Vierte Vorstellung.

[86] Ich klopfte ihm lächelnd auf die Achseln; aber es war ihm Ernst, denn er fuhr alsbald fort: »Auch möcht' ich dann eine Vergleichung der Blumen und Vögel untereinander von diesem Kantor angestellt wissen; wenigstens haben Vögel, die singen, und Blumen, die duften, immer einige Ähnlichkeit miteinander, nicht nur in Gesang und Dust, sondern auch in der Farbe, sie sind beide mehr farblos.

Die ersten Singvögel haben zugleich die allereinfachsten Farben, als da sind: die Lerche, die Nachtigall, der Star, die Amsel, der Kanarienvogel usw. Die buntesten Vögel sind immer keine Singvögel, der Pfau, der Papagei, der Kolibri.

Fleischfressende Vögel gehören so wenig als Bastarde hieher, erstere verdienen nicht mehr den Namen von Vögeln.

Die Wasservögel sind zwar auch oft sehr einfach gezeichnet, oft farblos und haben keinen Gesang; aber auch sie kann man wieder nicht unter die reinen Vögel rechnen, wiewohl der Schwan und selbst die Gans eine Ausnahme zugunsten meiner Vergleichung machen würden1. –

Die duftvollsten Blumen sind immer solche, die am wenigsten Farbe haben, als da sind: die Nachtviole, Lilie, Nelke, und zwar duften die einfarbigen Nelken immer mehr, als die bunten, die Tuberosen, die Rosen, die Hyazinthen, wo die bunten wieder weniger als die einfarbigen duften.

Aber auch hier wären die Bastarde der Blumen wie die der Vögel bei einer Vergleichung genau zu sichten.

Wie viele Ähnlichkeit hat nicht eine Nachtviole mit einer Nachtigall! Jene ist unter den Blumen die duftreichste, diese[86] unter den Vögeln der tonreichste: jene duftet, diese singt nur bei Nacht; beide haben gänzlichen Mangel an Farbe.«

Fußnoten

1 Man entdeckte in neuerer Zeit eine Gattung Schwäne, die zu den Singvögeln gehört. Nach meinen akustischen Versuchen an Tieren besitzt die Gans unter einer großen Reihe von Vögeln wenigstens das am meisten zartfühlende Gehörorgan.


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 86-87.
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