Erster Aufzug


[307] Auf einem flachen Dach über den kaiserlichen Gärten. Seitlich der Eingang in Gemächer, matt erleuchtet.


DIE AMME kauernd im Dunkel.

Licht überm See –

ein fließender Glanz –

schnell wie ein Vogel! –

Die Wipfel der Nacht

von oben erhellt –

eine Feuerhand

will fassen nach mir –

bist du es, Herr?

Siehe, ich wache

bei deinem Kinde

nächtlich in Sorge und Pein!

DER BOTE tritt aus der Finsternis hervor, geharnischt, von blauem Licht umflossen.

Nicht der Gebieter,

Keikobad nicht,

aber sein Bote!

Ihrer elf

haben dich heimgesucht,

ein neuer mit jedem schwindenden Mond.

Der zwölfte Mond ist hinab:

der zwölfte Bote steht vor dir.

DIE AMME beklommen.

Dich hab ich nie gesehn.

DER BOTE streng.

Genug: ich kam

und frage dich:

Wirft sie einen Schatten?

Dann wehe dir!

Weh uns allen![307]

DIE AMME triumphierend, aber gedämpft.

Keinen! Bei den gewaltgen Namen!

Keinen! Keinen!

Durch ihren Leib

wandelt das Licht,

als wäre sie gläsern.

DER BOTE finster.

Einsamkeit um dich,

das Kind zu schützen.

Vom schwarzen Wasser

die Insel umflossen,

Mondberge sieben

gelagert um den See –

und du ließest, du Hündin,

das Kleinod dir stehlen!

DIE AMME.

Von der Mutter her

war ihr ein Trieb

übermächtig

zu Menschen hin!

Wehe, daß der Vater

dem Kinde die Kraft gab,

sich zu verwandeln!

Konnt ich einem Vogel

nach in die Luft?

Sollt ich die Gazelle

mit Händen halten?

DER BOTE.

Laß mich sie sehn!

DIE AMME leise.

Sie ist nicht allein:

Er ist bei ihr.

Die Nacht war nicht

in zwölf Monden,

daß er ihrer nicht hätte begehrt!

Er ist ein Jäger

und ein Verliebter,

sonst ist er nichts![308]

Im ersten Dämmer

schleicht er von ihr,

wenn Sterne einfallen

ist er wieder da!

Seine Nächte sind ihr Tag,

seine Tage sind ihre Nacht. –

DER BOTE sehr bestimmt.

Zwölf lange Monde

war sie sein!

Jetzt hat er sie noch

drei kurze Tage!

Sind die vorbei: –

sie kehrt zurück

in Vaters Arm.

DIE AMME mit gedämpftem Jubel.

Und ich mit ihr!

O gesegneter Tag!

Doch er?

DER BOTE.

Er wird zu Stein!

DIE AMME.

Er wird zu Stein!

Daran erkenn ich Keikobad

und neige mich!

DER BOTE verschwindend.

Wahre sie du!

Drei Tage! Gedenk!

DER KAISER tritt in die Tür des Gemaches.

Amme! Wachst du?

DIE AMME.

Wache und liege

der Hündin gleich

auf deiner Schwelle!

DER KAISER tritt hervor, schön, jung, im Jagdharnisch; es dämmert schwach.

Bleib und wache,

bis sie dich ruft!

Die Herrin schläft.[309]

Ich geh zur Jagd.

Heute streif ich

bis an die Mondberge

und schicke meine Hunde

über das schwarze Wasser,

wo ich meine Herrin fand,

und sie hatte den Leib

einer weißen Gazelle

und warf keinen Schatten,

und entzündete mir das Herz.

Wollte Gott, daß ich heute

meinen roten Falken wiederfände,

der mir damals

meine Liebste fing!

Denn als sie mir floh

und war wie der Wind

und höhnte meiner –

und zusammenbrechen

wollte mein Roß –,

da flog er

der weißen Gazelle

zwischen die Lichter –,

und schlug mit den Schwingen

ihre süßen Augen!

Da stürzte sie hin

und ich auf sie

mit gezücktem Speer –

da riß sichs in Ängsten

aus dem Tierleib,

und in meinen Armen

rankte ein Weib! –

Oh, daß ich ihn wiederfände!

Wie wollt ich ihn ehren! –

Den roten Falken!

Denn ich habe mich versündigt gegen ihn

in der Trunkenheit der ersten Stunde:

denn als sie mein Weib geworden war,

da stieg Zorn in mir auf[310]

gegen den Falken,

daß er es gewagt hatte,

auf ihrer Stirn zu sitzen

und zu schlagen

ihre süßen Lichter!

Und in der Wut

warf ich den Dolch

gegen den Vogel

und streifte ihn,

und sein Blut tropfte nieder. –

DIE AMME lauernd.

Herr, wenn du anstellst

ein solches Jagen –

leicht bleibst du dann fern über Nacht?

DER KAISER.

Kann sein, drei Tage

komm ich nicht heim!

Hüte du mir die Herrin

und sag ihr: wenn ich jage –

es ist um sie

und aber um sie!

Und was ich erjage

mit Falke und Hund,

und was mir fällt

von Pfeil und Speer:

es ist anstatt ihrer!

Denn meiner Seele

und meinen Augen

und meinen Händen

und meinem Herzen

ist sie die Beute

aller Beuten

ohn Ende!


Schnell ab.

Morgendämmerung stärker, man hört Vogelstimmen.


DIE AMME zu einigen Dienern, die sich allmählich um den Kaiser versammelt hatten.

Fort mit euch![311]

Ich höre die Herrin!

Ihr Blick darf euch nicht sehn!


Die Diener auf und hinab, lautlos.


DIE KAISERIN tritt aus dem Gemach.

Ist mein Liebster dahin,

was weckst du mich früh?

Laß mich noch liegen!

Vielleicht träum ich

mich zurück

in eines Vogels leichten Leib

oder einer jungen

weißen Gazelle!

Oh, daß ich mich nimmer verwandeln kann!

Oh, daß ich den Talisman verlieren mußte

in der Trunkenheit der ersten Stunde!

Und wäre so gern

das flüchtige Wild,

das seine Falken

schlagen – Sieh! –

da droben, sieh! –

Da hat sich einer

von seinen Falken –

sieh – verflogen!

Oh, sieh doch hin,

der rote Falke,

der einst mich

mit seinen Schwingen –

ja, er ists!

O Tag der Freude

für meinen Liebsten

und für mich!

Unser Falke,

unser Freund!

Sei mir gegrüßt,

schöner Vogel,

kühner Jäger!

Er hat uns vergeben,

er kehrt uns zurück.[312]

Oh, sieh hin,

er bäumt auf!

Dort auf dem Zweige –

wie er mich ansieht –

von seinem Fittich

tropft ja Blut,

aus seinen Augen

rinnen ja Tränen!

Falke! Falke!

Warum weinst du?

DES FALKEN STIMME klagend.

Wie soll ich denn nicht weinen?

Wie soll ich denn nicht weinen?

Die Frau wirft keinen Schatten,

der Kaiser muß versteinen!

DIE KAISERIN.

Dem Talisman,

den ich verlor

in der Trunkenheit der ersten Stunde,

ihm war ein Fluch

eingegraben –

gelesen einst,

vergessen, ach!

Nun kam es wieder: –

DES FALKEN STIMME.

Die Frau wirft keinen Schatten,

der Kaiser muß versteinen!

Wie soll ich da nicht weinen?

DIE AMME dumpf wiederholend.

Die Frau wirft keinen Schatten!

DIE KAISERIN.

Der Kaiser muß versteinen!


Ausbrechend.


Amme, um alles,

wo find ich den Schatten?

DIE AMME dumpf.

Er hat sich vermessen,

daß er dich mache[313]

zu seinesgleichen –

eine Frist ward gesetzt,

daß er es vollbringe.

Deines Herzens Knoten

hat er dir nicht gelöst,

ein Ungebornes

trägst du nicht im Schoß,

Schatten wirfst du keinen.

Des zahlt er den Preis!

DIE KAISERIN.

Weh, mein Vater!

Schwer liegt deine Hand

auf deinem Kind.

Doch stärker als andre

noch bin ich!

– – – – – – – – – – –

Amme, um alles,

du weißt die Wege,

du kennst die Künste,

nichts ist dir verborgen

und nichts zu schwer.

Schaff mir den Schatten!

Hilf deinem Kind!


Sie fällt vor ihr nieder.


DIE AMME streng.

Ein Spruch ist getan

und ein Vertrag!

Es sind angerufen

gewaltige Namen,

und es ist an dir,

daß du dich fügest!


Unter der Gewalt ihres Blickes, stockend.


Den Schatten zu schaffen

– – – – – – – – – – –

wüßt ich vielleicht,

– – – – – – – – – – –

doch daß er dir haftet,

müßtest du selber[314]

ihn dir holen.

Und weißt du auch wo?

DIE KAISERIN.

Sei es wo immer,

zeig mir den Weg,

und geh ihn mit mir!

DIE AMME leise und schauerlich.

Bei den Menschen!

Grausts dich nicht?

Menschendunst

ist uns

Todesluft.

Dies Haus, getürmt

den Sternen entgegen,

emporgetrieben spielende Wasser

buhlend um Reinheit

der himmlischen Reiche!

Uns riecht ihre Reinheit

nach rostigem Eisen

und gestocktem Blut

und nach alten Leichen!

Und nun von hier

noch tiefer hinab!

Dich ihnen vermischen,

hausen mit ihnen,

handeln mit ihnen,

Rede um Rede,

Atem um Atem,

erspähn ihr Belieben,

ihrer Bosheit dich schmiegen,

ihrer Dummheit dich bücken,

ihnen dienen!

Grausts dich nicht?

DIE KAISERIN sehr bestimmt und groß.

Ich will den Schatten!


Mit großem Schwung.


Ein Tag bricht an!

Führ mich zu ihnen:[315]

ich will!


Fahles Morgenlicht.


DIE AMME.

Ein Tag bricht an,

ein Menschentag.

Witterst du ihn?

Schauderts dich schon?

Das ist ihre Sonne:

der werfen sie Schatten!

Ein Verräter Wind

schleicht sich heran,

an ihren Häusern

haucht er hin,

an ihren Haaren

reißt er sie auf!


Allmählich Morgenrot.


– – – – – – – – – – –


Voll Hohn und Geringschätzung.


Der Tag ist da,

der Menschentag, –

ein wildes Getümmel,

gierig – sinnlos,

ein ewiges Trachten

ohne Freude!


Wild und haßerfüllt.


Tausend Gesichter,

keine Mienen –

Augen, die schauen,

ohne zu blicken –

Kielkröpfe, die gaffen,

Lurche und Spinnen –

uns sind sie zu schauen

so lustig wie sie!

– – – – – – – – – – –

Sie zu fassen

verstünde ich schon –

mich einzunisten –

ihnen Streiche zu spielen[316]

im eigenen Haus –

ist mein Element!

Diebesseelen sind ihre Seelen –

so verkauf ich

einen dem andern!

Eine Gaunerin bin ich

unter Gaunern,

Muhme nennen sie mich

und Mutter gar!

Ziehsöhne hab ich

und Ziehtöchter viel,

hocken wie Ungeziefer auf mir!

Warte, du sollst was sehn!

DIE KAISERIN ohne auf die Amme zu achten.

Weh, was faßt mich

gräßlich an!

Zu welchem Geschick

reißts mich hinab?

DIE AMME dicht an ihr.

Zitterst du?

Reut dich dein Wünschen?

Heißest uns bleiben?

Lässest den Schatten dahin?

DIE KAISERIN.

Mich schaudert freilich,

aber ein Mut

ist in mir,

der heißt mich tun,

wovor mich schaudert!

Und kein Geschäfte

außer diesem,

das wert mir schiene

besorgt zu werden!

Hinab mit uns!


Das Morgenrot flammt voll auf.


DIE AMME.

Hinab denn mit uns!

Die Geleiterin hast du[317]

dir gut gewählt,

Töchterchen, liebes,

warte nur, warte!

Um ihre Dächer

versteh ich zu flattern,

durch den Rauchfang

weiß ich den Weg,

und ihrer Herzen

verschlungene Pfade,

Krümmen und Schlüfte,

die kenne ich gut.


Sie tauchen hinab in den Abgrund der Menschenwelt, das Orchester nimmt ihren Erdenflug auf.

Der Zwischenvorhang schließt sich rasch.

Verwandlung.

Im Hause des Färbers. Ein kahler Raum, Werkstatt und Wohnung in einem. Hinten links das Bette, hinten rechts die einzige Ein- und Ausgangstür. Vorne die Feuerstätte, alles orientalisch-dürftig. Gefärbte Tücher an Stangen zum Trocknen aufgehängt da und dort; Tröge, Eimer, Zuber, an Ketten hängende Kessel, große Schöpflöffel, Rührstangen, Stampfmörser, Handmühlen; Büschel getrockneter Blumen und Kräuter aufgehängt, anderes dergleichen an den Mauern aufgeschichtet; Farbmassen in Pfützen auf dem Lehmboden; dunkelblaue, dunkelgelbe Flecken da und dort.

Beim Aufgehen des Vorhanges liegt der Einäugige auf dem Einarmigen, würgt ihn. Der Junge, Bucklige, sucht den Einäugigen wegzureißen. Die

Färbersfrau kommt von rückwärts herzu, sucht nach einem Zuber, die Streitenden mit Wasser zu beschütten.


DER EINÄUGIGE schlägt auf den unter ihm Liegenden.

Dieb! Da nimm!

Unersättlicher Nehmer![318]

DER EINARMIGE unten, röchelnd.

Reiß ihn nach hinten!

Hund den! Mörder!

DER BUCKLIGE.

Zu Hilfe, Bruder!

Sie würgen einander!

DIE FRAU beschüttet sie.

Schamlose ihr!

Eines Hundes Geschick über euch!


Die drei Brüder, auf das Tun der Frau, auf und auseinander; fauchen, an der Erde hockend, gegen die Frau.


DER EINÄUGIGE.

Willst du uns schmähen, Hergelaufene!

Du Tochter von Bettlern, wer bist denn du?

Unser waren dreizehn Kinder,

aber für jeden Armen, der kam,

standen die Schüsseln und dampften von Fett!

DER BUCKLIGE.

Was hebst du die Hand gegen uns, du Schöne,

bist doch unserm Bruder mit Lust zu Willen!

DER EINARMIGE.

Laß sie, Bruder, was ist ein Weib!

BARAK der Färber, tritt eben in die Tür.

DIE FRAU.

Aus dem Haus mir mit diesen!

Du, schaff sie mir fort!

Oder es ist meines Bleibens nicht länger bei dir!

BARAK gelassen.

Hinaus mit euch!

Ist Zeug zum Schwemmen

zehn Körbe voll,

was lungert ihr hier?


Die drei Brüder gehen ab.


BARAK schichtet gefärbte Tierhäute übereinander zu einem mächtigen Haufen.

DIE FRAU.

Sie aus dem Hause,

und das für immer,[319]

oder ich.

Daran will ich erkennen,

was ich dir wert bin.

BARAK weiterschaffend.

Hier steht die Schüssel,

aus der sie sich stillen.

Wo sollten sie herbergen,

wenn nicht in Vaters Haus?

DIE FRAU schweigt böse.

BARAK wie vorher, ohne aufzusehen.

Kinder waren sie einmal,

hatten blanke Augen, gerade Arme,

einen glatten Rücken.

Aufwachsen hab ich sie sehn

in Vaters Haus.

DIE FRAU ihn höhnend.

Für dreizehn Kinder

standen die Schüsseln

dampfend von Fett –

kam noch ein Bettler,

Platz war für jeden!


Sie hält sich die Ohren zu.


BARAK holt ein Tau, den Pack zu schnüren; hält inne, sieht sie an.

Speise für dreizehn,

wenn es nottut,

schaff ich auch

mit diesen zwei Händen!


Hat sich aufgerichtet, steht dicht bei ihr.


Gib du mir Kinder, daß sie mir hocken

um die Schüsseln zu Abend,

es soll mir keines hungrig aufstehn.

Und ich will preisen ihre Begierde

und danksagen im Herzen,

daß ich bestellt ward,

damit ich sie stille.


Er tritt näher, rührt sie leise an.


Wann gibst du mir

die Kinder dazu?

DIE FRAU hat sich abgekehrt; wie er sie anrührt, schüttelt sies.[320]

BARAK arglos, behaglich.

Ei du, 's ist dein Mann, der vor dir steht –

soll dich der nicht anrühren dürfen?

DIE FRAU ohne ihn anzusehen.

Mein Mann steht vor mir! Ei ja, mein Mann,

ich weiß, ei ja, ich weiß, was das heißt!

Bin bezahlt und gekauft, es zu wissen,

und gehalten im Haus

und gehegt und gefüttert,

damit ich es weiß,

und will es von heut ab nicht wissen,

verschwöre das Wort und das Ding!

BARAK.

Heia! Die guten Gevatterinnen,

haben sie nicht die schönen Sprüche

gesprochen über deinen Leib,

und ich hab siebenmal gegessen

von dem, was sie gesegnet hatten,

und wenn du seltsam bist

und anders als sonst –

ich preise die Seltsamkeit

und neige mich

zur Erde

vor der Verwandlung!

O Glück über mir

und Erwartung

und Freude im Herzen!


Er kniet nieder zur Arbeit.


DIE FRAU.

Triefäugige Weiber, die Sprüche murmeln,

haben nichts zu schaffen

mit meinem Leib,

und was du gegessen hast vor Nacht,

hat keine Gewalt über meine Seele.


Leise.


Dritthalb Jahr

bin ich dein Weib –

und du hast keine Frucht[321]

gewonnen aus mir

und mich nicht gemacht

zu einer Mutter.

Gelüsten danach

hab ich abtun müssen

von meiner Seele:

Nun ist es an dir,

abzutun Gelüste,

die dir lieb sind.

BARAK mit ungezwungener Feierlichkeit und Frömmigkeit des Herzens.

Aus einem jungen Mund

gehen harte Worte

und trotzige Reden,

aber sie sind gesegnet

mit dem Segen der Widerruflichkeit.

Ich zürne dir nicht

und bin freudigen Herzens,

und ich harre

und erwarte

die Gepriesenen,

die da kommen.


Barak hat den gewaltigen Pack zusammengeschnürt, hebt ihn auf den Herd und lädt ihn von da, indem er sich bückt und das Ende des Strickes vornüberzieht, auf seinen Rücken; beladen richtet er sich auf.


DIE FRAU finster vor sich.

Es kommen keine

in dieses Haus,

viel eher werden welche hinausgehn

und schütteln den Staub von ihren Sohlen.


Fast tonlos.


Also geschehe es,

lieber heute als morgen.

BARAK nickt ihr gutmütig zu; ohne auf ihre letzten Worte zu hören; indem er, unter der gewaltigen Last schwer gehend, den Weg zur Tür nimmt, vor sich.

Trag ich die Ware mir selber zu Markt,[322]

spar ich den Esel, der sie mir schleppt!


Er geht.

Die Frau, allein, hat sich auf ein Bündel oder einen Sack gesetzt, der vorne liegt.

Ein Heranschweben, ein Dämmern, ein Aufblitzen in der Luft. Die Amme, in einem Gewand aus schwarzen und weißen Flicken, die Kaiserin, wie eine Magd gekleidet, stehen da, ohne daß sie zur Tür hereingekommen wären.


DIE FRAU ist jäh auf den Füßen.

Was wollt ihr hier?

Wo kommt ihr her?

DIE AMME nähert sich demütig, ihr den Fuß zu küssen.

Ach! Schönheit ohnegleichen!

Ein blitzendes Feuer!

Oh! Oh! Meine Tochter, vor wem stehen wir?

Wer ist diese Fürstin, wo bleibt ihr Gefolge?

Wie kommt sie allein in diese Spelunke?


Sie hebt sich furchtsam aus der fußfälligen Lage.


Verstattest du die Frage, meine Herrin?

War dieser einer von deinen Bedienten

oder von deinen Botengängern,

der Große mit einem Pack auf dem Rücken,

solch ein Vierschrötiger, nicht mehr junger,

mit gespaltenem Maul und niedriger Stirne!

DIE FRAU.

Du Zwinkernde, die ich nie gesehn

und weiß nicht, wo du hereingeschlüpft bist –

dich durchschau ich so weit: Du weißt ganz wohl,

daß dieser der Färber und mein Mann ist,

und daß ich hier im Hause wohne.

DIE AMME springt auf die Füße, wie in maßlosem Erstaunen.

Oh, meine Tochter, starre und staune!

Die wäre das Weib der Färbers Barak?

Heran, meine Tochter, es wird dir verstattet:

betrachte dir diese Wimpern und Wangen,

betrachte dir diesen Leib in der Schlankheit

des ganz jungen Palmbaums und schrei: Wehe!

DIE KAISERIN.

