Eilfter Auftritt.

[61] Sekretär Ahlden. Ruhberg Sohn.


SEKRETÄR. Nun denn, endlich einmal zu Hause. Guten Tag, lieber Ruhberg!

RUHBERG DER SOHN verlegen, freundlich und höflich. Ihr Diener!

SEKRETÄR. Ei mein lieber Ruhberg, seit wann sind wir denn auf so ceremoniösen Fuß mit einander?

RUHBERG DER SOHN. Ceremoniös? davon weiß ich nichts.

SEKRETÄR. Nun – was ist es dann, das mich hier unbekannt macht, oder nicht willkommen? Ich möchte aber so gerne willkommen sein; und doch sieht es nicht so aus.

RUHBERG DER SOHN. Der Vorwurf ist sonderbar genug!

SEKRETÄR. Es sollte kein Vorwurf sein, aber mir ist es lieb, wenn du es dafür genommen hast. Es beweiset, daß du dich einer Zeit erinnerst, wo es unter uns beiden anders war.

RUHBERG DER SOHN. Wenn man sich lange nicht gesehen hat –

SEKRETÄR. Ich war oft hier.

RUHBERG DER SOHN. Daß ich es verfehlt habe – Höflich. thut mir von Herzen leid.

SEKRETÄR. Von Herzen? Nun wenn das keine Formel war – und dafür sind wir ja wohl alle beide zu gut – so gib mir die Hand.

RUHBERG DER SOHN reicht sie ihm zerstreut hin.

SEKRETÄR. Es sind zwar nur zwei Finger, die mich etwas scheu berühren – aber ich nehme mir mein Recht – ich nehme deine ganze Hand, und drücke sie brüderlich. – Sieh' mich an, ehe ich diese Hand entlasse.

RUHBERG DER SOHN sieht ihn flüchtig an.

SEKRETÄR läßt die Hand los. Haftet denn gar nichts an[62] dir? Der roheste Mensch freut sich, wenn das Schicksal im einen Menschen aus der Zeit der akademischen Jahre zuführt, mich führt das Herz zu dir. Laß doch die Adresse gelten.

RUHBERG DER SOHN schüttelt ihm die Hand. Recht gern, lieber Ahlden!

SEKRETÄR. So recht! Nun haben wir uns wieder gefunden! Ich wäre auch eher nicht abgegangen. Könntest du auch mich entbehren; ich kann dich nicht missen. Die Freundschaften in jener Zeit geschlossen, woher die unsere stammt, halten im Sturme und reichen über das Grab hinaus! Hat sich auch zwischen uns beide eine Weile her die große Welt geworfen –

RUHBERG DER SOHN. Es wird auch mehr davon gesprochen, als wahr ist.

SEKRETÄR. Wie es denn zu gehen pflegt. So wollen wir doch –

RUHBERG DER SOHN. Hast du noch etwas zu sagen? Es thut mir leid, aber wahrlich, eine pressante Angelegenheit ruft mich fort!

SEKRETÄR. So? Schenke mir nur wenige Augenblicke für manche Monate, die mir bei dir verloren gegangen sind. Zwar hat mich jetzt ein sehr dringendes Anliegen zu dir gebracht! Indeß – du meinest, es wäre jetzt nicht der Augenblick. Nun – so sei es darum! Davon ein andermal. Indeß gewähre mir eine Bitte.

RUHBERG DER SOHN. Die wäre?

SEKRETÄR. Ich möchte etwas von dir haben und behalten, woran dir wohl jetzt nicht mehr viel liegt. Du weißt vielleicht nicht mehr, daß du es gemacht hast. Ich meine die Zeichnung vom Sonnenuntergange. Du machtest sie auf der Universität; sie gefiel so sehr![63]

RUHBERG DER SOHN. Ah – ja! Er öffnet das Portefeuille, nimmt die Zeichnung heraus. Da! Er hält sie zurück. Du willst sie behalten?

SEKRETÄR. Wenigstens vor der Hand.

RUHBERG DER SOHN. Ahlden!

SEKRETÄR. Ruhberg!

RUHBERG DER SOHN. Du siehst mich so wehmüthig an.

SEKRETÄR. Ich kann nicht anders.

RUHBERG DER SOHN. Hoffest du nichts mehr von mir?

SEKRETÄR. Darüber haben wir sprechen wollen. Du hast ja aber nicht Zeit dazu.

RUHBERG DER SOHN. Was willst du mit dieser Zeichnung?

SEKRETÄR. Ich will ein Andenken von dir besitzen – und möchte gern ein Andenken in dir auffrischen!

RUHBERG DER SOHN. Glaubst du, daß wir bald scheiden werden?

SEKRETÄR nimmt die Zeichnung. Wer kann das wissen! Er betrachtet sie am Tische.

RUHBERG DER SOHN geht einige Schritte. Du bist sehr ernsthaft!

SEKRETÄR ohne ihn anzusehen. Wer ist es nicht, wenn er deine Lage fühlt! – du bist dahin gegeben. Bist nicht mehr Herr deines Schicksals, deines Thuns – wer weiß, wie du enden wirst! da ich nun viel auf dich halte: so laß mich da Blatt aufheben, bis man sieht, wie es mit dir gehen kann! Ich habe immer viel auf das Stück gehalten. Hebt die Zeichnung auf. Das ist dann doch gerettet! – Es ist eine herrliche Zeichnung – an dem Tage, da du Ritau das Leben gerettet hattest, ward dies angelegt! Er scheint in der Betrachtung verloren. Die herrliche Perspektive! In kleinen Zügen die weite Schöpfung so groß dargestellt. Bei allem, was schon über das Nämliche gesagt, gesungen und gemacht worden ist – so kühn, so neu und doch so wahr. In leisen Andeutungen so unendlicher Raum[64] für die Fantasie. Das ist kein Stück, davor man einst vorüber gehen und sagen wird: »es ist schön.« Es gibt Deinen Blick. Indem man es sieht, ist man der Künstler, der es schuf; wenn man es verläßt, scheidet man von einem Freunde. Er breitet die Zeichnung auf dem Tisch hin. Ich sehe dich an der Warte sitzen und mich und die Uebrigen – die Natur im glühenden Sonnenuntergange verherrlicht. Das war ein Tag!

RUHBERG DER SOHN seufzend. Das war ein Tag!

SEKRETÄR. Nenne mir einen deiner jetzigen Tage, dessen du einst dich erinnern möchtest?

RUHBERG DER SOHN seufzt.

SEKRETÄR. Schade, daß du in dieser Kunst nicht weiter gegangen bist!

RUHBERG DER SOHN. Schade? Von ihm weg. Schade um vieles!

SEKRETÄR sich rasch zu ihm wendend. Ja wohl! Auch in der Poesie hast du interessante Sachen geliefert. – Das schläft nun alles! So gar für Musik bist du todt!

RUHBERG DER SOHN. Das wird alles wieder kom men!

SEKRETÄR. Wie gern möchte ich das hoffen!

RUHBERG DER SOHN. Hast du gar keine Hoffnung von mir, ehrliche Seele?

SEKRETÄR. Du verlierst mit jeder Stunde von deinem innern Gehalt! Seufzt. Wie es verloren geht, werden wir nicht gewahr! Wer bringt in seiner ersten Kraft wieder, was verwüstet ist! Wohin sind die großen erhebenden Vorsätze? – Weißt du noch, wie wir auf der Universität uns freuten, nach und nach dem Aktenstile aus dem Wege zu gehen – wie wir uns ärgerten, daß die Richter den Menschen nicht begreifen könnten – wie wir uns beredeten, wenn es einst an uns kommen[65] würde, in den Gerichten, ohne Schwärmerei, mit Ernst Gutes zu thun!

RUHBERG DER SOHN. Wohl weiß ich das!

SEKRETÄR. Die Zeit des Wirkens ist gekommen! Was geschieht?

RUHBERG DER SOHN. Mit dem Willen bin ich hieher gekommen. Es war mir wenig daran gelegen, bekannt zu werden. Aber – Ritau machte mich bei der Fräulein Kanenstein bekannt; sie zog selbst meine Mutter an sich – Leidenschaft für das schöne Geschöpf riß mich hin – ich ward in die Lebensart verwickelt – vorbei war es mit jenen einfachen Planen.

SEKRETÄR. Und vorbei mit deiner Glückseligkeit! Sonst lebtest du das Leben des Weisen – was jetzt? Sage selbst, wie es jetzt mit dir steht, oder wenn dein Gewissen nicht treu ist – lies es in gräßlicher Schrift auf den Gesichtern der Unglücklichen dieses Hauses, deren Seligkeit du vertändelt hast.

RUHBERG DER SOHN. Was soll das? Was ich war – bin ich nicht mehr – kann es nie wieder werden! Was willst du – was machst du aus mir?

SEKRETÄR. Reiß dich heraus – stoß deine ungetreuen Gefährten von dir – verachte den Schimmer – werde Bürger – Bruder meiner künftigen Frau – erhebe dich zum Sohne und zum Bürger – alles ist dann gethan, du stehst auf der Höhe – die Deinen lieben dich, und die Menge bewundert dich!

RUHBERG DER SOHN. Es ist zu spät, es ist zu spät! – Bruder – so nenne ich dich aus ganzer Seele – sieh, meine Augen sprechen, was mein Herz fühlt, diese Thräne ist das Beste, was ich lange empfunden habe. Damit nimm vorlieb – Kehre[66] um von meinen Ruinen, wende dich ab und laß mich liegen! Ich bin vorbei!

