Achte Szene.

[23] Vorige. Dr. Sandel. Henriette. Christoph. Johann mit den Champagner-Bouteillen.


CHRISTOPH welcher vorauseilt. Herr Prinzipal – hier Auf Dr. Sandel weisend. ist das Fräulein Tochter, – Auf Henrietten. hier der Advokat und hier Auf Johann zeigend. der Champagner, damit keine Irrung geschieht.

ROBERT eilt auf Henrietten zu. Henriette! Sie hier?

HENRIETTE. Der Vater hat befohlen –

SCHLENKHEIM. Ja, und das Herz hat gezogen.

CHRISTOPH. Ja, wenn das Herz zieht, ist's freilich leicht herauf zu kommen; denn das Herz ist das stärkste Lokomotivon

ROBERT Henrietten umschlungen haltend. Henriette – darf ich denn an das namenlose Glück glauben? Sie mein – wirklich mein?

DR. SANDEL. Über Mein und Dein zu verhandeln, ist eigentlich unsere Sache und daher erlauben Sie, Herr von Starr, daß ich mir die Ehre gebe, mich Ihnen selbst vorzustellen. Ich bin Advokat Sandel, juris utriusque Doctor – Punctum!

ROBERT sieht ihn erstaunt an. Und Sie wünschen?

SANDEL. Ihnen Glück!

ROBERT. Ich danke Ihnen, aber ist dies der einzige Grund Ihres Hierseins?

SANDEL. Nequaquam! Wichtigeres steckt noch im Hintergrunde – das Wichtigste! Sie[23] werden wissen, daß Ihr Herr Vater einen Bruder hatte?

ROBERT. Jawohl, den ich aber nie kennen lernte – es wurde mir erzählt, daß er am Tage der Hochzeit meines Vaters plötzlich verschwand.

HELFER welcher mit Aufmerksamkeit zugehört hatte, tritt hinzu. Ja, davon weiß ich zu erzählen. Zu Robert. Deine Mutter war nämlich ein so schönes Mädchen, daß beide Brüder sie liebten; als sie aber deinem Vater den Vorzug gab, entbrannte der Abgewiesene in Haß gegen seinen Bruder, nahm einen Posten bei einem Kaufmann in Frankreich an und reisete, ohne Abschied zu nehmen, dahin ab.

SANDEL. Nach Marseille – er wurde dort einer der reichsten Kaufleute.

HELFER. Ja, das haben wir erfahren; aber mit seinem armen Bruder wollte er sich nie wieder versöhnen.

SANDEL. Er scheint diesen Haß später bereut zu haben und an seinem Totenbette ist der Engel der Versöhnung gestanden.

HELFER UND ROBERT zugleich. An seinem Totenbette?

SANDEL. Er ist vor einem Monat gestorben.

HELFER UND ROBERT zugleich. Gestorben?!

SANDEL. Und hier Auf ein Papier weisend. sein Testament.

ROBERT. Sein Testament?

SANDEL. Er hinterließ ein Vermögen, welches alles in allem über zwei Millionen beträgt.

ROBERT. Zwei Millionen!

SANDEL. Es folgt hiebei Wieder auf das Papier deutend. eine genaue Spezifizierung desselben und der Universalerbe –[24]

ROBERT UND HELFER. Der Universalerbe –?

SANDEL. Sind Auf Robert weisend. Sie!

ROBERT zuckt anfangs sprachlos zusammen und steht starr und betäubt; dann langt er hastig nach dem Papiere – hält es mit zitternden Händen und ruft. Ich – wirklich ich? – Und beginnt zu wanken.

ALLE drängen sich an ihn und sind bemüht, ihn zu unterstützen.

CHRISTOPH trägt schnell einen Stuhl herbei. Ist's vielleicht gefällig, in Ohnmacht zu fallen?

ROBERT sinkt erschöpft auf einen Stuhl.

SCHLENKHEIM. Um Himmelswillen! Es ist ihm unwohl – nur jetzt noch nicht sterben! Henriette, labe ihn doch – er ist ja noch nicht dein Mann! – Bringt Essig!

CHRISTOPH mit einer Bouteille Champagner. Vielleicht tut's der Wein auch.

HELFER sinkt von der Hauptgruppe etwas entfernt auf die Knie, erhebt andächtig die Hände und den Blick zum Himmel, mit halblauter, gepreßter Stimme. Das Glück ist da, ich habe den Augenblick noch erlebt – Himmel! Ich danke – ich danke dir! Jetzt weiß ich, daß alles, was geschehen ist, dir recht war – mein Robert ist glücklich! Aufstehend und zu Robert eilend. Mein guter lieber Robert! Es hat dich zu stark gepackt – ich bitte dich, erhole dich – wie ist dir denn?

ROBERT sich erholend. Es ist nichts – mir ist wohl – ganz wohl –

CHRISTOPH. Ich glaub's – mit zwei Millionen unwohl sein – wäre gar dumm!

ROBERT. Aber noch kann ich's nicht fassen – nicht denken.

CHRISTOPH. Denken ist ganz überflüssig mit zwei Millionen.[25]

ROBERT. Dieses Glück, das meine kühnsten Träume überragt, ist es denn wirklich? Wirklich? –

SANDEL. Es ist eben so wahr und wirklich, als Sie selbst sind, denn wie Sie aus dem Testament ersehen, wäre nur für den Fall, daß Sie nicht mehr am Leben sein sollten, der Großhändler Toßmann, bei welchem Ihr seliger Onkel zuerst konditionierte, oder dessen rechtmäßige Kinder die Erben; – nun sind Sie aber am Leben –

CHRISTOPH. Und er wird jetzt erst recht zu leben anfangen, als Zwillionär.

SANDEL. Also duldet das Testament keinen Einspruch, der unermeßlich Reichtum muß Ihnen eingeantwortet werden.

ROBERT. Reichtum! Welcher Quell des Segens liegt in diesem Worte! Ich bin reich, Freunde, hört es – ich bin reich!

HOCHMANN. Und sind somit jetzt selbst einer derjenigen, die Sie immer verachteten.

ROBERT. Ja, ich bin jetzt ein Reicher, aber ich will nicht sein wie die Reichen. Ich will nicht mein Vermögen in toller Jagd nach schnöden Genüssen verschwenden; nicht wähnen wohltätig zu sein, wenn die Brotkrume, die von der überladenen Tafel fällt, geringschätzend den Armen zugeworfen wird, will mich nicht verschanzen gegen den Besuch des Unglücklichen. Mein Haus soll, wie die Kirche, jedem Bittenden offen stehen; ja, ich will selbst die Träne aufsuchen, die der Kummer im Verborgenen weint, ich will das Verbrechen hindern, indem ich der Not steuere, ich will den Hemmschuh lösen, welchen das Bedürfnis so oft den tüchtigsten Talenten anlegt,[26] ich will nur glücklich sein, indem ich Glückliche mache.

SCHLENKHEIM Henrietten zu Robert führend, mit erheuchelter Rührung. Vor der Hand machen Sie nur Ihre Braut glücklich – deren Schicksal ich vertrauensvoll in Ihre Hände lege.

ROBERT Henrietten umarmend. Meine Braut! Jetzt erst macht mich dein Besitz ganz glücklich, weil ich dem Engel sein Paradies bieten kann! Zu den übrigen. Und ihr – ihr meine Freunde! Was steht ihr so fern von mir? Kommt, teilt meine Freude, wie ich mein Glück mit euch teilen will. – Zu Torf eilend und seine Hand fassend. Torf! Deine Sehnsucht ging immer dahin, Italien, die Wiege der Kunst, und ihre Schatzkammer Rom zu besuchen; du sollst die Reise machen – ich bestreite die Kosten – und Ihr, Hochmann! – Wie oft klagtet Ihr, daß die Mühsal des Erwerbens Eure Phantasie lähme; – von nun an sollt Ihr schreiben, wie Euch der Genius gebietet – und Ihr Zu Helfer eilend. mein lieber, guter Vetter – Ihr sollt Eure alten Tage nicht länger mit dem beschwerlichen Unterricht blöder Bauernkinder zubringen – Ihr sollt jeder Sorge überhoben, bei mir und stets in meiner Nähe bleiben! Bemerkt Christoph, welcher sich demütig nähert. Nun – und du, lustiger Christoph! Hast du keine Bitte –?

CHRISTOPH. Eine unsinnige! – Euer Exzellenz! Eure Millionärheit! – Ich wünsche gar nichts, als in Ihre Dienste zu kommen – auf Ehre! Ich will Sie bedienen, wie Sie sich gar keinen Begriff machen können.

ROBERT. Nun, diese Bitte sei dir gewährt!

[27] Beinahe zugleich.


CHRISTOPH. Heißa, ich bin ein Millionärbedienter.

HOCHMANN. Meine Muse ist frei.

TORF. Ich reise nach Italien.

HELFER. Ich bleibe bei meinem Robert.

SCHLENKHEIM. Dieser Ausbund von Edelmut, der gleich in der ersten Stunde seine ganze Umgebung beglückt – ist mein Eidam! Jetzt, meine Herren, die Champagnergläser zur Hand!

JOHANN präsentiert allen die Gläser.

SCHLENKHEIM. Auf das Wohl des Millionärs, auf das Wohl des Brautpaars – sie leben hoch!

ALLE die Gläser erhebend. Hoch! Hoch!

CHRISTOPH. Mein Gehalt! Hoch!

ALLE mit Robert anstoßend. Auf das Gedeihen Ihres Glückes!

ROBERT ein Glas erhebend. Auf das Ende fremden Unglücks!

Quelle:
Friedrich Kaiser: Ausgewählte Werke. Band 1, Wien, Teschen, Leipzig [1913], S. 23-28.
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