Ich will den Schatten küssen, den sie wirft![323]

DIE AMME.

Wehe! Und das soll ihm Kinder gebären!

Und das soll einsam hier verkümmern!

O des blinden Geschicks und der Tücke des Zufalls!

DIE FRAU geht ängstlich vor ihr zurück.

Weh, daß du gekommen bist, meiner zu höhnen!

Was redest du da und was starrst du auf mich

und willst mich zu einer Närrin machen

vor Gott und den Menschen.


Sie weint.


DIE AMME mit gespieltem Erstaunen, indem sie die Kaiserin fortzieht.

Wehe, mein Kind, und fort mit uns!

Diese weist uns von sich und will nicht unsre Dienste

Sie kennt das Geheimnis und will unser spotten,

fort mit uns!

DIE FRAU steht jäh auf.

Welches Geheimnis,

du Unsagbare du!

Bei meiner Seele und deiner,

welches Geheimnis?

DIE AMME neigt sich tief.

Das Geheimnis des Kaufs

und das Geheimnis des Preises,

um den du dir alles erkaufst.

DIE FRAU.

Bei meiner Seele und dem Jüngsten Tag,

ich weiß von keinem Kauf, ich weiß von keinem Preis!

DIE AMME.

Oh, meine Herrin, soll ich dir glauben,

daß du deinen Schatten,

dies schwarze Nichts

hinter dir auf der Erde,

daß dir dies Ding ohne Namen nicht feil ist –

auch nicht um unvergänglichen Reiz

und um Macht ohne Schranken

über die Männer?[324]

DIE FRAU dreht sich nach ihrem Schatten um.

Der gekrümmte Schatten

eines Weibes, wie ich bin!

Wer gäbe dafür

auch nur den schmählichsten Preis?

DIE AMME.

Alles, du Benedeite, alles

zahlen begierige Käufer, du Herrin,

wenn eine Unnennbare deinesgleichen

abtut ihren Schatten und gibt ihn dahin!

Ei! Die Sklavinnen und die Sklaven,

so viele ihrer du verlangest,

und die Brokate und Seidengewänder,

in denen du stündlich wechselnd prangest,

und die Maultiere und die Häuser

und die Springbrunnen und die Gärten

und deiner Liebenden nächtlich Gedränge

und dauernde Jugendherrlichkeit

für ungemessene Zeit

dies alles ist dein,

du Herrscherin,

gibst du den Schatten dahin!


Sie greift in die aufblitzende Luft und reicht der Frau ein köstliches Haarband aus Perlen und Edelsteinen.


DIE FRAU.

Dies in mein Haar?

Du Liebe, du! –

Doch ich armes Weib,

ich hab keinen Spiegel!

Dort überm Trog

mach ich mein Haar!

DIE AMME.

Verstattest du,

ich schmücke dich!


Sie legt ihr die Hand auf die Augen, sogleich ist sie selbst samt der Frau verschwunden. An Stelle des Färbergemaches steht ein herrlicher Pavillon da, in

dessen Inneres wir blicken: es ist das Wohngemach einer Fürstin. Der Boden scheint mit einem Teppich in[325] den schönsten Farben bedeckt, doch sind es Sklavinnen in bunten Gewändern. Sie heben sich nun von der Erde, lauschen kniiend nach rückwärts, rufen mit süßen, wie ein Glockenspiel ineinanderklingenden Stimmen.


DIENERINNEN.

Ach, Herrin, süße Herrin! Aah!


Durch eine kleine Tür rückwärts, links, tritt die Frau, geführt von der Amme, in das Gemach. Sie ist fast nackt, in einen Mantel gehüllt, gleichsam aus dem Bade kommend; sie trägt das Perlenband ins Haar gewunden. Sie geht mit der Amme durch die knieenden Sklavinnen quer durch, an einen großen ovalen Metallspiegel, der rechts vorne steht. Dort setzt sie sich und sieht sich mit Staunen.


STIMME DER KAISERIN.

Willst du um dies Spiegelbild

nicht den hohlen Schatten geben?

STIMME DES JÜNGLINGS gleichsam antwortend.

Gäb ich um dies Spiegelbild

doch die Seele und mein Leben!

DIE FRAU.

O Welt in der Welt! O Traum im Wachen!


Wie die Frau den Mund auftut, verbleicht alles und beginnt zu entschwinden.


DIENERINNEN.

Weh! Zu früh!

Herrin! Ach Herrin!


Das Färberhaus steht wieder da, die Amme wie früher, die Kaiserin seitlich; die Färberin in ihrem ärmlichen Gewand – der Schmuck ist verschwunden – klammert sich taumelnd an die Amme. Die Amme und die Kaiserin wechseln einen Blick.


DIE FRAU sehr aufgeregt.

Und hätt ich gleich

den Willen dazu –

Wie tät ich ihn ab

und gäb ihn dahin –

den an der Erde,

ihn, meinen Schatten?

Nein, sag doch schnell![326]

Nein, schnell doch, schnell,

du Kluge, du Gute!

Jetzt sag es, schnell!


Die Amme zieht sich um, winkt die Tochter heran, gleichsam als Zeugin.

Die Frau kann ihre Ungeduld kaum bemeistern.


DIE AMME.

Hat es dich blutige Tränen gekostet,

daß du dem Breitspurigen keine Kinder geboren hast?

Und lechzt dein Herz darnach bei Tag und Nacht,

daß viele kleine Färber durch dich eingehen sollen in diese Welt?

Soll dein Leib eine Heerstraße werden

und deine Schlankheit ein zerstampfter Weg?

Und sollen deine Brüste welken

und ihre Herrlichkeit schnell dahin sein?

DIE FRAU leise.

Meine Seele ist satt worden der Mutterschaft,

eh sie davon verkostet hat.

Ich lebe hier im Haus,

und der Mann kommt mir nicht nah!

So ist es gesprochen

und geschworen

in meinem Innern.

DIE AMME.

Abzutun

Mutterschaft

auf ewige Zeiten

von deinem Leibe!

Dahinzugeben

mit der Gebärde

der Verachtung

die Lästigen,

die da nicht geboren sind!

So ist es gesprochen

und so geschworen!

Du Seltene du!

Du erhobene Fackel![327]

O du Herrscherin, o du Gepriesene unter den Frauen,

nun sollst du es sehn und es erleben:

angerufen werden

gewaltige Namen

und ein Bund geschlossen

und gesetzt ein Bann!

Tage drei

dienen wir dir

hier im Haus,

diese und ich,

dies ist gesetzt!

Sind die vorbei,

dem Dienst zum Lohn

von Mund zu Mund,

von Hand zu Hand,

mit wissender Hand

und willigem Mund

gibst du den Schatten

uns dahin

und gehest ein

in der Freuden Beginn!

Und die Sklavinnen und die Sklaven

und die Springbrunnen und die Gärten

und Gewölbe voll Tonnen Goldes –

DIE FRAU unterbricht sie jäh.

Still und verschwiegen:

ich höre meinen Mann, der wiederkommt!


Finster.


Nun wird er verlangen nach seinem Nachtmahl,

das nicht bereit ist,

und nach seinem Lager,


Fast tonlos.


das ich ihm nicht gewähren will.

DIE AMME hastig.

Du bist nicht allein:

Dienerinnen hast du,

diese und mich.

Morgen zu Mittag[328]

stehn wir dir in Dienst:

als arme Muhmen

mußt du uns grüßen,

nach Mitternacht nur,

indes du ruhest,

entlässest du uns

für kurze Frist,

das braucht niemand zu wissen!

Jetzt schnell, was nottut!


Ein Windstoß durchfährt plötzlich den Raum, den die allmählich einsetzende Dämmerung in Halbdunkel getaucht hat.


DIE AMME befehlend.

Fischlein fünf aus Fischers Zuber,

wandert ins Öl,

und, Pfanne, empfang sie!

Feuer, rühr dich!

Hierher, du Bette des Färbers Barak!

Und fort mit den Gästen, von wo sie kamen!


Die Amme hat befehlend in die Hände geschlagen, lautlos. – Die Fischlein fliegen blinkend durch die Luft herein und landen in der Pfanne, das Feuer unterm Herd flammt auf, die Hälfte des ehelichen Lagers hat sich abgetrennt, und es ist ganz im Vordergrunde eine schmälere Lagerstatt für einen einzelnen erschienen, indessen hinten das Lager der Frau durch einen Vorhang verhängt erscheint – und indes dies alles geschah, sind die Amme selbst und die Kaiserin lautlos durch die Luft verschwunden. Der Feuerschein flackert durch den dämmernden Raum. Die Frau steht allein und starr vor Staunen. Plötzlich ertönen aus der Luft, als wären es die Fischlein in der Pfanne, ängstlich.


