138. Zykel

[794] Albano konnte in einer Gegend, in welcher die einzelnen Säulen und Bogen des zerstörten Sonnentempels seiner Jugend umherlagen, keine Nacht zubringen: sondern er begab sich traurig-träumend auf den Weg zur Stadt. Unterwegs fand er den Landschafts-Direktor Wehrfritz zu Pferd, der ihn suchte. »Herr Sohn,« (sagt' er) »es sind mir von deinem intimen Freunde, Herrn Schoppe, die wichtigsten Sachen zu Händen gestellt worden, die ich nur in deine eignen wieder auszuhändigen habe, was ich denn hiemit eilig tue. Denn Muße hab' ich bei Gott wenig, der Fürst ist diesen Abend mit Tod abgegangen vor Schreck, weil jemand sagte, sein alter Vater, der ihm zum Todes-Anzeichen soll zum zweitenmal zu erscheinen versprochen haben, sei im Spiegelzimmer zu sehen, was aber nur, hör' ich, was von Wachs gewesen. Es sind die Sachen, die ich auszuliefern habe, erstlich ein Perspektiv, womit du deine Mutter und Schwester gemalt sehen wirst (ich bediene mich mit Fleiß Herrn Schoppens[794] eigner Ausdrücke), zweitens ein geschriebenes Paket, adressiert an ›Albano, erzogen bei Wehrfritz‹, das noch halb in einer zerschlagnen schwarzen Marmorstufe steckt, und drittens dein Porträt.« Das Porträt stellte Albano im jetzigen Alter dar, fand man – so viel die Sterne zu sehen gönnten –, indes er sich doch nie malen lassen. Die schwarze Marmorstufe und das Perspektiv brachten ihm die Prophezeiung seines Vaters auf Isola bella213 vor die Seele: ihm werde in einem Bilderkabinett eine weibliche Gestalt aus der Wand entgegentreten und ihm einen Ort aufschreiben, wo er die schwarze Stufe, und vorher einen zeigen, wo er das Perspektiv zu finden habe, dessen Okularglas ihm aus dem alten Bilde seiner Schwester ein junges kenntliches und dessen Objektivglas aus dem jungen Bilde seiner Mutter ein altes kenntliches machen werde.

Albano tat ängstliche Fragen nach Schoppe und der Fundgeschichte der seltsamen Fracht. »Mit Herrn Schoppe geht es gut genug,« (antwortete Wehrfritz) »er muß hier in der Nähe sein mit einem fremden Herrn.« Albano fragte nach seiner Kleidung; diese wurde zu seinem Erstaunen wieder aus einer grünen zur roten. Kaum hatte Wehrfritz die wunderbare Geschichte, wie Schoppe jene Wunderdinge überkam, zu geben angefangen: so unterbrach Albano, der daraus die Auflösung der väterlichen Prophezeiung abnahm, vor Erwartung den Bericht mit der Bitte, ihn zu der nahen Kreuzkapelle zu begleiten, um welche mehrere Laternen standen. Er hatte beide Medaillons immer bei sich und war jetzt so begierig, das Angesicht seiner Mutter durch das Objektivglas zu sehen, so wie das Papier zu lesen.

Bei der äußersten Laterne hielten sie, Albano nahm das Medaillon der veralteten Gestalt hervor, worunter stand: Nous nous verrons un jour, mon frère, er besah es durch das Okularglas: siehe, das alte Gesicht war das junge seiner Julienne. Vertrauend und ungestüm hielt er das altmachende Glas ans junge Bild, worunter stand: Nous ne nous verrons jamais, mon fils, – ein freundliches, aus einem langen Leben herüberlächelndes altes Gesicht erschien, dessen erblicktes Urbild ihm in einer tiefen, dunkeln[795] Erinnerung lag, aber namenlos; von Lindas Mutter hatt' es indes keinen Zug.

Auf einmal hört' er eine bekannte Stimme: »Ecco ecco! – Mein Neveu, mein Herr!« Es war Albanos Oheim, der den schwarzgekleideten, wehklagenden Schoppe zu ziehen schien und weinerlich den Neffen anredete: »Ach, Neveu! O ich sage die Wahrheit, nur Wahrheit pour jamais.« Er sah lachend aus und glaubte zu weinen. Der Schwarzrock trat näher, wurde ein Grünrock und sagte: »Herr Graf, täuschen Sie sich keine Minute, unsre Bekanntschaft beginnt mit einem gemeinschaftlichen Verlust.« – »Mein Schoppe,« (sagte Albano erschüttert) »kennst du mich nicht mehr?« – »O wär' ich es jetzt! Ich heiße Siebenkäs«, versetzte der Grünrock und hob jammernd die Hände in die Höhe. »Er liegt aber da in der Kapelle,« (sagte der Spanier) »ich will alles so wahrhaftig erzählen, daß es schön ist. Ich glaube nicht, daß der Finstere kommt.« – Albano warf einen Blick in die Kapelle, und mit einem Schrei des Schmerzens stürzt' er darnieder.

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Titan, 1. Band, S. 40 u.s.w.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 3, München 1959–1963, S. 794-796.
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