[782] Albano wandte nun alles an, was Freundschaft im Vermögen hat, den edlen Kranken wieder innerlich und äußerlich aufzurichten und zu verjüngen. Besonders suchte er den Steg, worüber alle seine Saiten gezogen waren und den der Ritter und sein Bruder vor Linda umgerissen hatten, wieder aufzustellen, nämlich sein stolzes Bewußtsein, das an der grausamen Demütigung so sehr darniederlag. Wie nur reine Bruder-Achtung und heiliges Anbeten einer göttlichen Reliquie einen wunden Stolz sanft erwärmen und beleben kann, so versucht' es der biedere Albano. Allein ohne Genugtuung am Spanier, dem Anstifter des Unheils und dem Verführer des Ritters, laufe, wie Schoppe selber sagte, sein Rückgrat nie wieder steilrecht und sein Rückenmark bleibe gebogen. Nur Albanos Duell mit dem Oheim war frisches Wasser für ihn; es mußte ihm mehrmals erzählt werden. Sein durstiger Wunsch war, so gesund zu werden, als er zum Kriege[782] mit dem Spanier brauchte, und dann als ein Toller ihm die Beichte aller Streiche und Gauklereien auf einem Sterbebette, worauf er ihn zu legen dachte, abzupressen: »Dann« (setzt' er jedesmal lächelnd hinzu) »kann es mir wohl egal sein, ob die Welt rund wird oder eckig, und nach Frankreich ist mein erster Schritt.«
Albano mußte dieses griechische Feuer des Zorns, das am Ende zur stärkenden Kur des durch Demütigung erfrornen Körpers wirkte, immer tiefer unter sich brennen lassen, da jedes Löschen es nur nährte; nur mußt' er wachen, daß er keine freie einsame Minute bekäme, um brennend zu entspringen und den Spanier aufzusuchen. Albano wich Tag und Nacht nicht von seinem Kanapee-Lager, auch aus andern Gründen. Denn war Schoppe einsam und sein Mordian schlief (den er niemals weckte, weil der Hund, sagt' er, offenbar träume und da in idealischen Welten fliege und schnuppere, wovon auf den Gassen der wirklichen kaum eine Schatten-Spur zu wittern sei), war er also allein mit dem stillen Tier (denn wacht' es, so hatt' er Gesellschaft genug) und sein Blick fiel zufällig auf seine Beine oder Hände: so fuhr seine kalte Furcht über ihn her, daß er sich erscheinen und den Ich sehen könne. Der Spiegel mußte verhangen werden, damit er sich nicht fände.
Seine Nächte waren ohne Schlaf, aber die Träume gingen nackt und keck um ihn. Albano opferte ihm leicht seine gesunden Nächte, konnt' aber doch nicht alle Träume des Freundes, diese Gespenster, die sonst vor Lebendigen entfliegen und einsinken, von dannen treiben. Sie schlichen und blickten in Winkel-Schatten der Stube. – Einst gegen Mitternacht war Albano hinausgegangen und traf wiederkommend ihn an, wie er eben mit einer Hand die andere fing und sagte: »Wen hab' ich da, Mensch?« – »O guter, bester Schoppe,« (rief Albano halbzürnend) »solche grundlose Spiele! Ebensogut könnte ein Finger den andern fassen!« – »Ja freilich«, versetzt' er. »Aber höre,« (sagt' er leise und kauerte sich, bückte den Kopf und wies mit dem rechten Zeigefinger über die Nase hin in die Höhe) »du nanntest mich Schoppe – so heiß' ich nicht, aber ich darf meinen Namen nicht aussprechen,[783] der Ich, der mich so lange sucht, hörts und fährt her – Ein langer Leichenstein liegt auf dem Namen. Schoppe oder Scioppius konnt' ich mich sehr wohl nennen, weil mein vielnamiger Namensvetter und Namensvater (im Bayle steht alles) sich selber bald so, bald so hieß, bald Junipere d'Ancone, bald Denius, Vargas, oder Grosippe, oder Krigsöder, Sotelo, bald Hay. – Daß der Mann noch wirklicher Titular-Fürst von Athen und Herzog von Theben war durch ottomanische Kanzlei und Gnade, muß ich ganz zu vergessen scheinen, wenn ich Malteser-Bibliothekar bleiben will. In der Tat trat ich sonst in Gasthöfe noch mit manchem Namen ein, der dem nachsetzenden Ich prächtig mitspielte und vormachte, z.B. Löwenskiold, Leibgeber, Graul, Schoppe ohnehin, Mordian (den ich meinem Hund schenkte), Sakramentierer und einmal Huleu – manche kann ich ganz vergessen haben – Der wahre ist« (sagte er scheu lispelnd) »ein ß oder S-s212 – Gib mir eine dritte Hand her – Aus Totenkleidern wird der Name herausgeschnitten, und ich liege darin schon unter dem Grabe. – ›Ich bin ich‹ das waren zwar des alten hübschen Swifts Endworte, der sonst wenig sagte in seiner so langen Tollheit – Ich möcht' es aber nicht wagen, so bei mir zu sein – Nu, getrost, die unendliche Weisheit hat alles geschaffen, auch Tollheit in Menge. – Aber Gott gebe nur, daß Gott selber niemals zu sich sagt: Ich! das Universum zitterte auseinander, glaub' ich, denn Gott findet keine dritte Hand.«
Albano schauderte über den Sinn des Unsinns – Schoppe schien Eis – dann warf er sich plötzlich an die Bruder-Brust – beide sprachen nichts über die Sache – und Albano fing heitere Schilderungen vom glücklichen Hesperien an.
