2. Drei Leiden

[485] O du helle Hochzeitskerze

Mit der langen, schwarzen Schnuppe![485]

Auf den Spezialbefehl

Kön'gin Grandiosens, glänzend

Der Prinzessin anvermählt,

Der lavendelduft'gen Fürstin,

Ward der Held, Don Tulifäntchen,

Kleidet sich in Seid' und Sammet,

Speiset indian'sche Nester


Von dukatengoldnem Teller,

Sitzt auf einem Bemsteinthrönchen,

Trägt ein Zepterchen von Perlen,

Trägt ein Krönchen von Brillanten,

Aber ach, du helle Kerze,

Helle, schöne Hochzeitskerze

Mit der langen, schwarzen Schnuppe!


Noch sind süße Flitterwochen,

Wo, zu küssen, gilt die Sitte,

Aber das Geschick verbeut es.

Denn zu der Prinzessin Lippen

Mit dem Mund emporzureichen,

Um verschiedne Fuß zu niedrig

Ist der Held, Don Tulifäntchen.


Und den Schreiner heißt er kommen,

Schreiner ist ein Mann von Kopfe,

Fertigt ein Gerüst mit Stiegen,

Und mit dreigeteiltem Stockwerk,

Eine Kußvorrichtung, tragbar.


Wie ein Laubfrosch, an den Stiegen

Klomm empor und schwang der Held sich

Kühn von Stock zu Stock des Sparrwerks,

Neben stand die Fürstin harrend.

Angelangt auf höchstem Gipfel

Ehelicher Liebesleiter,

Spitzte unser Held das Mündlein,

Parallel der Gattin Lippen.[486]

Aber ach! Die Liebe gleichet,

Wie die Dichter oft gesungen,

Einer Blüte, augenblicklich

Aufgeknospet, blüh'nd, verwittert!

Als der Held auf dem Parkette

Stand, war die Lavendelduft'ge

Wirklich ungemein gefühlvoll;

Bis zum Gipfel er gelangte,

Kam's bei ihr zum Überdrusse,

Und sie wandte sich, erkaltet.


O du helle Hochzeitskerze

Mit der langen, schwarzen Schnuppe!


Wenn beginnt die düstre Nacht,

Dann beginnen düstre Leiden.

Die Prinzessin schläft unruhig,

Regt sich und bewegt sich viel,

Wendet sich zur Rechten, Linken,

Was nicht abgehn kann, natürlich,

Ohne heftige Erschütt'rung

Des gesamten Ehebettes.

Fruchtlos ist's, daß der Gemahl

Aus den Tiefen der Verzweiflung

Ruft: »Lieg ruhig, meine Teure!«

Fruchtlos, daß er bis zum Rand

Flüchtet vor dem steten Schwanken

Der Verhältnisse des Lagers,

Fruchtlos, daß er an den Pfühl,

Wie an einen letzten Trostgrund,

Sich mit beiden Händen klammert,

Nicht vernimmt ihn Balsamine,

Von der Umwälzung der Kissen

Wild ergriffen, über Bord

Auf den Boden des Gemaches

Fliegt der Held, Don Tulifäntchen.

Ach, da sitzt er nun und friert[487]

Auf gebohntem Prunkgetäfel,

Friert die Nacht hindurch, die kalte.


O du helle Hochzeitskerze

Mit der langen, schwarzen Schnuppe!


Die Prinzessin treibt jetzt Mystik.

Jüngst las sie in Jakob Böhme,

Tulifäntchen saß zur Seite,

Schrieb an seinen Memoiren.

Und beendigt die Lektüre,

Ganz erfüllt von tiefer Mystik,

Stand zerstreut auf vom Studiertisch

Die lavendelduft'ge Fürstin,

Wollt' auf dem Spaziergang ernstlich

Überdenken das Geles'ne,

Griff nach dem Gemahl, dem werten,

Sonder Bosheit, nur zerstreuet,

Legt' ihn, wie er schrie und stampfte,

In das Buch als Lesezeichen,

Ging hinaus, gedankenbildend.


So, im Buch, geklemmt als Zeichen,

Fast erstickend an der Mystik

Des gewalt'gen Folianten,

Lag der arme kleine Held.

Und er sprach zu seiner Seele:

»Immer schlagen wir in Wind,

Was die weisen Alten pred'gen

Von dem Fluch der Mesalliance,

Bis uns aufklärt die Erfahrung.

Hätt' ich vor der Mißheirat

Scheu getragen, nicht im Buche

Läg' als Zeichen seiner Gattin

Jetzt der Held, Don Tulifäntchen!«


O du helle Hochzeitskerze

Mit der langen schwarzen Schnuppe!
[488]

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 1, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 485-489.
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