SEKRETÄR. Kann ich das? Kann ich nach dieser Thräne jetzt scheiden?

RUHBERG DER SOHN. Geh – ich halte es nicht aus!

SEKRETÄR. Ist dein Herz gebrochen – so bist du Herr deines Schicksals! Tritt den Tand mit Füßen, um den die Deinen verzweifeln. Komm in's Freie – Dort wollen wir den neuen Lebensplan entwerfen!

RUHBERG DER SOHN. O es ist zu spät! In Verzweiflung. Es ist zu spät!

SEKRETÄR. Wie so?

RUHBERG DER SOHN. Der Würfel ist geworfen. Gewonnen oder verloren – morgen werden wir das wissen.

SEKRETÄR. Ruhberg! Sieh hin auf dein Spiel – rette dich mit dem letzten Wurfe!

RUHBERG DER SOHN sieht gegen Himmel. Er ist geworfen!

SEKRETÄR. Wirst du in diesem Schweigen beharren?

RUHBERG DER SOHN. Ja!

SEKRETÄR. Aber –

RUHBERG DER SOHN. Und was soll ich thun? In das trockene Aktenleben tauge ich nun einmal nicht mehr!

SEKRETÄR. Trocken? das kann eine Arbeit nicht sein, die Menschen glücklich macht. Sieh – zum Beispiel – heute ist es entschieden, daß meine Defension einem Menschen das Leben gerettet hat. Sage dir es, wie ich mich dabei fühle.

RUHBERG DER SOHN. Freilich – das habe ich mir oft gesagt. Wen hast du defendirt?

SEKRETÄR. Den alten Einnehmer Sieveet von Grünhayn, du mußt dich erinnern – der berüchtigte Kassenangriff –[67]

RUHBERG DER SOHN. Kassenangriff! So? so!

SEKRETÄR. Kennst du den Mann?

RUHBERG DER SOHN. Ja, der Fall ist mir bekannt.

SEKRETÄR. Die Defension war nicht leicht. Die Kassendefekte sind seit einiger Zeit so häufig – die geschärften Gesetze hatten den Galgen auf geringe Summen gesetzt.

RUHBERG DER SOHN. Es ist Unsinn, Todesstrafe darauf zu setzen.

SEKRETÄR. Ja die Wiederholung –

RUHBERG DER SOHN. Es ist Raserei, sage ich dir.

SEKRETÄR. Kann aber mit irgend einer Ordnung ein solcher Diebstahl –

RUHBERG DER SOHN rasend. Ein Mensch, der eine Kasse angreift, ist kein Dieb!

SEKRETÄR. Was denn anders?

RUHBERG DER SOHN. Die mehrsten wollen es wieder ersetzen.

SEKRETÄR. Wollen!

RUHBERG DER SOHN. Und würden – wenn man nicht –

SEKRETÄR. Auf diese Art könnte jeder liederliche Bursche zur Befriedigung seiner Ausschweifungen stehlen – und –

RUHBERG DER SOHN. Untersucht ihr denn aber – wie der Mensch dahin gekommen ist? Gibt es nicht Fälle, wo der Richter gerade so gehandelt haben würde, als der Verbrecher, den er verdammt?

SEKRETÄR. Wohl. Tausche die Personen, und es wird –

RUHBERG DER SOHN. Ha, du bist kalt – kalt – wie sie alle sind. Eure Pflicht heißt Blutgier, eure Gerechtigkeit ist Morden.

SEKRETÄR. Aber sage mir – wie kannst du wegen eines möglichen Falles –

RUHBERG DER SOHN. Hm – das werde ich jetzt erst gewahr –[68]

SEKRETÄR. So ausschweifend heftig sein? – ich begreife dich nicht.

RUHBERG DER SOHN. In der That, ich muß deklamirt haben – Verzeih' – Du weißt ja –

SEKRETÄR. Du hast eine eigene Art. Kannst du dich nicht für eine Sache interessiren – ohne sie mit einem Feuer zu umfassen, das dich verzehrt?

RUHBERG DER SOHN. Das ist meine fröhlichste Hoffnung, daß es nicht lange mehr so dauern kann – Wenn es nur nicht auf eine schreckliche Art bricht!

SEKRETÄR ihn mit Güte umarmend. Ist denn nimmer Friede in dir? Eine Pause – Ruhberg wendet das Gesicht ab. Inneres Bewußtsein gewährt ja Frieden und die Ruhe des Weisen!

RUHBERG DER SOHN dreht sich rasch um, fixirt, ergreift ihn. Geh' hin, und weine über mich! Er stürzt aus dem Zimmer.

SEKRETÄR. Ruhberg, Freund, Bruder – Ihm nach.

Quelle:
August Wilhelm Iffland: Theater. Band 2, Wien 1843, S. 61-69.
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