Vorrede.

Der Welt Wagen und Pflug

ist nur Lug und Betrug!


Welt und Betrug / gleich und gleich / gesellen sich gerne. Beyde sind nicht ungleiches Alter. Der Fürst der Welt und Uhrheber des Betrugs legte sein erstes Meisterstück an unser aller Mutter / der Eva / ab /1 als welche er so grausam betrogen, daß ihr und uns Nachkommen darüber billigst die Augen übergehen mögen. Wie durch Ihn und dessen Kinder der Betrug in die Welt gekommen /2 also ist bald darauf bey ihren ersten Zeiten solcher in allen Lastern mit unter gelauffen /3 dergestalt / das er sich theils mit Worten4 durch falsche Zeugen / böses Rathen /5 und Traumdeuten /6 theils mit Wercken durch betrüglich handeln /7 in allen Ständen / im Geistlichen durch die falsche Propheten /8 im Weltlichen bey Handel und Wandel /9 im Häußlichen durch falsche Tisch- und andere Freunde /10 geäussert / so gar / daß auch Leute sich selbst nicht unbetrogen gelassen.11 Von dem unsündlichen Betrug dessen die heilige Schrifft Meldung thut / als da Abraham den Abimelech /12 Jacob seinen Vater Isaac13 und Bruder Esau /14 Rahel den Laban /15 Joseph seine Brüder /16 Rahab ihre Mitbürger /17 die Kinder Israel die Egyptier /18 David den Saul /19 Jehu die Baals-Pfaffen /20 Husai den Absalon /21 die Egyptische Wehemütter den Pharaonem /22 Simson die Delila und Philister /23 Judith / den Holofernem /24 die Morgenländische Weisen den Herodem /25 u. s.f. betrogen / wird in gegenwärtiger Schrifft am allerwenigsten gehandelt / auch nicht / als nur an seinem Ort incidenter, von derer Menschen Selbst-Betrug / welcher / wie die Made den Käß / also aller Menschen Hertzen durchkreuchet /26 auch offt bey denen Wiedergebohrnen den Kopff noch hervor strecket / sondern hauptsächlich von dem /welcher sündlich und dem Nechsten oder sich selbst Schaden erzeuget / da wir uns nemlich anders stellen /als es uns ums Hertz ist / anders reden und thun / als wir gesinnet seyn / u.s.f. So haben z.E. Josephs Brüder den Jacob27 Simeon und Levi die Sichemiter /28 David den Uriam /29 Jacob den Abner30 und Amasa /31 Ismael den Gedalia /32 Herodes die Weisen aus Morgenland /33 Judas den Heyland /34 u.s.f. mit Lug und Trug hintergangen. Da nun auf solche Art die Welt zu des HErrn Christi und seiner Apostel Zeiten in dem Argen gelegen /35 so hat man sie bey denen jetzigen nicht anders / als vor eine Grund-Suppe von allerhand Betrügereyen zu achten. Je länger sie auf die Neige gehet / je mehr solcherley Hefen bey ihr zum Vorschein kommt. Je höher immittelst die guten Künste gestiegen / um so höher hat auch der Tausendkünstler seine Reichs- und Handwercks-Genossen in neuen Kunst-Grieffen von Lug / Arglist und Betrug es bringen lassen. Zum Exempel des Siebenlists / Lips Cullians zu Dreßden / und anderer ihrer Art neuerfunde Diebs-Griffe waren denen alten Dieben Bömische Dörffer. Die klugen Kinder dieser Welt können leicht auf dem Betrug-Handwerck zum Meister ohne Kosten gesprochen werden. Ihr Oberster Zunfftmeister / der Fürst dieser Welt / giebt Ihnen den hierzu nöthigen Werckzeug / eine Larve / den Schalck dahinter zu verbergen / ein Hütlein / ihren tour und hocus-pocus darunter zu spielen / nebst einem Mantel / oder einem mit Blut bekleckten Josephs-Rock /36 ihren Betrug damit zu bedecken / und um solchen zu hengen / ihrer Meynung nach umsonst. In dieser Masquerade und immer Mode bleibenden Habit spielen sie ihre Person auf dieser Welt-Schaubühne so lange / biß ihnen die Larve abgezogen / oder das saubere Handwerck geleget wird. Es heist bey Ihnen Jahr aus Jahr ein nach dem Italiänischen Sprichwort:


Con arte e con inganno

Si viua la meta dell' anno:

Con inganno e con arte

si viua l' altera parte. d.i.


Die eine Helfft im Jahr treibt man Betrügerey,

Die andre Helfft übt man sie wieder auf das neu.


