Zehnte Vorstellung.

[93] »Ach!« sprach ich, »der arme Mann, der erst vor ein paar Tagen von einem wütenden Hunde gebissen wurde!«

»Wie?« schrie der Bronnenmacher, »von einem wütenden Hunde?«

»Ja!« seufzte der Pfarrer, »es hat aber wohl nichts zu bedeuten, die Sache ist noch im Zweifel; und hat der Chirurgus mir indes die Nase mit einem Blasenpflaster belegt.«

»So!« sprach der Bronnenmacher, »darum habt Ihr mich gebissen! O ich unglückseliger Mann! so werden alle die schrecklichen Träume noch wahr! Wißt! Nacht für Nacht träumt es[93] mir schon ein halb Jahr, ich sei ein Hund und nage vor einem Wirtshause die herausgeworfenen Knochen ab, worauf ich stets mit dem schrecklichsten Hunger erwache. Dies deutet auf nichts anders als auf Hundswut.«

»Das glaub' ich auch,« sprach der Koch leise zum Bronnenmacher; »der Herr Pfarrer kommen mir überhaupt schon längst nicht ganz richtig vor; die Augen – – – ich weiß nicht – –«

»Schweigt!« sprach der Bronnenmacher leis zu ihm, »ich bin so immer mit derlei Melancholien behaftet.«

Der Pfarrer schneuzte sich, der Bronnenmacher fuhr zusammen, vermeinend, der Pfarrer habe gebellt.

Der Pfarrer erschrak ob dem Hinwegfahren des Bronnenmachers und sprach: »Wie? seht Ihr mir etwas an? um Gottes willen! sprecht!«

Der Bronnenmacher konnte kein Wort hervorbringen; er bewegte sich konvulsivisch und fing zu bellen an.

Der Pfarrer geriet ganz außer sich vor Schrecken, er wollte aus dem Wagen; zum Glücke fuhren wir gerade in das Städtchen Hundsschnauzen ein; da hielt der Postwagen vor dem Wirtshause zum grünen Rezensenten, um den Pferden trockenes Brot zu geben.


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 93-94.
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