1.

Ihm war, als ginge er mitten unter den Sternen. Alles strahlte und leuchtete um ihn. Seine Füße glichen zwei Tänzern; sie trugen ihn dahin, ohne daß sein Gedanke sie lenkte.

Als er seine Doktorprüfung bestanden hatte, natürlich glänzend, sagte die Mutter: »Nun Albin thue dir etwas recht Gutes an. Mach eine schöne Reise, oder kaufe dir den Soliman, den du dir schon längst gewünscht hast.«

Er lachte. »Aber Mamachen, warum eine Morgengabe? Ich habe weder etwas Wichtiges hinter mir, noch erwarten mich bedeutsame Ereignisse. Mein ganzes Leben bis jetzt war ein froher leichter Tag, und ich würde mich sehr irren, wenn dies bei der Veranlagung meiner Natur anders werden sollte. Das Pferd oder die Reise würden mich nicht glücklicher machen.«[9]

»Du wünschest dir also gar nichts auf der Welt? Seliges Kind!« sagte die Mutter. Er fuhr sich durch den braunen Haarschopf und sah zu Boden. Dann machte er sich aus ihren Armen los. »Das Leben ist herrlich und weshalb an einer Schönheit herummäkeln, daß sie so und nicht anders ist.«

»Ach Kind« – die schönen Augen der Mutter suchten sehnsüchtig die Ferne – »gar so herrlich ist das Leben in der That nun doch nicht. Es bleibt uns immer eine Menge schuldig. Es –«

»Wäre es dir etwas schuldig geblieben?« Seine dunkelgrauen Augen versenkten sich fragend in die ihren.

»O ja, trotzdem ich sehr glücklich war und auch bin. Einmal, später, werde ich dir viel erzählen.«

»Bis ich älter geworden bin, gelt?« sagte er scherzend.

Sie hörte es nicht. Sie blickte noch immer ins Weite. »Weißt du, eigentlich sind wir alle Kreuzfahrer. Unser letztes Ziel ist schließlich nichts anderes als ein heiliges Grab. Das ist alles.« Sie lächelte ihn voll unendlicher Liebe an, warf ihm eine Kußhand zu und ging aus dem Zimmer.

Er sah ihr nach. Ein heiliges Grab? Dann schüttelte er die Locken und eilte hinab, hinaus ins Freie.[10]

Die Sonne war im Untergehen und der Himmel brannte wie die Wangen eines Glücklichen, dem eben von seinem Liebchen ein Stelldichein bewilligt worden ist. Albin ging weit bis vor die Stadt, wo die Auen begannen. Er dachte über vieles nach, auch darüber, daß es unrichtig war, als er die Mutter hatte glauben machen, daß er keinen Wunsch mehr habe. O er hatte wohl einen Wunsch. Aber den konnte er ihr aus leichtbegreiflichen Gründen nicht anvertrauen. Er sehnte sich nach einem Zweiten. Wenn der Quell voll ist und übersprudelt, sucht er den Erdboden, um ihm seine silberne Flut zu schenken. Albin wünschte sich einen Freund. Keinen Studenten, denn er selbst war Student; keinen Künstler, denn die Natur hatte ihm selbst die Augen des Künstlers gegeben; keinen Pedanten und keinen Genüßling, ach, er wußte es selbst nicht, wie der beschaffen sein sollte, an dessen Schulter er sein stolzes Jünglingshaupt lehnen wollte. Er mußte anders sein als er selbst, und doch wieder ganz er, nur reifer, geschlossener in seiner Weltanschauung, herber, härter in den Linien seines Charakters. War es die Sehnsucht nach Ergänzung? Weil er so reich war, drängte es ihn nach den Erzschätzen eines Reicheren als er selbst war.

An das Weib hatte Albin in seiner Sehnsucht nie gedacht. Und das war auch der Grund, weshalb er der Mutter von seinem Wunsche schweigen mußte.[11]

Um das Wesen des Weibes verstehen zu lernen, schien es ihm nur zwei Wege zu geben. Entweder der Mann wird selbst zum Weibe, oder das Weib paßt sich ihm an und wird männlich. Das erste wollte er nicht, und vor Frauen der letzteren Gattung empfand er Schauder. Blieb aber die Frau in ihren Grenzen und der Mann in den seinigen, dann dünkte ihm ein Verständnis zwischen beiden unmöglich zu sein. So erschien ihm die Frau wie ein schöner, fremdartiger Zaubergarten hinter hohen Mauern, über die es besser war nicht hinüber zu schauen. Er kannte nur zwei Frauen. Seine Mutter und seine Schwester. Er liebte beide mit tiefer Zärtlichkeit, wie man den Sternenhimmel mit seinen fremden Wunderwelten, wie man die Stimmungen des Frühlings liebt, die immer überraschen, aber nie zu berechnen sind; vielleicht wie man Gott liebt, der uns Gutes thut, den wir den Herrlichen und Großen nennen, obgleich niemals die Wolken uns seine Schläfe enthüllt haben. Die Frau war eben etwas ganz anderes als der Mann.

Nachdem Albin mehrere Stunden umhergegangen war und sein Herz allerlei Möglichkeiten erwogen hatte, wie er zu dem inbrünstig ersehnten Freund gelangen könnte, schien es ihm am rätlichsten zu sein, zwar nicht wie die gute Mutter gemeint hatte, eine Lustreise zu machen, um irgend ein Luxusbad zu besuchen, sondern[12] fortzureisen mit wenig Gepäck und ohne jeglichen Prunk, um die Welt kennen zu lernen und den Zweiten zu finden. Er weihte die Mutter in den Plan seiner Reise ein, ohne ihr deren Zweck mitzutheilen. Er erbat sich für unbestimmte Zeit Urlaub, der ihm auch freudig gewährt wurde. Er versprach Mutter und Schwester Seidenstoffe aus Indien, kostbare Felle aus Sibirien und die buntfarbigsten Vögel aus Südamerika mitzubringen. Seiner Schwester versprach er überdies noch ein Negermädchen, das bei ihr Zofendienste verrichten sollte. Dann küßte er seiner Mutter die treuen, in Thränen schimmernden Augen, der Schwester jedes Fingerchen, wie er es schon als Knabe gethan hatte, und reiste ab.

Als er die Stadt hinter sich hatte, schalt er sich einen schlechten, undankbaren Menschen. Anstatt Herzweh über die Trennung von seinen Liebsten zu empfinden, fühlte er sich ordentlich wohl und befreit. Er hatte die Kinderschuhe bei Mutter und Schwester stehen lassen und warf sich jetzt gleichsam mit nackter Brust dem Leben entgegen.

Gieb mir den Zweiten, du reiches Leben, betete es in ihm, während fremde, im Frühlingsglanz liegende Orte und Landschaften an ihm vorbeiflogen.[13]

Quelle:
Maria Janitschek: Kreuzfahrer, Leipzig 1897, S. 7-14.
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