HELENE. Ohne Würde!

NEUHOFF. Der schlaffe zweideutige Mensch hat keine Würde.

HELENE. Was für Worte gebrauchen Sie da?

NEUHOFF. Mein nördlicher Jargon klingt etwas scharf in Ihre schöngeformten Ohren. Aber ich vertrete seine Schärfe. Zweideutig nenne ich den Mann, der sich halb verschenkt und sich halb zurückbehält – der Reserven in allem und jedem hält – in allem und jedem Berechnungen –

HELENE. Berechnung und Kari Bühl! Ja, sehen Sie ihn denn wirklich so wenig! Freilich ist es unmöglich, sein letztes Wort zu finden, das bei andern so leicht zu finden ist. Die Ungeschicklichkeit, die ihn so liebenswürdig macht, der timide Hochmut, seine Herablassung, freilich ist alles ein Versteckenspiel, freilich läßt er sich mit plumpen Händen nicht fassen. – Die Eitelkeit erstarrt ihn ja nicht, durch die alle andern steif und hölzern werden – die Vernunft erniedrigt ihn ja nicht, die aus den meisten so etwas Gewöhnliches macht – er gehört nur sich selber – niemand kennt ihn, da ist es kein Wunder, daß Sie ihn nicht kennen!

NEUHOFF. So habe ich Sie nie zuvor gesehen, Helene. Ich genieße diesen unvergleichlichen Augenblick! Einmal sehe ich Sie, wie Gott Sie geschaffen hat, Leib und Seele. Ein Schauspiel für Götter. Pfui über die Weichheit bei Männern wie bei Frauen! Aber Strenge, die weich wird, ist herrlich über alles!

HELENE schweigt.

NEUHOFF. Gestehen Sie mir zu, es zeugt von etwas Superiorität, wenn ein Mann es an einer Frau genießen kann, wie sie einen andern bewundert. Aber ich vermag es: denn ich bagatellisiere Ihre Bewunderung für Kari Bühl.

HELENE. Sie verwechseln die Nuancen. Sie sind aigriert, wo es nicht am Platz ist.

NEUHOFF. Über was ich hinweggehe, das aigriert mich nicht.[401]

HELENE. Sie kennen ihn nicht! Sie haben ihn kaum gesprochen.

NEUHOFF. Ich habe ihn besucht –

HELENE sieht ihn an.

NEUHOFF. Es ist nicht zu sagen, wie dieser Mensch Sie preisgibt – Sie bedeuten ihm nichts. Sie sind es, über die er hinweggeht.

HELENE ruhig. Nein.

NEUHOFF. Es war ein Zweikampf zwischen mir und ihm, ein Zweikampf um Sie – und ich bin nicht unterlegen.

HELENE. Nein, es war kein Zweikampf. Es verdient keinen so heroischen Namen. Sie sind hingegangen, um dasselbe zu tun, was ich in diesem Augenblick tu! Lacht. Ich gebe mir alle Mühe, den Grafen Bühl zu sehen, ohne daß er mich sieht. Aber ich tue es ohne Hintergedanken.

NEUHOFF. Helene!

HELENE. Ich denke nicht, dabei etwas wegzutragen, das mir nützen könnte!

NEUHOFF. Sie treten mich ja in den Staub, Helene – und ich lasse mich treten!

HELENE schweigt.

NEUHOFF. Und nichts bringt mich näher?

HELENE. Nichts.


Sie geht einen Schritt auf die Tür rechts zu.


NEUHOFF. Alles an Ihnen ist schön, Helene. Wenn Sie sich niedersetzen, ist es, als ob Sie ausruhen müßten von einem großen Schmerz – und wenn Sie quer durchs Zimmer gehen, ist es, als ob Sie einer ewigen Entscheidung entgegengingen.


Hans Karl ist in der Tür rechts erschienen.

Helene gibt Neuhoff keine Antwort. Sie geht lautlos

langsam auf die Tür rechts zu.

Neuhoff geht schnell links hinaus.
[402]


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 4, Frankfurt a.M. 1979, S. 399-403.
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