So bracht' er pflegend, schonend, liebkosend, geduldig und einsam die Tage, die er gern zu seiner Flucht aus Deutschland verwendet hätte, mit dem kranken Freunde zu; und liebte ihn immer heftiger, je mehr er für ihn tat und ausstand. Er wollt' es[784] durchaus vom Schicksal nicht leiden, daß eine solche Welt voll Ideen ihrem Erdbrand und ein so freies Herz voll Redlichkeit dem letzten Schlage näherkomme. Schoppe hatte in des Jünglings Herzen sogar noch ein größeres Reich als Dian; denn er nahm das Leben freier, tiefer, größer, mutiger; und wenn Dians Lebensgesetz Schönheit war, so hieß seines Freiheit, und er ging wie unser Sonnensystem, nach dem Gestirne des Herkules zu.
Aller Bitten ungeachtet nahm er keine Heilmittel vom Doktor Sphex; denn er habe schon, sagt' er, sich einem alten bekannten Praktiker und Kreisphysikus anvertrauet, der Zeit. Er verstattete Sphexen gern, ein Rezept aufzusetzen, es zu bringen, sah es willig durch, disputierte über den Inhalt, merkte an, es sei leichter, ein Gesundheitsrat zu sein als einen Gesundheitsrat zu! geben, und er sehe wohl, daß er seinen Zustand treffe, weil er ihn schwächend behandle, was bei Wahnsinnigen das erste sei;! aber er setzte dazu, er begehre eben keine Vernunft, sondern nur ein Paar tapfere Schenkel zum Gehen und Stehen und ein Paar gefüllte Arme zum Zuschlagen, und übrigens sei er ihm gram, weil er Hunde zerschneide. Auch Albano nahm zuletzt an, habe Schoppe nur Muskelkräfte zu einer geselligen Reise mit ihm wiedergewonnen, so fliehe der Wahnsinns-Traum, worein ihn die ungesellige gewiegt, leicht von selber hinweg.
Immer fuhr er den Arzt am meisten an. Einst sagte dieser: »Folgen Sie, wenn nicht mir, doch Ihrem zweiten Ich« und zeigte auf Albano. »Zum Teufel,« (versetzt' er) »mein zweites Ich, das möget ihr selber sein – ich scheue mich genug davor – aber der da ist gewiß, das verhoff' ich, kaum mein sechstes, zwanzigstes oder dergleichen Ich.«
Indes blieb Sphex bei der Meinung, seine sthenische Schlaflosigkeit, die wechselnd die Tochter und die Mutter seiner Fieberbilder, zumal des Kahlkopfs sei, versperre die Kur und müsse schwächend bezwungen werden. Als einstmals Dian, der seinen Freund Albano oft besuchte, dies vernahm, fragte er, warum man ihn nicht geradezu mit der Nachricht, der Spanier sei aus Furcht vor ihm abgereiset, etwan nach Frankreich, täuschen und heilen wolle. Albano versetzte: »Wahrlich ich wollt' es gern sagen, aber[785] ich kanns nicht, ich könnte ebensogut Gott oder mir eine Lüge sagen wollen.« – »Einbildungen!« (sagte Dian) »ich sag's ihm selber.« – »Wessen ich mir auch gleich vom Spaniard versehen habe«, versetzte Schoppe auf die offizinelle Rezept-Lüge. Als Dian fortgegangen war, fragt' er Albano: »Sitz' ich jetzt nicht viel kühler und eisiger da? Und zwar seit der Kahlkopf in Frankreich ist, bin ich fast so ein neuer Mensch. Freilich lüg' ich, aber Dian log früher.«
Endlich entschloß sich der Arzt, ihm geradezu einen Schlaftrunk in sein Getränk zu mischen. Albano erlaubt' es. Schoppe bekam ihn; glühte und phantasierte einige Minuten lang, endlich stieg der Nebel des Schlafs und überdeckte bald den Kranken.
Albano besuchte da nach langer Zeit das Grün der Erde und das Blau des Himmels wieder und seinen Dian in Lilar. Wie viel war seitdem verändert, durcheinander, übereinander gestürzt! Wie viele Blätter waren wieder Knospen geworden! Und mancher Schaum des Lebens, der weiß und zart und leicht ihn sonst erfreuet hatte, erkältete jetzt als graues, schweres Wasser seine Brust, und er hatte außer seinen Lebensmut fast wenig behalten. Bei Dian hört' er von neuen Veränderungen, von des Fürsten nahem Sterben, von Idoinens nahem Kommen zur Schwester vor der Trauer. Wie wunderbar-verstört schlug seine Seele aus ihrem Winter-Schlafe in den warmen Sonnenschein, den dieses Ebenbild Lianens um sein Leben legte, die Augen auf! – In mancher stillen Nacht neben Schoppens Geister-Lager war ihm schon, seitdem Julienne ihn zum erstenmal die Erscheinung dieses Friedensengels ohne den Schleier sehen lassen, die vorige Zeit und Liebe wie ein Himmel ferner Sterne wieder aufgegangen, und in dem Helldunkel der von Schlaf entkleideten Träume sah er auf dem Meere der Zeit eine ferne, ferne Insel – hinter sich oder vor sich, wußt' er nicht –, wo eine weiße abgewandte Gestalt Lianen gleich oder ähnlich schwebte und als Nachhall sang – Jetzt dicht nach dem Sterbemonat des Bruders folgte der Sterbemonat der Schwester Liane. Wär' es möglich, daß die Überirdische aus dem stillen Spiegel der zweiten Welt und aus dessen unabsehlichen[786] Fernen herausträte wieder in den irdischen Luftzug und nach der Verklärung wieder verkörpert hier ginge?
Aber die Freundschaft foderte Raum für ihre Schmerzen, und diese Wolken-Bilder wurden bald von ihr bedeckt oder umgestürzt. Er war nicht imstande, so sehr ers auch wünschte, von Schoppe eine Beschreibung jener Heilungs-Nacht zu fodern, ja nur zu leiden, worin Idoine Liane gewesen; und doch war diese Gestalt der einzige lebendig-spielende Juwel im Totenring an dem Skelett der harten Zeit, das vor ihm stand. Welche Tage! Was ihm die Gräber nicht wegschlangen, hatte die Erde dahin- genommen, und Gaspard, sonst sein hoher Vater auf einem reinen! Thron des Himmels, war nun seiner Phantasie mit fürchterlichen Höllen-Kräften und Waffen nach unten erschienen, auf einem Throne des Abgrunds sitzend.
Desto milder umfloß ihn nun, als er in Dians Hause war, die stillere Gegenwart, der Gedanke des ruhenden Freundes, der Anblick des nahen Traum-Tempels, wo Liane einmal Idoine gewesen, und die Verkündigung, daß das Ebenbild der Geliebten nahe. Er malte sich den süßen und bittern Schrecken ihrer Erscheinung vor ihm; denn wie in dem Strome die hinübergebogne Blume nicht nur ihr Bild, auch ihren Schatten entwirft, so ist sie Lianens schönes Bild und Schatten zugleich – und in der Lebendigen würde ihm eine Verlorne und eine Verklärte zugleich erscheinen.
Unter diesem träumerischen Helldunkel und Abendrot, aus Vergangenheit und Zukunft zusammengeflossen, kam er in sein Haus zurück. Ein scharfer Blitzstrahl schlug weiß über das träumerische Rot: sein Schoppe war nach wenigen Minuten des Zwangschlafs wild aufgefahren und wahnsinnig entsprungen, niemand wußte wohin. Der Arzt kam und sagte entscheidend, entweder hab' er sich ins Wasser gestürzt oder jeden andern, er sei wild dahingerannt und habe noch seinen Stockdegen mitgenommen.[787]
212 | S-s heißet Siebenkäs. Aus den Blumen-, Frucht- und Dornenstücken ist bekannt, daß Schoppe früher Siebenkäs sich genannt – dann diesen Namen an seinen ihm bis zum Gesichte ähnlichen Freund Leibgeber abgegeben, von dem er den seinigen angenommen – und daß der Freund sich zum Schein ein Grabmal als Siebenkäs errichten lassen. |
Ausgewählte Ausgaben von
Titan
|
Buchempfehlung
Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica
746 Seiten, 24.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro