Dritter Auftritt.

[142] Der Briefträger. Kotzeluch.


KOTZELUCH. Ist was an mir?

BRIEFTRÄGER. Ne, an Ihnen ist diesmal nichts nich'! Aber da ist ein Brief für Mamsell Linse.

KOTZELUCH. Her damit! Das Mädel soll keine Briefe lesen, eh' ich sie nicht angelesen habe. Ich will nicht nur ihr Vormund, sondern auch ihr Vor-Ohr und Vor-Auge sein.

BRIEFTRÄGER. Zwölf Groschen sechs Pfennig!

KOTZELUCH. Das ist ja furchtbar theuer.

BRIEFTRÄGER. Dickes Papier! – Hier ist auch die letzte Zeitung.


Ab.


KOTZELUCH allein. Na, nu wollen wir doch sehen – Öffnet den Brief. »Meine liebe Jungfer Braut! (Aha, endlich.) Ich bin recht gesund; es soll mich freuen, wenn Sie auch gesund sind. Ich bin Ihr Vetter, wo meine Mutter seelige befohlen hat, daß Sie ihn heirathen sollen, weil Sie sonst von der ganzen Erbschaft nichts kriegen. Da denk' ich wohl, daß Sie mich nehmen werden, denn ich bin 28 Jahr alt, sonst bin ich ein Handlanger, der um's Tagelohn arbeiten thut. Deswegen war mir's sehr lieb, wie in den Zeitungen stand, daß meine Mutter tod wäre. Grüßen Sie mir den Herrn Vormund sehr viele mal. Ich danke ihm für seine An-Onkse in die Zeitungen, denn ich bin ein Handlanger, der um's Tagelohn arbeiten thut, und grüße ihn sehr viele mal. Ich grüße Sie viele mal, liebe Lowisel, Sie sind ja meine Pflegeschwester, und[143] wenn Sie mich heirathen, werde ich ihr Mann sein. Ich grüße Sie alle und auch meine Mutter, der ich stets verbleibe als dero Freund, Lorenz Kegel, Handlanger in Breslau; wohnhaftig in Breslau vor dem Ziegelthore, auf dem Wege nach Grüneiche in den Hundshäusern, die Nummer weiß ich nicht, es steht aber ein Nußbaum vor der Thüre. Bostskript: da ich mir eben besinnen thu', daß meine Mutter tod ist, so lasse ich sie nicht grüßen. Noch Eins: meine Adresse hätten Sie nicht gebraucht, denn ich komme ja selber bei Sie. Diesen Brief habe ich nicht geschrieben, denn ich habe mir die rechte Hand ein Bissel verbrannt. Ich kann auch überhaupt nicht schreiben, denn weil ich es nicht gelernt habe, denn weil ich frühzeitig unter dem Militair-Wesen kam. Diesen Brief schreibt die Lehnel von Knaut's drummen, die ist meine gute Freundin und grüßt Ihnen schöne. Ich grüße Sie vielmals. Meinen Namen hab' ich allein geschrieben. Bostskript: Lorenz Kegel!«

– – Daß dich das Wetter: das ist ein Brief. Den will ich für's Erste doch für mich behalten, denn wenn Louise ihn sieht, faßt sie schon im Voraus eine ungünstige Meinung gegen Vetter Lorenz. Nun die Zeitungen! Fliegt sie schnell durch. Osmanisches Reich, – Hydrioten – Pascha – Dauphin – Lord Mayor – König Jagd gehalten, – linke Seite, – die Kammern haben – (hol' euch der Teufel!) – Wissenschaftliche und Kunst-Nachrichten, – ha, seh' ich Recht? Kalkbrenner, – aus London, Concert in Berlin! – und ich kann nicht hin! Ich darf den Jungen nicht allein mit Louisen im Hause lassen;[144] ich muß den Lümmel erwarten, den Kegel! Unterdessen rückt der festliche Tag heran, die Stunde schlägt, der Saal wird immer voller, – immer voller, immer voller! Es wogt und drängt und harrt, – er kommt an; man reckt die Köpfe, ihn zu sehen; die Instrumente werden gestimmt; die Ouvertüre geht an. O wie lang! Schließt doch! schließt doch! Er steht ja schon gerüstet! Noch ein Schluß! Und noch ein Accord; noch ein Mal: da hat der Componist noch ein Stückchen Papier leer gehabt; drum, drum, schrum, schrum. Endlich! Nun setzt er sich hin: vielilerile vilerilerie! – Ha! Kalkbrenner spielt in Berlin – und ich bin nichts, als ein gefesselt Weib!


Mel.: Chinoise des Seiltänzers Foureaux.


Ach, ich wollt', ich wär' in Berlin,

Wo der Kalkbrenner Alles entzückt und beglückt,

Könnt' ich hin zu dem Saale nur ziehn,

Den der weibliche Blumenflor schmückt.

Nein, kein Opfer wär' mir zu groß und zu schwer,

Einen Thaler Entree gäb' ich wonnevoll her,

Könnt' ich hin zu dem Saale nur ziehn;

Ach, ich wollt', ich wär' in Berlin, in Berlin,

Könnt' ich hin zu dem Saale nur ziehn,

Ach, ich wollt', ich wär' in Berlin!


Ach, ich wollt', ich wär' in Berlin!

Glücklicher wär' ich ja heute als Herzog und Prinz,

Wären Flügel mir Aermsten verliehn!

Hol' der Teufel die dumme Provinz!

In der Hauptstadt allein ist das Leben 'was werth,

Denn es jagt ein Concert dort das andre Concert;

Könnt' ich hin etc.


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Quelle:
Karl von Holtei: Theater. Ausgabe letzter Hand in sechs Bänden, Band 3, Breslau 1867, S. 142-145.
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