Dann diese Messe / wo man Warheit vor Lügen / und Lügen vor Warheit / Gall vor Honig / Hütten-Rauch vor Weyhrauch / und Worte vor Wercke verkaufft / floriret aller Orten37 täglich. Hingegen ist die Aufrichtigkeit / Treue und Redlichkeit bey nahe unter die res deperditas,38 und Nathanaëlis39 Geschlecht bald gar unter die ausgestorbene Familien / das Buch der Redlichen aber bey der betrügerischen Welt inter libros prohibitos zu zehlen. In meiner Jugend auf Reisen / hernach bey meinen 33jährigen Diensten /besonders richterlichen Ambte / ist mir mancher Betrug vor Augen und zu Ohren gekommen / und da ich mitleidig so öffters darüber klagen hören / bin ich auf die Gedancken gefallen / es werde meinem Neben-Christen nicht undiensam seyn / hievon einige Entdeckung zu thun. Ob nun gleich mein sich hinter Menschen-Furcht steckendes und also betrügliches Fleisch zu Hintertreibung meines Vorhabens mir vor gestellet: Was ich eben nöthig hätte / und gleichsam der erste seyn wolte / den Deckel von dem Betrugs-Hafen / an welchem sich bißher / meines Wissens / noch niemand verbrennen wollen / abzunehmen / und denen vorne leckenden hinten aber kratzenden Katzen die Schellen anzuhängen? Warum ich über die bey meinem Richter-Amte mir täglich zuziehende Feinde noch mehrere / mit hin auch neue Unruhe und Mühe über den Halß laden wolle? Wenigsten wäre nicht rathsam / vor das höchst-odiöse Werck meinen Nahmen zusetzen /und dadurch mich bloß zu geben: Mein Amts-Beruff brächte solches nicht mit sich / und was dergleichen Einwürffe / welche auch wohl gute Freunde mir nicht undeutlich zu verstehen gegeben / mehr möchten gewesen seyn; So hat dennoch endlich der Geist durch die göttliche Regierung meinem Fleisch obgesieget und diesen Schluß gemacht: Ich stehe unter dem Schutz GOttes, was können mir Menschen thun.40 Ich bleibe überall in thesi und bey dem Majore, schreibe auch daher gantz sonder Affecten. Wer den Minorem auf sich machen will / der mag es thun /nur rathe ich jedem treulich / sich keine Mühe zu geben / und dargegen schrifft- oder mündlich zu regen. Ich antworte keinem / sondern weise ihn auf die bekannte Historie des Bürsten-Diebs. Wer unter diese Zunfft sich begeben will / dem bleibet es unverwehret. Des Satans und dessen Anhangs Trug zu entdecken / und den Neben-Christen davor zu warnen /Ihme also sein Gut helffen zu bewahren / erfordert die Christen-Pflicht und Liebe. Darzu bin ich / wie jeder /von GOtt beruffen. Ich scheue mich auch nicht / meinen Nahmen dieser Schrifft beyzusetzen. Dadurch bezeuge / daß ich mich allein auf mein göttliches Protectorium verlasse / und alles Verdachts einer Men schen-Furcht entschütte. Ich habe die Warheit nackend / und ohn- ausgeschmückt / wie sie ist / vorgestellet / sonst aber nach der Methode eines Lexicographi, mich einer kurtz- und deutlichen Schreib-Arth / obwohl theils darbey einer fremden Feder wie insonderheit aus dem Titul: Selbst-Betrug erhellet / bey meinen über häufften Verrichtungen bedienet. Wer Wörter-Schmuck / und ein mehrers und bessers hierinnen suchet / der ist unter dem Titul: Selbst-Betrug zu placiren. Keine andere Absicht findet sich allhier /als diese / den Nechsten vor Betrug zu warnen und zu verwahren / denen Betrügern aber die Karte zu vermischen / und die Masque abzuziehen / denen Obrigkeiten anbey Anlaß zu geben/ wie sie mit mehrern Nachdruck und Eifer solchen schädlichen Unwesen den Weg verlegen können. Diesen Aertzten überlasse die Remedur, welche ihnen durch dergleichen Offenbahrung derer Kranckheiten und Gebrechen erleichtert wird. Viele Betrügereyen / welche andern bekannt /findest du / mein Leser / hier nicht. Warum? Sie werden als Arcana tractiret. Der Meister und Inventor behält sie lieber vor sich und die Seinige. Die Entdeckung thut Ihnen Schaden / bringt ihnen Schande. Aus Büchern ist dißfalls wenig zu nehmen. Wenige Autores haben vom Betrug wenig / daher ich auch wenig anziehen können. Kommen mehrere / oder / weilen es heisset: Novæ legi nova inventa fraus, neue Betrügereyen auf und an den Tag / sollen sie / wo GOTT noch etwas Leben fristet / als eine Nachlese gegenwärtigen angefüget werden. Daß die mit angehängte Mittel zur Verwahr- oder Abschaffung derer Trügereyen nicht allemahl hinlänglich / gestehe gerne. Ein alter Schäffer sagte einsmahls zu seinem Herrn / der sich gegen Ihn rühmte / man könne ihn nicht betrügen: Herr / wann ihr gleich auf dem Schaafe sässet / so wollt ich euch doch darum betrügen. Der Allervorsichtigste rühme sich nicht / ohnbetrogen geblieben zu seyn. Der allen Trugs-Netzen auszuweichen geschickt ist / muß noch gebohren werden. Obrigkeit sollen immittelst dem Bösen / so viel als in ihren Mächten / steuern / mehrers fordert GOtt und Menschen nicht von ihren Händen. Bey gewissen wenigen Tituln habe mit guten Vorbedacht die Mittel zurück gelassen / weilen solche anzuhängen / dem Publico mehr schäd-dann nützlich befunden. Ob ich gleich sonsten von denen Handwercks-Innungen / als einem Mittel wieder die bey solchen Handthierungen unterlauffende Betrügereyen Erwehnung gethan; so will ich es doch nicht von solchen Innungen verstanden haben / welche man annoch an denen meisten Orten im Römischen Reiche vermuthlich darum beybehalten / weilen die Obrigkeit davon ihren Genuß ziehet, aber da die davon eingehende Meister-Wander-Muth- und Straff-Gelder von denen Handwerckern meistens verschmauset / oder zu ohnnöthigen Zänckereyen und Processen mißbrauchet werden /in der That dem gemeinen Wesen und denen Eingezunfften schädlich fallen / sondern allein solche Ordnungen und Innungen recommendiren / welche von allen Geldschneidereyen und Anlaß zu Freß- und Sauff-Gelagen gesaubert sind / und nur dasjenige in sich begreiffen / was zu der wahren Aufnahme und Conservation derer Handwercker und ihrer Genossen guten Zucht und Erbarkeit beförderlich seyn / gegen über denen Betrügereyen Abbruch thun kan. Noch eins: Mir würde eingeworffen / daß Buch diente nicht wider / sondern vor die Betrüger / was sie in ihrer Kunst nicht wüsten / könten sie daraus lernen und erfahren? Allein wer weiß nicht / daß der rechte Gebrauch dem Mißbrauch vorzuziehen und dieser jenen nicht aufhebet. Der HERR / bey welchem kein Betrug jemahlen zu finden gewesen.41 Lasse diese Entdeckung denen Betrügern zur Reue und Nimmerthun / denen Betrogenen zu künfftiger besserer Vorsichtigkeit / denen Unbetrogenen zu einem Kennzeichen sich vor solchen Fallstricken zu hüten / gereichen / die Gegen-Mittel aber / besonderes bey Herren und Obern / zur Abstell- und Vorbeugung solcher Betrügereyen gesegneten Ingress finden / und verleihe übrigens / daß Treue / Aufrichtig- und Redlichkeit einander / so lange noch die Creatur auf besseres Leben hofft / auf Erden begegnen und küssen mögen.42 Gegeben Coburg den 20. Dec. 1720.