FÜNF KINDERSTIMMEN.

Mutter, Mutter, laß uns nach Hause!

Die Tür ist verriegelt, wir finden nicht ein,

wir sind im Dunkel und in der Furcht!

Mutter, o weh!

DIE FRAU in höchster Angst über das Unbegreifliche, ratlos um sich blickend.

Was winselt so gräßlich

aus diesem Feuer?[329]

DIE KINDERSTIMMEN dringender.

Wir sind im Dunkel und in der Furcht!

Mutter, Mutter, laß uns ein!

Oder ruf den lieben Vater,

daß er uns die Tür auftu!

DIE FRAU in großer Angst.

O fänd ich Wasser, dies Feuer zu schweigen!


Die Flamme unterm Herd wird zusehends schwächer.


DIE KINDERSTIMMEN verhauchend.

Mutter, o weh! Dein hartes Herz!


Die Frau sinkt vorne auf ein Bündel, wischt sich den Angstschweiß von der Stirne.


BARAK erscheint in der Tür, mit einem vollgepackten Korb beladen; vor sich, behaglich.

Trag ich die Ware mir selber zu Markt,

spar ich den Esel, der sie mir schleppt.


Die Frau hebt sich mühsam, geht nach hinten an ihr Lager, hebt den Vorhang und sagt nichts.


BARAK kommt nach vorne.

Ein gepriesener Duft

von Fischen und Öl.

Was kommst du nicht essen?

DIE FRAU von rückwärts.

Hier ist dein Essen

Ich geh zur Ruh.

Dort ist jetzt dein Lager.

BARAK wirds gewahr, gemäßigt unwillig.

Mein Bette hier? Wer hat das getan?

DIE FRAU von ihrer Stelle.

Von morgen ab schlafen zwei Muhmen hier,

denen richt ich das Lager zu meinen Füßen

als meinen Mägden. So ist es gesprochen,

und so geschieht es.


Sie zieht den Vorhang vor.


BARAK indem er resigniert ein Stück Brot aus dem Gewand zieht und, dieses essend, sich auf die Erde setzt.

Sie haben es mir gesagt,

daß ihre Rede seltsam sein wird[330]

und ihr Tun befremdlich

die erste Zeit.

Aber ich trage es hart,

und das Essen will mir nicht schmecken.

DIE STIMMEN DER WÄCHTER IN DEN STRASSEN.

Ihr Gatten in den Häusern dieser Stadt,

liebet einander mehr als euer Leben

und wisset: Nicht um eures Lebens willen

ist euch die Saat des Lebens anvertraut,

sondern allein um eurer Liebe willen!

BARAK indem er sich umwendet.

Hörst du die Wächter, Kind, und ihren Ruf?


Keine Antwort.


DIE STIMMEN DER WÄCHTER.

Ihr Gatten, die ihr liebend euch in Armen liegt,

ihr seid die Brücke, überm Abgrund ausgespannt,

auf der die Toten wiederum ins Leben gehn!

Geheiliget sei eurer Liebe Werk!

BARAK horcht abermals, nach rückwärts gewendet, vergeblich; er seufzt tief auf und streckt sich zum Schlaf hin.

Seis denn!


Der Vorhang fällt.


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 5, Frankfurt a.M. 1979, S. 307-331.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Frau ohne Schatten
Sämtliche Werke, Kritische Ausg., 38 Bde., Bd.25/1, Operndichtungen 3.1, Die Frau ohne Schatten; Danae oder die Vernunftheirat.
Band XXVIII: <br /> Erzählungen 1: Das Märchen der 672. Nacht - Reitergeschichte - Die Frau ohne Schatten u.a.
Die Frau ohne Schatten: Erzählung
Die Frau ohne Schatten: und andere Erzählungen
Die Frau ohne Schatten: Erzählung

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Bozena

Bozena

Die schöne Böhmin Bozena steht als Magd in den Diensten eines wohlhabenden Weinhändlers und kümmert sich um dessen Tochter Rosa. Eine kleine Verfehlung hat tragische Folgen, die Bozena erhobenen Hauptes trägt.

162 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon