[507] Theodor, hinter ihm Hermine treten links ein.
Jaromir trommelt wütend mit den Fingern auf der Kommode, nächst der er steht.
THEODOR indem er auf seine Uhr sieht. Euer Gnaden werden verzeihen, wenn wir mit Packen schon anfangen. Gepäckwagen geht vor acht Uhr.
MELANIE. Ja, natürlich, packen Sie nur. Bringen Sie auch den zweiten Koffer hier heraus, hier ist mehr Platz. Und geben Sie nur acht, Franz, daß später dann das zuunterst gelegt wird, was ich Ihnen früher übergeben habe.
THEODOR. Sehr wohl, ich werde beaufsichtigen.
Ab mit Hermine ins Toilettenzimmer, dessen Tür offen bleibt.
MELANIE mit einem Blick auf Jaromir. Und jetzt bleibt gerade noch die Zeit, daß Sie mich zu Ihrer Mutter begleiten, damit ich mich verabschiede. Die letzte halbe Stunde dann vor dem Souper will ich mit Ihrer Frau verbringen – aber ohne Sie. Wir Frauen haben einander eine Menge zu sagen.
Theodor und Hermine bringen mehrere Koffereinsätze, auf denen Blusen, Kleider, kleine
Morgenmäntel, Kimonos und dergleichen aufgehäuft liegen.
JAROMIR will etwas antworten.
MELANIE wendet sich indessen zu Hermine. Ich mache Ihnen viel Mühe, meine Liebe, erst mit dem Auspacken, jetzt mit dem Einpacken, behalten Sie dafür diese Bluse. Ich hoffe, sie gefällt Ihnen.
HERMINE. Oh, Euer Gnaden!
Küßt ihr die Hand.
[507]
JAROMIR ärgert sich wütend, murmelt. So vergeuden Sie diese letzten paar Minuten!
MELANIE wendet sich zu ihm. Ihnen, Baron Jaromir, kann ich zum Abschied nichts schenken! Im Gegenteil, von Ihnen nehme ich etwas mit – etwas, das mit mir zu nehmen mir sehr viel bedeutet.
JAROMIR ohne zu achten, was sie sagt, mit einem letzten Wunsch, sie zu sich hinüberzuziehen, leise, während Theodor und Hermine für einen Augenblick wieder im Toilettenzimmer verschwunden sind.. Siehst du dort die kleine Brücke? Sie hätte heute jemandem ein Weg sein sollen – hierher, einem zärtlichen Freund, Melanie! Soll sie umsonst gebaut sein?
MELANIE laut, da Theodor und Hermine wieder eintreten, beladen mit Kleidern und Mänteln. Wie sagen Sie, Baron Jaromir? Nein, das Hämmern da draußen auf dem Dach hat mich gar nicht gestört. Ich schlaf nie nachmittags. Ich habe gelesen, nicht wahr, Franz, Sie haben mich lesend gefunden.
THEODOR. Jawohl.
MELANIE. Sie wissen, ich lese ganz selten in Büchern, außer in ganz oberflächlichen, die einem gar nichts nützen, aber manchmal passiert es doch, daß ich durch eine Lektüre auf einmal recht weit vorwärts komme. So etwas ist heute nachmittag passiert. Die Grenze zwischen zärtlich attachierend und frivol ist mir auf einmal ganz klar geworden. Und auch die zwischen dem, was man vielleicht noch entschuldigen könnte, und dem, was einfach unerlaubt ist.
JAROMIR verstockt. Ich verstehe Sie absolut nicht.
MELANIE sehr ernst. So? Sie verstehen mich nicht? Wirklich, Jaromir? Sie haben hier in diesem Hause mehr als Sie verdienen. Und ich habe anderswo das, was schließlich meine Existenz ist. Darum gehe ich jetzt weg und Sie bleiben hier.
JAROMIR. Ich verstehe kein Wort. Aber ich werde Sie zu meiner Mutter begleiten.
MELANIE an der Tür. Nein, ich möchte, daß Sie mich allein gehen lassen und über das, was ich gesagt habe, für sich selber ein bißchen nachdenken, Sie geht. – ein ganz kleines bißchen nachdenken!
[508]
Jaromir bleibt zurück und stößt zornig die Zigarette in eine kleine Aschenschale, bis sie verlischt.
THEODOR der ihn mit einem eigentümlichen, undurchdringlichen Ausdruck beobachtet. Stören wir Euer Gnaden? Sollen wir mit den Koffern ins Nebenzimmer?
Jaromir zuckt zusammen und geht ohne Antwort schnell aus dem Zimmer.
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