Fußnoten

1 Gen. III, 13.


2 Sap. XIV, 21.


3 ib. XIV, 25.


4 Hiob. XXVII, 4. Zeph. III, 13. Prov. XII, 17. 19. 20.


5 Hiob. XXXI, 5.


6 Sir. XXXIV, 7.


7 id. XXIX, 3.


8 Zach. XIII, 4.


9 Hos. XII, 8.


10 Sir. XIII, 8. Jer. IX. 5.


11 Sir. III, 26. & XXXIV, 1.


12 Gen. XX, 2.


13 ib. c. XXVII, 18.


14 ib. v. 36.


15 Gen. XXXI, 35.


16 ib. c. XLIV, 1. seqq.


17 Jos. II. 4.


18 Exod. XI, 2.


19 1. Sam. XV, 11.


20 2. Reg. X, 18. seqq.


21 2. Sam. XV, 32. coll. c. 16, 16.


22 Ex. I, 19.


23 Jud. XVI, 6. seq.


24 libr. Judith. c. X, 14. coll. c. XIII, 9.


25 Matth. II. 12. 16.


26 Jer. XVII, 9. 10.


27 Gen. XXXVII, 31.


28 ib. c. XXXIV, 15.


29 2. Sam. XI, 6. seqq.


30 2. Sam. III, 27.


31 ib. c. XX, 9. 10.


32 2. Reg. XXV. 24. seqq.


33 Math. II, 8.


34 ibid. XXVI, 48.


35 1. Joh. V, 19.


36 Gen. XXXVII, 31.


37 Jer. IX, 6.


38 Hos. IV, 1.


39 Joh. I, 47.


40 Psalm LVI, 12.


41 1. Petr. II, 22.


42 Psalm. LXXXV, 11.


Quelle:
Hoenn, Georg Paul: Betrugs-Lexikon, worinnen die meisten Betrügereyen in allen Staenden nebst denen darwieder guten Theils dienenden Mitteln entdecket von ,-, Dritte Edition, Coburg 1724 [Nachdruck Leipzig 1981].
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