Siebente Vorstellung.

[18] »Herr! wenn es mit meiner Erlaubnis geschieht!« schrie plötzlich der Kondukteur von außen herein, indem ihm eine Maske entsank und ein paar Augenwimper wie gefrorne Sonnenstrahlen durch das vordere Fenster des Wagens hereinbrachen.

Die Plattisten fielen alsbald auf ihre Knie; denn sie erkannten im vermeinten Kondukteur ihren Verleger, den Popanz, der, um den lästigen Ehrenbezeugungen des gebildeten Publikums zu entweichen, inkognito unter dem Namen eines Kondukteurs Mohrenbleicher diese Reise antrat.

»O allerbarmherzigster Popanz oder vielmehr Popanze!« sprach der Pfarrer, »wollt Euch eines armseligen, höchstmiserablen Menschen erbarmen und ihn und seine sieben Kinder nicht um das Brot bringen!«

Die nämlichen Worte wiederholte der Schreiner, ob er gleich nur zwei Kinder hatte.

Jetzt zog der Popanz die Augenwimper nach und nach wieder in ihr Gehäuse, und es drangen alsbald die freundlichen Strahlen der Frühlingssonne hinter ihnen her und trockneten das tränennasse Auge der sich nun setzenden Klienten.

Die lieben Leute glaubten, der Popanz mache nun ein recht liebreiches Gesicht, nachdem er ihnen schon lange den Rücken kehrte, nicht wissend, daß es die Sonne war, die nun hereinblickte. Sie schmunzelten recht freundlich gegen den vermeinten[18] Popanz hinaus, kneipten einander vor Herzenswonne in die Waden und wurden recht mutwillig.

In der Tat war auch der Popanz ganz besänftigt und streckte zum Beweise seiner Gnade wirklich die Hand durch das Fenster in den Wagen, nachdem er aus seiner Dose eine Prise Tabak auf sie gelegt hatte. Die Plattisten hatten kaum die Prise bemerkt, so fuhren sie schnell mit ihren Nasen gegen das Fenster auf die Hand zu.

Da ich und der Chemikus uns des Lachens hierüber nicht in enthalten konnten, so fanden sich die Plattisten sehr beleidigt und sprachen bis auf die nächste Poststation nicht ein Wort mehr. Haselhuhn, sei es, weil ihn sein Brand läuterte, sei es, weil ihm einst ein Sonett mit einem Verweis zurückgesandt worden, schien den Popanzen lange gar nicht zu bemerken, ja sprach sogar bald nach der Nasenaffäre, auf welche eine Totenstille herrschte, ganz laut von Novalis als einem ziemlich guten Kopfe, nicht bemerkend, wie der Schreiner mit seinen Klumpfüßen tüchtig unter den Sitz stieß und der Pfarrer sich fast zu Tod hustete, um ihm damit die Anwesenheit des Popanzen zu erkennen zu geben.

Nachdem wir in Nehrendorf angekommen waren, machte der Popanz den Plattisten sehr freundschaftlich den Vorschlag, mit ihm zu Fuße zu gehen, heimlich aber wollte er bloß von ihnen getragen sein.


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 18-19.
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