Die Kreuzgänge

[132] Durch die Prälatur kam man in den Kreuzgang des Klosters, der, wie gewöhnlich die Kreuzgänge, einen kleinen Garten umschloß, der durch die hohen gotischen Fenster desselben sichtbar war. Man beklagte noch die prachtvollen Glasgemälde, die einst die Fenster dieses Kreuzganges schmückten, die aber Herzog Karl herausnehmen ließ, und bedauerlicher Weise zu neuen Bauten in Hohenheim usw. verwendete. Fußböden und Wände des Kreuzganges waren mit steinernen Grabmonumenten längst verstorbener Äbte und Mönche ausgelegt, und an manchen Stellen der Fußboden selbst eingesunken.

Durch diese Gänge ging ich selbst oft in Nächten allein mit einem Laternchen, es führte der nächste Weg durch sie von meinem Freund Gottfried in meines Vaters Wohnung. Auch im Mondschein ohne Laterne ging ich oft hindurch und wünschte mir sehnlich die Begegnung eines Mönchsgeistes in schwarz und weißer Kutte mit langem Barte.

Da entstanden einige meiner ersten Verse, von denen ich nur noch diese Strophen weiß:


»Würde wahrlich nicht erschauern,

Schwebtet ihr aus Grabesmauern

In den Kutten, schwarzen, weißen,[132]

In den Bärten, langen, greisen,

Im Gesichte Geistertrauern.

Schläfer! auf zum Rebentale!

Dort im bunt bemalten Saale

Warten euer die Pokale,

Warten auf dem Eichentische

Wildpret und gebackne Fische.

Jetzt in hellem Mondenscheine

Glänzen licht die bunten Fenster

Und es heben die Gespenster

Ihrer Gräber morsche Steine« usw.


Oft aber stellten wir uns auf die Probe, versteckten und neckten uns in diesen doch immer etwas unheimlichen Gängen, und da kam es manchmal, daß ich trotz meiner kühnen Herausforderungen in Prosa und Versen, von Angst ergriffen und in meiner Phantasie von einem fliegenden Mönche verfolgt durch diese Gänge stürzte und atemlos und geisterbleich in der Oberamtei ankam.

Mein Schauer dauerte aber immer nur kurz, ich kehrte bald wieder in die Gänge zurück und wünschte mir eine Erscheinung; denn ich glaubte schon damals an die Existenz von Geistern, und mein naturforscherischer Trieb, der früh in mir auftauchte, ließ mich schon da genauere Erforschung wünschen.

Wie den Ameisenlöwen in ihren Sandgruben, den dicken unbehülflichen wanzenähnlichen Geschöpfen, die sich in leichte, schlanke Sylphiden verwandeln, so wünschte ich auch der geistigen und leiblichen Verwandlung dieser Äbte und Mönche in ihren Gräbern nachforschen zu können.

Bei allem vorherrschenden Gemüts- und Phantasieleben blieb doch in mir Besonnenheit und Verstand, ein Trieb zur klaren Forschung, die mich das Wahre vom Unwahren, sagte auch letzteres meiner Phantasie noch so sehr zu, unterscheiden ließen. Aber durch Behauptungen undVorurteile anderer ließ ich mich nie abschrecken; ich hörte ihre Beweise und Dafürhalten an, folgte aber, hielten sie mir nicht Stich, meinem eigenen Scharfsinne und einem Ahnungsvermögen, das die Natur schon frühe in mein Innerstes gelegt hatte.

Jene Verse bezogen sich hauptsächlich darauf, daß diese Mönche über der Ruhestätte ihrer Brüder einst nicht bloß mit Gebeten wandelten, daß über ihnen nicht einzig Gesang und Glocken zur Andacht tönten, sondern auch die Becher der Mönche bei vollen Mahlen. Zu solchem hatte die Natur hier ja alles gegeben, Wein der Berge, Fische und Geflügel der Wasser, Wild der Wälder.

In der Mitte des Kreuzganges befand sich eine kapellenartige Rotunde eingebaut mit den schönsten Fenstern in gotischem Stile, während die andern Fenster des Kreuzganges die Kraft und Zierlichkeit der Übergangsperiode des Rundbogens in den Spitzbogenstil zeigten. In der Mitte dieser weiten und hohen Rotunde stand auf steinernem Fuß eine runde Schale von Stein, in der die Mönche in heißer Sommerszeit ihre Weine in Eiswasser kühlten; denn dieser Rotunde gegenüber lag das sogenannte Rebental, der sehr geräumige Gast- und Speisesaal der Mönche. Von einem Walde schlanker Säulen war dessen Spitzbogengewölbe unterstützt. Es brannten Säulen, Wände und Gewölbe einst in den lebendigsten noch jetzt sichtbaren Farben, rot, blau und golden.

Die Bogen des Kreuzganges hatten die mannigfaltigsten Verzierungen. Lange betrachtete ich oft an einer Säule einen als Kapitäl ausgehauenen kleinen nackten Mönch, mit der Tonsur, der eine Traube verzehrte, während er auf einer andern ritt.

Durchging man von der Oberamtei und Prälatur aus diese Kreuzgänge, so kam man endlich auf einen mit[136] alten Linden besetzten Platz, auf dem ein Rohrbrunnen stand und dem die Kirche ihre Front bot, an das hellere Tageslicht.

Quelle:
Justinus Kerner: Bilderbuch aus meiner Knabenzeit. Frankfurt a. M. 1978, S. 132-134,136-137.
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