Dritte Vorstellung.

[57] Helle Wolken schwebten ob uns nördlich durch den Himmel, und vom Ruder gepeitscht wogte der Strom in feurigen Kreisen.

Mitten im Flusse erhob sich jetzt ein schmaler Felsen. »Auf diesem Felsen«, sprach einer der Schiffer, »hat sich einst eine Jungfrau in weißem, glänzendem Kleide, als viele Menschen am Ufer gingen, gezeigt; die trug ein Kind in den Armen und hob es dreimal über die blaue Fläche hin. Da trat der Fluß aus seinen Ufern und befruchtete die ausgetrockneten Felder; darum[57] hat man dem Felsen gegenüber der heiligen Jungfrau Maria eine Kapelle errichtet.«

Bald ging das Schiff still hin zwischen hohen Bergen; kein Fischlein rührte sich, nur das Gebell der Wachhunde aus den Dörfern oder das Läuten von einer fernen Kirche vernahm man.


Wenn von heiliger Kapelle

Abendglocke fromm erschallet,

Stiller dann das Schiff auch wallet

Durch die himmelblaue Welle;

Dann sinkt Schiffer betend nieder,

Und wie von dem Himmel helle

Blicken aus den Wogen wieder

Mond und Sterne.


Eines ist dann Wolk' und Welle,

Und die Engel tragen gerne,

Umgewandelt zur Kapelle,

So ein Schiff durch Mond und Sterne.


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 57-58.
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