Vierte Szene.

[9] Vorige. Schlenkheim.

Schlenkheim ist schon während Roberts letzter Rede über die Treppe heraufgekommen, hat, von den Anwesenden unbemerkt, gehorcht und tritt nun mit Ingrimm hervor.


CHRISTOPH. Der Herr Prinzipal –

ROBERT. Ihr Vater!

SCHLENKHEIM sich mit in die Seite gestemmten Armen vor Robert hinpflanzend. Nun, fahren Sie doch fort – Sie waren ja eben im besten Zuge – nun also – Henriette ist eine Blume – nun – was stocken Sie denn wie ein Schuljunge beim Aufsagen eines Spruches?

ROBERT. Herr von Schlenkheim –

SCHLENKHEIM. Ja, sie ist eine Blume – haben Recht – aber eine in einem wohlgehüteten Garten stehende Blume und der Gärtner bin ich – verstanden? Und ich treibe jeden, der sich unberufen dieser Blume nähern will, zum Tore hinaus! Verstanden? – Frechheit!

ROBERT. Herr von Schlenkheim –[9]

SCHLENKHEIM. Ich habe mich so tief herabgelassen, so hoch zu Ihnen hinaufzusteigen, um Sie vor dem Tribunal meiner väterlichen Autorität zur Rede zu stellen. – Also – man rede!

ROBERT. Nun wohl – ich will sprechen!

SCHLENKHEIM. Er will sprechen? Welche Frechheit! Sie wollen noch sprechen, anstatt mit dem Schweigen der tiefsten Beschämung in die Erde zu versinken?

CHRISTOPH. Aber ich bitte Sie, Herr Prinzipal, wenn er da heroben am Dach versinkt, so kommt er ja gerad' ins Zimmer vom Fräulein Henriette –

SCHLENKHEIM. Halt Er seine Speiseanstalt! Zu Robert. Was wollen Sie denn noch sprechen, was denn? Haben Sie nicht geschrieben Liebesbriefe an meine Tochter – welche Frechheit! Jetzt verteidigen Sie sich – hören Sie – ich fordere Sie auf – verteidigen Sie sich! –

ROBERT. Gut – ich will mich verteidigen –

SCHLENKHEIM. Will sich verteidigen – welche Frechheit! Gibt's da noch eine Verteidigung? So ein armer Schlucker, dem ich aus Barmherzigkeit dreißig Gulden Monatsgehalt dafür bezahle, daß er meine Bücher in möglichster Unordnung erhält, untersteht sich, das Herz meines Kindes, der einzigen Tochter eines Hunderttausendguldners, als ein Album zu betrachten, in das jeder Laffe seinen Namen hineinkritzeln kann! Wie konnten Sie sich so weit vergessen, daß Sie vergessen konnten, daß meine Tochter nie vergessen darf, wie hoch sie über einem Menschen Ihrer Kategorie steht. Wie konnten Sie sich unterstehen – ich frage – und will jetzt einmal Antwort haben – also – Antwort! –[10]

ROBERT. Meine redlichen Absichten –

SCHLENKHEIM. Redliche Absichten? Welche Frechheit! Der Mensch hat so wenig Einsicht, daß er bei seinen Aussichten noch Absichten haben will! – Eine Absicht auf ein Mädchen mit hunderttausend Gulden nennt er eine redliche Absicht – welche Frechheit! Aber ich werde Ihnen jetzt sagen, welche Absicht ich habe. – Ich habe die Absicht, in das Herz meiner Tochter nicht, wie in ein Bauernhaus, Gemeine einquartieren zu lassen, sondern, wie in ein Palais, nur einen vom hohen Stabe – deshalb habe ich auch die Absicht, jeden unberufenen Eindringling hinauszuwerfen. – Ich habe ferner die Absicht, Ihnen augenblicklich Ihre Stelle aufzukündigen, Ihnen Ihren Gehalt auszuzahlen und Sie zu zwingen, heute noch dieses Haus zu verlassen. – Das sind meine Absichten, und das – verstehen Sie – das sind redliche Absichten! Und jetzt – Ihn barsch anfahrend. schweigen Sie und reden Sie nicht weiter!

ROBERT. Herr von Schlenkheim, daß Sie hart gegen mich sind, kann mich nicht befremden; – denn Sie sind reich, ich arm. – Aber, daß Sie auch gegen Ihre einzige Tochter so grausam verfahren, daß Sie unerbittlich ihr Lebensglück zerstören –

SCHLENKHEIM. Lebensglück? – Mit Ihnen!? Welche Frechheit! Lebensglück! Hahaha! Halten Sie eine Buchhändlerstochter nicht für eine solche Roman-Närrin, die nur von einem Herzen und einem Strohdache schwärmt! – Sie ist ein reiches Mädchen und folglich ein gescheites Mädchen, das sich wohl den Spaß machen kann, einen solchen[11] Habenichts vor sich girren zu sehen, aber nicht im Schlafe daran denkt, seine Narrheit zu teilen.

ROBERT. Was? Herr! Das ist eine Lüge! –

SCHLENKHEIM. Lüge?! Welche Frechheit! Wenn Sie glauben, ich gebe mir die Mühe, Sie blau anlaufen zu lassen, so nehmen Sie's hier Indem er die Briefe hervorzieht. schwarz auf weiß und werden Sie meinetwegen grün und gelb vor Galle! Hält ihm die Briefe hin. Hier sind Ihre Briefe – meine Tochter hat sie mir selbst gegeben und sich über Ihre Geckenhaftigkeit lustig gemacht.

ROBERT im höchsten Schmerz. Henriette – das konntest du tun?

SCHLENKHEIM heftig. Reden Sie nicht per du von meiner Tochter! – Frechheit! – Jetzt wissen Sie alles und ich will nichts mehr von Ihnen wissen – aus – alles aus!


Quelle:
Friedrich Kaiser: Ausgewählte Werke. Band 1, Wien, Teschen, Leipzig [1913], S. 9-12.
Lizenz:
Kategorien: