[38] Neurath. Bedienter.
BEDIENTER. Nun, wenn Sie mich denn durchaus allein sprechen wollen und müssen, hier sind wir gewiß ungestört; denn da soll ja heute Niemand sich blicken lassen.[38]
NEURATH. Desto besser!
BEDIENTER. Was verlangen Sie eigentlich von mir zu wissen?
NEURATH. Die Zeit wird mir gewaltig lang. Erzähle Er mir etwas. Histörchen aus der Nachbarschaft, oder auch meinetwegen einige unschädliche Nachrichten und Vorfälle aus der Familie.
BEDIENTER. Von der Familie weiß ich nichts, als daß sie alle zusammen gut, einig und glücklich leben.
NEURATH. Gut und einig? Nun ja, sie werfen einander nicht die Treppe herunter. Glücklich? – Nein. Der junge Herr ist sehr tiefsinnig.
BEDIENTER. Das ist wahr.
NEURATH. Weshalb? Vielleicht ein Duellchen? So ein Mord plagt doch das Gewissen.
BEDIENTER. Kann seyn.
NEURATH. Nicht wahr? – Oder hat er sonst eine Unthat begangen? – so –
BEDIENTER. Unthat? Es sieht dem Herrn nicht gleich, daß er Unthaten begangen hätte.
NEURATH. O lieber Freund! – wir sind alle Menschen.
BEDIENTER. Das wohl.
NEURATH. Nun – der beste Mensch kann fallen.
BEDIENTER. Wie denn?[39]
NEURATH. Was weiß ich? – Man kann eine junge Frau entführt haben; man kann unrechtes Gut an sich gezogen haben.
BEDIENTER. Warum nicht gar?
NEURATH. Bedenke Er nur alles! Von der Huldigungs-Ceremonie ist der junge Herr Baron hinausgestürzt, und hat überlaut gerufen: – Ich Unglücklicher!
BEDIENTER. Das ist wahr.
NEURATH. Nun da sieht Er es! – »Ich Unglücklicher!« – Hm! – Das ist ein schweres Wort. Ueber so ein Wort kann man ein ganzes Buch schreiben.
BEDIENTER. Wenn man will, o ja!
NEURATH. Wer ist denn eigentlich ein Unglücklicher?
BEDIENTER. Der nicht glücklich ist.
NEURATH. Ganz recht. Wer aber jung ist, gesund – eine schöne Frau hat, ein liebes Söhnchen, Geld im Ueberfluß, ein Gut, ein Schloß – der ist doch glücklich?
BEDIENTER. Man sollte es meinen!
NEURATH. Wenn nun aber so einer öffentlich ausruft: Ich Unglücklicher! was steckt dann dahinter?
BEDIENTER. Das ist's eben, was wir beide nicht wissen.[40]
NEURATH. Wir könnten es erfahren.
BEDIENTER. Wie?
NEURATH. Wenn Er mir so dieß und das erzähle wollte –
BEDIENTER. Zum Exempel?
NEURATH. Ich will sagen – so Tischgespräche –
BEDIENTER. Bey Tische reden sie kein Deutsch.
NEURATH. Nun, ein fleißiger Bediente ist im Vorzimmer, er hält sich da auf –
BEDIENTER. Aber er horcht nicht.
NEURATH. Bewahre! Da hat Er recht. Horchen ist ein garstiges Laster. Aber ohne zu horchen, vernimmt man so dieß und jenes, was laut geredet wird.
BEDIENTER. O ja! Das wohl.
NEURATH. Zum Exempel?
BEDIENTER. Ich habe Manches gehört; aber alles, was ich gehört habe, habe ich nicht hören sollen –
NEURATH. Freylich.
BEDIENTER. Also sage ich es auch Niemand wieder.
NEURATH. Das ist brav! – Aber man hat so Vermutungen – nicht wahr?[41]
BEDIENTER. Eine ganze Menge.
NEURATH. Nun, her mit einer einzigen!
BEDIENTER. Nach meiner Vermuthung ist die ganze Familie durchaus grundbrav.
NEURATH: Nun – das – das höre ich schon gern.
BEDIENTER. Und nun muß ich an die Arbeit – es gehen da ohnehin ein Paar Leute herum, und die könnten glauben, Sie wollten mich ausfragen. Da – dort kommt auch Ihr Schulz aus Feldenstein mit einem alten Pfahlbürger heran. Gott befohlen, Herr Neurath! Sie wissen jetzt doch, woran Sie sind. Geht ab.
NEURATH bey Seite. Teufelskind! Ihm nach. Pst! liebe Seele! Ich gehe da noch ein wenig mit Ihm. Er folgt.
Ausgewählte Ausgaben von
Das Erbtheil des Vaters
|
Buchempfehlung
Während seine Prosa längst eigenständig ist, findet C.F. Meyers lyrisches Werk erst mit dieser späten Ausgabe zu seinem eigentümlichen Stil, der den deutschen Symbolismus einleitet.
200 Seiten, 9.80 Euro