[85] Vorige. Sekretär Ahlden. Hernach der Hofrath.
SEKRETÄR. Der Doktor wird gleich hier sein – wie steht's? –
LOUISE. O schlecht!
MADAME RUHBERG. Was haben Sie gefragt? – ich weiß es nicht. – Bei Gott, ich weiß es nicht! –
OBERKOMMISSÄR. Nicht? – Wollte Gott, ich müßte es nicht wissen! O du gutherziger Thor – bist so oft betrogen, und wirst doch wieder gefangen!
MADAME RUHBERG. Ach Gott, ich bin von mir – ich zittere an allen Gliedern – helft mir doch aufstehen –[85]
SEKRETÄR UND LOUISE helfen ihr.
SEKRETÄR. Mein Gott, was ist denn vorgegangen? – reiß mich aus dieser Angst.
OBERKOMMISSÄR der unterdessen auf und nieder gegangen war, trocknet sich die Stirne mit dem Tuch. Mich so in die Falle zu locken! Wartet, ich will euch das Spielchen verderben! Also zur Sache – Es ist ein Hausdiebstahl, dann –
SEKRETÄR. Was für ein Diebstahl?
OBERKOMMISSÄR. Denn die Kasse ist nicht erbrochen, noch beschädiget.
SEKRETÄR. Was für eine Kasse?
OBERKOMMISSÄR. Die Rentkasse, fünftausend Reichsthaler fehlen.
SEKRETÄR. Heiliger Gott!
OBERKOMMISSÄR. Also Madame, und Sie junger Herr, sagen Sie mir, kann die Summe ersetzt werden? – so – so ist's gut – so will ich nicht sehen, was ich sehe.
MADAME RUHBERG. Ach Gott, nein! – ja – vielleicht. Bringen Sie uns nicht zur Verzweiflung.
HOFRATH aus dem Zimmer sehend. Still; kein Geräusch, er fängt an, sich wieder zu erholen. Geht wieder hinein.
OBERKOMMISSÄR. Also nicht ersetzt werden? – Gut! Gewaltsam an sich haltend. Es ist ein Hausdiebstahl; sagen Sie mir, auf wen Sie Vermuthung haben, ehe ich öffentlich untersuche.
MADAME RUHBERG. Wollen Sie uns in's Verderben stürzen?
OBERKOMMISSÄR. Zum letzten Male, Madame – ich frage wahrhaftig zum letzten Male, vermuthen Sie was? Stärker. Wissen Sie was?
MADAME RUHBERG. So soll Gott nichts von mir wissen![86]
OBERKOMMISSÄR. O wünschen Sie, daß er nichts von Ihnen wüßte –
MADAME RUHBERG. Wie wollen Sie –
OBERKOMMISSÄR. Nein, ich kann nicht mehr – es frißt mir das Herz ab. Mich so zu locken, mich weich zu machen, um – Verdammt sei mein Herz – wenn ich euch nicht dafür züchtige.
MADAME RUHBERG. Ach Gott, mein Herr, ich schwöre –
OBERKOMMISSÄR. Da liegt der gute Mann, er soll das Opfer von Lügnern, Betrügern und Dieben sein. Nein, bei Gott, er soll nicht. Ich will euch seine Ehre aus den Klauen reißen – seine Leiche soll in Frieden zur Ruhe kommen.
SEKRETÄR. Aber mein Vater! – ich kann nicht zu mir selber kommen.
OBERKOMMISSÄR. Da sieh hin – sieh den an, dem steht's auf der Stirne, was die Mutter verläugnet.
MADAME RUHBERG. Gerechter Gott!
OBERKOMMISSÄR. Sie habens! –
MADAME RUHBERG. Ich?
OBERKOMMISSÄR. Sie – Sie, Sie! Ich will es schreien, bis Ihr gottloses Gewissen erwacht.
LOUISE. Arme Mutter –
SEKRETÄR. Mein Vater –
RUHBERG DER SOHN. Ich bin's –
MADAME RUHBERG. Was?
LOUISE. Großer Gott!
OBERKOMMISSÄR. So?
SEKRETÄR. Ich ahnete es.
RUHBERG DER SOHN. – Ja, ich bin's! ich bin vom Schicksal hingetrieben; ich bin bei den Haaren hingerissen – ich[87] bin vom Teufel hingeführt. Ergehe über mich, was die Gerechtigkeit will, der Fluch des Vaters und der Mutter – ich bin's!
LOUISE. Weh' uns!
SEKRETÄR zu Mad. Ruhberg. Mein Gott, wie ist Ihnen? – reden Sie doch!
MADAME RUHBERG. Niederträchtig handelt mein Blut nicht. Zum Oberkomm. Lassen Sie ihn hinführen, wo Sie wollen – er ist mein Sohn nicht – er werde ein öffentliches Opfer der Gerechtigkeit, mich kostet es keine Thräne.
OBERKOMMISSÄR. Mich führt ihr nicht an! – Sie kannten die Gesellschaften, die er frequentirte, Sie wußten seine Ausgaben – Sie haben auch um das gewußt.
MADAME RUHBERG. Ueber Ihren niedrigen Angriff bin ich erhaben! – Sie zertreten mich elende Mutter – Gott behüte Sie für Reue.
OBERKOMMISSÄR. Lachen Sie, Madame – den Muth nicht verloren! – Sie haben ihn erzogen, Sie haben das stolze Herz erzogen, lachen Sie –
SEKRETÄR. Mein Vater, um Gottes willen Mäßigung, lassen Sie uns die Sache verbergen!
Ausgewählte Ausgaben von
Verbrechen aus Ehrsucht
|
Buchempfehlung
Der junge Königssohn Philotas gerät während seines ersten militärischen Einsatzes in Gefangenschaft und befürchtet, dass er als Geisel seinen Vater erpressbar machen wird und der Krieg damit verloren wäre. Als er erfährt, dass umgekehrt auch Polytimet, der Sohn des feindlichen Königs Aridäus, gefangen genommen wurde, nimmt Philotas sich das Leben, um einen Austausch zu verhindern und seinem Vater den Kriegsgewinn zu ermöglichen. Lessing veröffentlichte das Trauerspiel um den unreifen Helden 1759 anonym.
32 Seiten, 3.80 Euro