15. Summula

[131] Hasenkrieg


Der Doktor hatte eine unruhigere Nacht als irgendeiner seiner Heilkunden, weniger weil ein Goldstück für das Natur-Kunstwerk zu zahlen war, als weil dasselbe sehr zu leicht war. Endlich fiel ihm gegen Mitternacht der Kunstgriff eines christlichen Kaufmanus bei, der zu leichten Goldstücken nicht jüdisch durch Beschneidung, sondern vielmehr mit etwas Ohrenschmalz, als Taufe und Ölung, das alte Gewicht zurückgab. Er stand auf und nahm seine Gehörwerkzeuge und gab dem Louis XIV et XV d'or, ohne alle Reims-Fläschchen, so viele Salbung, bis er sein Gewicht hatte. Frühmorgens schickte er durch den Wirt die Nachricht in die Apotheke: er gehe den Kauf ein und werde bald vor ihr mit seinem Wagen halten. Man antwortete darauf zurück: »Gestern wär' es zwar ebensogut abzumachen gewesen; aber meinetwegen!«

Der Doktor sann sich viele List- und Gewalt-Mittel – d.h. Frieden-Unterhandlungen und Krieglisten – aus, um die Föderativ-Hasen zu bekommen; und er war, im Falle gute Worte, nämlich falsche, nichts verfingen, zum Äußersten, zu Mord und Totschlag entschlossen; weshalb er seinen Arm mit dem giftigen Gemshornstock armierte.

Vor der Apotheke befahl er, aus dem Wagen springend, die Türe offen zu lassen und, sobald er gelaufen käme, fliegend mit ihm abzurennen. Er hatte sich vorgenommen, anfangs dem Fuchse zu gleichen, der so lange sich einem Hasen näher tanzt, bis der Hase selber in den Tanz einfällt, worauf der Fuchs ihn leicht in Totentänze hineinzieht.8 Er stieg dann aus – hielt ein zweiköpfiges Goldstück bloß zwischen Mittelfinger und Daumen am Rande, um es mehr zu zeigen, und um nichts vom Folien-Golde wegzureiben – und war jedes Wortes gewiß, das er sagen wollte. Er konnte sich aber beim Eintritte nicht viel Vorteil für seine Anrede oder Benevolenz-Kaptanz von dem Umstande versprechen,[131] daß gerade das Subjekt9 und der Provisor giftigen Bilsensamen in Mörser stampften; da nach allen Giftlehrern dieses Giftkraut unter dem Stoßen und Kochen den Arbeiter unter der Hand in ein toll-erbostes, bissiges Wesen umsetzt. Indes fing er – mit dem Goldstück in der Hand, wie ein venedischer Sbirre mit einem auf der Mütze – sein freundschaftliches Anreden mit Vergnügen an, weil er wußte, daß er stets mit der sanften Hirtenflöte den, dem er sie vor tauben Ohren blies, leicht hinter dieselben schlagen konnte.

»Herr Amtbruder,« sagt' er »meine de monstris epistola (Sendschreiben über Mißgeburten) kennen Sie wahrscheinlich früher als irgendein Protomedikus und Obersanitätrat in ganz größern Städten; sonst hätten Sie sich vielleicht weniger auf Mißgeburten gelegt. Ihr Monstrum, gesteh' ich Ihnen gern – denn es ist zu sehr gegen meine Sinnes Art, etwas herabzusetzen, bloß weil ich es erhandeln will –, ist, wie Sie selber trefflich sagten, ein curiosum; in der Tat ist Ihr Dioskuren-Hase (Sie verstehen mich leicht) wie ein Doppel-Adler gleichsam eine lebendige Sozietät-Insel, ein zusammengewachsenes Hasen-tête-à-tête. Sie wissen alles, wenn nicht mehr. Sie sehen aus meinem Goldstück in der Hand, ich gebe alles dafür; wär' es nur deshalb, um neben meiner Wißbegierde noch die des Fürsten im Maulbronner-Bad, meines intimen dicken Freundes, zu befriedigen; ich weiß zwar nicht, ob Sie bei ihm dabei verlieren, daß Sie den Doppel-Hasen früher aufgetrieben und besessen als ich; aber ich weiß, daß Sie dabei gewinnen, und daß ich ihm sagen werde, wie Sie sich schreiben, und daß nur Sie mir die Hasen abgelassen.«

»Ich will jetzt das Goldstück wägen«, versetzte der Apotheker und gab das Hasenpaar dem Provisor hin, der es mit vorfechtenden Blicken als Schutzheiliger auf- und abtrug. – Das Subjekt stieß feurig fort und sott ohne Not in eignen Augenhöhlen seine Eiweiß-Augen krebsrot. – Der Prinzipal stand im feuernden Krebs als Sonne und zitterte vor Hast, als er die Goldwaage hielt. – Die ganze Apotheke war die Sakristei zu einer streitenden Kirche. –[132]

Katzenberger aber zeigte sich mild und schien als kalte Sonne im Steinbock.

