Vierte Vorstellung.

[69] »Welch elendes, dem Staate zur Last fallendes, sittenverderbendes Gesindel!« sprach eine ausgebrannte, schwarze Figur, welche an einer Ecke des Tisches vor einer gebratenen Gans saß, indem sie den für die Harfnerin einsammelnden Knaben mit einem drohenden Blicke zurückwies. Ich erkannte in ihr bald den Pfarrer, besonders da ich schon im Hereingehen seine Kutsche, an der sich zwei Schweine abrieben, vor dem Wirtshause stehen sah.

»Solch Gesindel«, fuhr er weiter fort, »stellt sich bei Tage blind, bei der Nacht aber hat es nur zu gute Augen.«

Der Kerl war mir schon längst zuwider, daher sprach ich nur: »Felix!« indem ich den Pfarrer ansah. Felix verstund mich schon, er räusperte sich, spuckte dem Schimpfenden auf die rotglühende Nase, daß es zischte, schlug seinen Rock eilend auf die Werktagsseite um und war verschwunden. Der Pfarrer sprang vom Stuhle auf und wollte ihm mit seiner Stockbibel[69] nachsetzen, da fuhr der auf den Schwanz getretene Bullenbeißer des Wirts unter dem Tische hervor und schmiß den Pfarrer zu Boden. Alles sprang zu Hilfe; der Pfarrer war vor Schrecken ganz außer sich: er sprach irre; er behauptete, ein wütender Hund hätte ihm auf die Nase gespuckt und man solle ihm, ehe er noch das Gift hinaufschnupfe, die Nase augenblicklich abschneiden.

Der Mann wurde zu Bette gebracht; ein Jude, der auch bei dem Vorfall anwesend, war sehr geschäftig, den Operateur zu holen.

Ob nun dem Pfarrer die tolle Nase abgeschnitten wurde oder nicht, weiß ich nicht: denn ich nahm alsbald meinen Bündel, um nach der Stadt Grasburg weiterzuziehen. Vorerst aber hatte ich im Sinne, den Jahrmarkt mit anzusehen.


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 69-70.
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