»Mein Gold«, sagt' er, da es etwas in die Höhe ging, »ist wohl überwichtig; denn Sie halten nicht fest genug, und so fliegts auf und ab.« –

– »Wenn nicht Harn dran ist, ders schwer macht«, sagte der Apotheker und berochs; worauf er das Goldstück versuchweise ein wenig am Oberrockfutter zu scheuern begann. Aber der Doktor fing seine Hand, damit er nicht die auf die Goldmünze aufgetragne Schaumünze wegfeile, und sagte ihm frei heraus: »er halte ihn zwar für den ehrlichsten Mann in der ganzen Apotheke, aber er könne deshalb doch nicht vergessen, daß in verschiedenen Leipziger und Frankfurter Messen Juden gestanden, welche ein feines Reibeisen im Unterfutter eingenäht getragen, womit sie unter dem Vorwande der Reinigung von den besten Fürstend'or Goldstaub abgekratzt und dann mitgenommen.«

»Fremder Herr! Mordieu! Ihr Geld« (sagte der Mann) »wird ja immer leichter, je länger ich wäge. – Ein Aß ums andre fehlt.«

»Wir wollen beide nichts daraus machen, Herr Amtbruder,« – sagte der Doktor und klopfte auf dessen spitze Achsel – »sondern als echte Freunde scheiden, zumal da man hinter uns Bilsensamen stampft; Sie kennen dessen Einfluß auf Schlägereien, in denen ohnehin jeder Charakter, wie eine Sommerkrankheit, leicht einen gewissen biliösen oder gallichten Charakter annimmt. Wir beide nicht also!«

»Sacker, zehnmal zu leicht!« (rief der Apotheker, die Goldwaage hoch über den Kopf haltend) – »An keinen Hasen zu denken!«

Aber der Doktor hatte schon daran gedacht; denn er hatte den aufs Gespräch horchenden Provisor mit dem Schnabelstocke, den er als ein Kammrad in dessen Zopf eingreifen lassen, rückwärts auf den Boden wie in einen Sarg niedergelegt und ihm im Umwerfen die Mißgeburt aus der Hand gezogen.

Wie ein Krebs trat er den Rückzug an, um mit dem Gemshornstock vorwärts in die Apotheke hineinzufechten. Der Landsturm darin organisierte sich bald. Wütig warf sich der Provisor[133] herum und empor und feuerte (er konnte nicht wählen) mit Kräutersäckchen, Kirschkernsteinen, die erst zu extrahieren waren, mit alten Ostereiern voll angemalter Vergißmeinnicht dem Doktor auf die Backenknochen. – Der Apotheker hatte erstaunt das Goldstück fallen lassen und sucht' es unten mit Grimm. Das Subjekt stocherte mit dem Stößel bloß auf dem Mörserrand und drehte sich selber fast den Kopf ab, um mehr zu sehen. –

Unten schrie der gebückte Apotheker: »Greift den Hasen, greift den Hund!« – »Nur auf ein ruhiges Wort, meine Herren!« rief Katzenberger ausparierend. »Das Bilsenkraut erhitzt uns alle, und am Ende müßte ich hier gar als Arzt verfahren und dagegen rezeptieren und geben, es sei nun, daß ich dem Patienten, der zu mir käme, entweder das Gemsenhorn meines äskulapischen Stabs als einen kühlenden Blutigel auf die Nasenflügel würfe, oder diese selber damit aufschlitzte, um ihm Luft zu machen, oder das Horn als einen flüchtigen Gehirnbohrer in seine Kopfnaht einsetzte. – Aber den Hasen behalt' ich, Geliebte!«

Nun stieg die Krieglohe gen Himmel. Der Apotheker ging auf ihn mit einer langen Papierschere los, sie, wie ein Hummer die seinigen, aufsperrend; – Katzenberger indes hob ihm bloß mit dem Skalpier-Stock leicht eine Vorstecklocke aus; – der Provisor schnellte eine der feinsten chirurgischen Splitterscheren ab, die zum Glück nur in den langen Ärmel weit hinterfuhr. – Katzenberger aber ließ auf ihn durch den Druck einer Springfeder sein Gemsenhorn, woran noch die Vorstecklocke des Vorgesetzten hing, abfahren und schoß damit die ganze linke Brustwarze des Provisors zusammen, wiewohl die Welt, da er mit ihr nichts säugte, dabei weniger verlor als er selber. – Das Subjekt hielt im Nachtrabe den Stößel in die Lüfte aufgehoben und drohte nach Vermögen. – –

Aber jetzt ersah der Pharmazeutikus den langen amerikanischen Giftpfeil nackt vorstechend und wollte hinter den Subjekts-Hintergrund zurück. – »Um Gottes Willen, Leute,« rief der Doktor, »rettet euch – springt insgesamt zurück – auf wen ich diesen Giftpfeil zuwerfe, der fallt auf der Stelle tot nieder, eh' er nur meinen Steiß erblickt!«[134]

Da der Mensch stets neue Waffen und Gefahren mehr scheut als die gefährlichsten bekannten: so ging die ganze pharmazeutische Fechtschule rückwärts; und der Doktor ohnehin, bis er auf diese Weise mit seinem Hasen und dem zielenden Wurfspieß und seinem Rücken an den Fußtritt seines Wagens gelangte. Darauf fiel zwar die erhitzte Apotheke wieder von ferne aus- der Apotheker begleitete den Siegwagen wie einen römischen mit Schimpfworten – der Provisor schleuderte präparierte Gläser voll Kühltränke dem Hasendiebe nach und zerrte vor Wut, um die Brustwarze und die Splitterschere gebracht zu sein, mit beiden Zeigefingern die beiden Mundwinkel bis an den Backenbart auseinander, um allgemeines Grausen auszubreiten – und das Subjekt hieb in der Weite mit der Mörserkeule heftig in das Stein-Pflaster und kegelte noch mit den Füßen Steine nach; inzwischen Katzenberger und die Hasen fuhren ab, und er lachte munter zurück.

So aber, ihr Menschen, schnappen öfters Krieg-Trubeln passabel ab, und am Friedenfeste sagt der eine: ich bin noch der Alte und wie neugeboren – und der zweite: verflucht! wir leben ja ordentlich wieder auf – und der dritte: ich hätte mehr wissen sollen, ich hätte mich weniger gefürchtet; denn mein Herz sitzt wohl auf dem rechten Fleck – und der vierte; aber die Hasen haben wir doch in diesem Kriege verloren.

Indes hat darin außer dem Doktor, der nicht durch einen Doppeladler, sondern einen Doppeladler selber gewann, noch eine Person viel erbeutet, welche dem Leser die nächste ist, nämlich ich hier. Zweite Auflagen haben den Vorzug, daß man darin Sachen sagen kann, welche durchaus in keiner ersten vorzubringen sind; so konnt' ich in der ersten dieses Werks gar nicht die schöne Nachricht mitteilen, daß der berühmte Zergliederer Johann Friedrich Meckel in Halle – der Erbe und Mehrer des Reiches von väterlichem Ruhm – mir im Jahr 1815 seinen de duplicitate monstrosa commentarium nicht nur geschenkt, sondern auch zugeeignet, und zwar in einem schönern Latein, als ich noch erlernen kann. Niemand aber hab' ich diese lateinische Triumphpforte zu verdanken als – laut der Zueignung – den Grundsätzen und[135] Krieglisten des Dr. Katzenbergers, der jetzo den kenntnisvollen und scharfsinnigen Commentarius selber längst in Händen haben und sich über Buch und sich und mich erfreuen muß. Und hiemit erhalte Meckel nach dem geschriebnen Dank auch den gedruckten für sein Foliobändchen über den organischen Dualis oder die monströse Doppelheit, die an Körpern ebenso selten als widrig ist, indes die häufigere Doppelheit an Seelen weit angenehmer wirkt und sich auf die Zunge einschränkt durch Doppelzüngigkeit, Doppelsinn u.s.w.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 6, München 1959–1963, S. 131-136.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Dr. Katzenbergers Badereise
Dr. Katzenbergers Badereise
Dr. Katzenbergers Badereise
Dr. Katzenbergers Badereise
Romantiker. 7 Bde. Lebensansichten des Katers Murr. Dr. Katzenbergers Badereise. Gedichte Novellen Märchen. Erzählende Dichtungen
Dr. Katzenbergers Badereise: Erzählung mit einem Vorwort von Ulrich Holbein.

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Unsühnbar

Unsühnbar

Der 1890 erschienene Roman erzählt die Geschichte der Maria Wolfsberg, deren Vater sie nötigt, einen anderen Mann als den, den sie liebt, zu heiraten. Liebe, Schuld und Wahrheit in Wien gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

140 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon