Dritte Szene

[137] Platz vor den Toren von Warwand.


AGNES tritt in Hast auf.

Zu Hülfe! Zu Hülfe!

JOHANN ergreift sie.

So höre mich doch, Mädchen!

Es folgt dir ja kein Feind, ich liebe dich,

Ach, lieben! Ich vergöttre dich![137]

AGNES.

Fort, Ungeheuer, bist du nicht aus Rossitz?

JOHANN.

Wie kann ich furchtbar sein? Sieh mich doch an,

Ich zittre selbst vor Wollust und vor Schmerz

Mit meinen Armen dich, mein ganzes Maß

Von Glück und Jammer zu umschließen.

AGNES.

Was willst du, Rasender, von mir?

JOHANN.

Nichts weiter.

Mir bist du tot, und einer Leiche gleich,

Mit kaltem Schauer drück ich dich ans Herz.

AGNES.

Schützt mich, ihr Himmlischen, vor seiner Wut!

JOHANN.

Sieh, Mädchen, morgen lieg ich in dem Grabe,

Ein Jüngling, ich – nicht wahr das tut dir weh?

Nun, einem Sterbenden schlägst du nichts ab,

Den Abschiedskuß gib mir.


Er küßt sie.


AGNES.

Errettet mich,

Ihr Heiligen!

JOHANN.

– Ja, rette du mich, Heil'ge!

Es hat das Leben mich wie eine Schlange,

Mit Gliedern, zahnlos, ekelhaft, umwunden.

Es schauert mich, es zu berühren. – Da,

Nimm diesen Dolch. –

AGNES.

Zu Hülfe! Mörder! Hülfe!

JOHANN streng.

Nimm diesen Dolch, sag ich. – Hast du nicht einen

Mir schon ins Herz gedrückt?

AGNES.

Entsetzlicher!


Sie sinkt besinnungslos zusammen.


JOHANN sanft.

Nimm diesen Dolch, Geliebte – Denn mit Wollust,

Wie deinem Kusse sich die Lippe reicht,

Reich ich die Brust dem Stoß von deiner Hand.

JERONIMUS tritt mit Reisigen aus dem Tore.

Hier war das Angstgeschrei – – Unglücklicher!

Welch eine Tat – Sie ist verwundet – Teufel!

Mit deinem Leben sollst du's büßen.


[138] Er verwundet Johann; der fällt. Jeronimus faßt Agnes auf.


Agnes! Agnes!

Ich sehe keine Wunde. – Lebst du, Agnes?


Sylvester und Gertrude treten aus dem Tore.


SYLVESTER.

Es war Jeronimus' Entsetzensstimme,

Nicht Agnes. – – O mein Gott!


Er wendet sich schmerzvoll.


GERTRUDE.

O meine Tochter,

Mein einzig Kind, mein letztes. –

JERONIMUS.

Schafft nur Hülfe,

Ermordet ist sie nicht.

GERTRUDE.

Sie rührt sich – horch?

Sie atmet – ja sie lebt, sie lebt!

SYLVESTER.

Lebt sie?

Und unverwundet?

JERONIMUS.

Eben war's noch Zeit,

Er zückte schon den Dolch auf sie, da hieb

Ich den Unwürd'gen nieder.

GERTRUDE.

Ist er nicht

Aus Rossitz?

JERONIMUS.

Frage nicht, du machst mich schamrot, – ja.

SYLVESTER.

Gib mir die Hand, Jerome, wir verstehn

Uns.

JERONIMUS.

Wir verstehn uns.

GERTRUDE.

Sie erwacht, o seht,

Sie schlägt die Augen auf, sie sieht mich an. –

AGNES.

Bin ich von dem Entsetzlichen erlöst?

GERTRUDE.

Hier liegt er tot am Boden, fasse dich.

AGNES.

Getötet? Und um mich? Ach, es ist gräßlich. –

GERTRUDE.

Jerome hat den Mörder hingestreckt.

AGNES.

Er folgte mir weit her aus dem Gebirge,

– Mich faßte das Entsetzen gleich, als ich

Von weitem nur ihn in das Auge faßte.

Ich eilte – doch ihn trieb die Mordsucht schneller

Als mich die Angst – und hier ergriff er mich.[139]

SYLVESTER.

Und zückt' er gleich den Dolch? Und sprach er nicht?

Kannst du dich dessen nicht entsinnen mehr?

AGNES.

So kaum – denn vor sein fürchterliches Antlitz

Entflohn mir alle Sinne fast. Er sprach,

– Gott weiß, mir schien's fast, wie im Wahnsinn – sprach

Von Liebe, daß er mich vergöttre – nannte

Bald eine Heil'ge mich, bald eine Leiche.

Dann zog er plötzlich jenen Dolch, und bittend,

Ich möchte, ich, ihn töten, zückt' er ihn

Auf mich. –

SYLVESTER.

Lebt er denn noch? Er scheint verwundet bloß,

Sein Aug ist offen.


Zu den Leuten.


Tragt ihn in das Schloß,

Und ruft den Wundarzt.


Sie tragen ihn fort.


Einer komme wieder

Und bring mir Nachricht.

GERTRUDE.

Aber, meine Tochter,

Wie konntest du so einsam und so weit

Dich ins Gebirge wagen?

AGNES.

Zürne nicht,

Es war mein Lieblingsweg.

GERTRUDE.

Und noch so lange

Dich zu verweilen!

AGNES.

Einen Ritter traf

Ich, der mich aufhielt.

GERTRUDE.

Einen Ritter? Sieh

Wie du in die Gefahr dich wagst! Kann's wohl

Ein andrer sein, fast, als ein Rossitzscher?

AGNES.

– Glaubst du, es sei ein Rossitzscher?

JERONIMUS.

Ich weiß,

Daß Ottokar oft ins Gebirge geht.

AGNES.

Meinst du den – ?

JERONIMUS.

Ruperts ältsten Sohn.

– Kennst du ihn nicht?

AGNES.

Ich hab ihn nie gesehen.[140]

JERONIMUS.

Ich habe sichre Proben doch, daß er

Dich kennt?

AGNES.

Mich?

GERTRUDE.

Unsre Agnes? Und woher?

JERONIMUS.

Wenn ich nicht irre, sah ich einen Schleier,

Den du zu tragen pflegst, in seiner Hand.

AGNES verbirgt ihr Haupt an die Brust ihrer Mutter.

Ach, Mutter. –

GERTRUDE.

O um Gotteswillen, Agnes,

Sei doch auf deiner Hut. – Er kann dich mit

Dem Apfel, den er dir vom Baume pflückt,

Vergiften.

JERONIMUS.

Nun, das möcht ich fast nicht fürchten –

Vielmehr – Allein wer darf der Schlange traun.

Er hat beim Nachtmahl ihr den Tod geschworen.

AGNES.

Mir?

Den Tod?

JERONIMUS.

Ich hab es selbst gehört.

GERTRUDE.

Nun sieh,

Ich werde wie ein Kind dich hüten müssen.

Du darfst nicht aus den Mauern dieser Burg,

Darfst nicht von deiner Mutter Seite gehn.

EIN DIENER tritt auf.

Gestrenger Herr, der Mörder ist nicht tot.

Der Wundarzt sagt, die Wunde sei nur leicht.

SYLVESTER.

Ist er sich sein bewußt?

EIN DIENER.

Herr, es wird keiner klug

Aus ihm. Denn er spricht ungehobelt Zeug,

Wild durcheinander, wie im Wahnwitz fast.

JERONIMUS.

Es ist Verstellung offenbar.

SYLVESTER.

Kennst du

Den Menschen?

JERONIMUS.

Weiß nur so viel, daß sein Namen

Johann, und er ein unecht Kind des Rupert,

– Daß er den Ritterdienst in Rossitz lernte,

Und gestern früh das Schwert empfangen hat.[141]

SYLVESTER.

Das Schwert empfangen, gestern erst – und heute

Wahnsinnig – sagtest du nicht auch, er habe

Beim Abendmahl den Racheschwur geleistet?

JERONIMUS.

Wie alle Diener Ruperts, so auch er.

SYLVESTER.

Jeronimus, mir wird ein böser Zweifel

Fast zur Gewißheit, fast. – Ich hätt's entschuldigt,

Daß sie Verdacht auf mich geworfen, daß

Sie Rache mir geschworen, daß sie Fehde

Mir angekündigt – ja hätten sie

Im Krieg mein Haus verbrannt, mein Weib und Kind

Im Krieg erschlagen, noch wollt ich's entschuld'gen.

Doch daß sie mir den Meuchelmörder senden,

– Wenn's so ist –

GERTRUDE.

Ist's denn noch ein Zweifel? Haben

Sie uns nicht selbst die Probe schon gegeben?

SYLVESTER.

Du meinst an Philipp –?

GERTRUDE.

Endlich siehst du's ein!

Du hast mir's nie geglaubt, hast die Vermutung,

Gewißheit, wollt ich sagen, stets ein Deuteln

Der Weiber nur genannt, die, weil sie's einmal

Aus Zufall treffen, nie zu fehlen wähnen.

Nun weißt du's besser. – Nun, ich könnte dir

Wohl mehr noch sagen, das dir nicht geahndet. –

SYLVESTER.

Mehr noch?

GERTRUDE.

Du wirst dich deines Fiebers vor

Zwei Jahren noch erinnern. Als du der

Genesung nahtest, schickte dir Eustache

Ein Fläschchen eingemachten Ananas.

SYLVESTER.

Ganz recht, durch eine Reutersfrau aus Rossitz.

GERTRUDE.

Ich bat dich unter falschem Vorwand, nicht

Von dem Geschenke zu genießen, setzte

Dir selbst ein Fläschchen vor aus eignem Vorrat

Mit eingemachtem Pfirsich – aber du

Bestandst darauf, verschmähtest meine Pfirsich,

Nahmst von der Ananas, und plötzlich folgte

Ein heftiges Erbrechen. –[142]

SYLVESTER.

Das ist seltsam;

Denn ich besinne mich noch eines Umstands –

– Ganz recht. Die Katze war mir übers Fläschchen

Mit Ananas gekommen, und ich ließ

Von Agnes mir den Pfirsich reichen. – Nicht?

Sprich, Agnes.

AGNES.

Ja, so ist es.

SYLVESTER.

Ei, so hätte

Sich seltsam ja das Blatt gewendet. Denn

Die Ananas hat doch der Katze nicht

Geschadet, aber mir dein Pfirsich, den

Du selbst mir zubereitet – ?

GERTRUDE.

– Drehen freilich

Läßt alles sich. –

SYLVESTER.

Meinst du? Nun sieh, das mein

Ich auch, und habe recht, wenn ich auf das,

Was du mir drehst, nicht achte. – Nun, genug.

Ich will mit Ernst, daß du von Philipp schweigst.

Er sei vergiftet oder nicht, er soll

Gestorben sein und weiter nichts. Ich will's.

JERONIMUS.

Du solltst, Sylvester, doch den Augenblick

Der jetzt dir günstig scheinet, nützen. Ist

Der Totschlag Peters ein Betrug, wie es

Fast sein muß, so ist auch Johann darin

Verwebt.

SYLVESTER.

Betrug? Wie wär das möglich?

JERONIMUS.

Ei möglich wär es wohl, daß Ruperts Sohn,

Der doch ermordet sein soll, bloß gestorben,

Und daß, von der Gelegenheit gereizt,

Den Erbvertrag zu seinem Glück zu lenken,

Der Vater es verstanden, deiner Leute,

Die just vielleicht in dem Gebirge waren,

In ihrer Unschuld so sich zu bedienen,

Daß es der Welt erscheint, als hätten wirklich

Sie ihn ermordet – um mit diesem Scheine

Des Rechts sodann den Frieden aufzukünden,[143]

Den Stamm von Warwand auszurotten, dann

Das Erbvermächtnis sich zu nehmen.

SYLVESTER.

– Aber

Du sagtest ja, der eine meiner Leute

Hätt's in dem Tode noch bekannt, er wäre

Von mir gedungen zu dem Mord. –


Stillschweigen.


JERONIMUS.

Der Mann, den ich gesprochen, hatte nur

Von dem Gefolterten ein Wort gehört.

SYLVESTER.

Das war?

JERONIMUS.

Sylvester.


Stillschweigen.


Hast du denn die Leute,

Die sogenannten Mörder nicht vermißt?

Von ihren Hinterlaßnen müßte sich

Doch mancherlei erforschen lassen.

SYLVESTER zu den Leuten.

Rufe

Den Hauptmann einer her!

JERONIMUS.

Von wem ich doch

Den meisten Aufschluß hoffe, ist Johann.

SYLVESTER.

's ist auch kein sichrer.

JERONIMUS.

Wie? Wenn er es nicht

Gestehen will, macht man's wie die von Rossitz,

Und wirft ihn auf die Folter.

SYLVESTER.

Nun? Und wenn

Er dann gesteht, daß Rupert ihn gedungen?

JERONIMUS.

So ist's heraus, so ist's am Tage. –

SYLVESTER.

So?

Dann freilich bin ich auch ein Mörder.


Stillschweigen.


JERONIMUS.

Aus diesem Wirrwarr finde sich ein Pfaffe!

Ich kann es nicht.

SYLVESTER.

Ich bin dir wohl ein Rätsel?

Nicht wahr? Nun tröste dich, Gott ist es mir.[144]

JERONIMUS.

Sag kurz, was willst du tun?

SYLVESTER.

Das beste wär

Noch immer, wenn ich Rupert sprechen könnte.

JERONIMUS.

– 's ist ein gewagter Schritt. Bei seiner Rede

Am Sarge Peters schien kein menschliches,

Kein göttliches Gesetz ihm heilig, das

Dich schützt.

SYLVESTER.

Es wäre zu versuchen. Denn

Es wagt ein Mensch oft den abscheulichen

Gedanken, der sich vor der Tat entsetzt.

JERONIMUS.

Er hat dir heut das Beispiel nicht gegeben.

SYLVESTER.

Auch diese Untat, wenn sie häßlich gleich,

Doch ist's noch zu verzeihn, Jeronimus.

Denn schwer war er gereizt. – Auf jeden Fall

Ist mein Gesuch so unerwarteter;

Und öfters tut ein Mensch, was man kaum hofft,

Weil man's kaum hofft.

JERONIMUS.

Es ist ein blinder Griff,

Man kann es treffen.

SYLVESTER.

Ich will's wagen. Reite

Nach Rossitz, fordre sicheres Geleit,

Ich denke, du hast nichts zu fürchten.

JERONIMUS.

– Nein;

Ich will's versuchen.


Ab ins Tor.


SYLVESTER.

So leb wohl.

GERTRUDE.

Leb wohl,

Und kehre bald mit Trost zu uns zurück.


Sylvester, Gertrude und Agnes folgen.


AGNES hebt im Abgehen den Dolch auf.

Es gibt keinen. –

GERTRUDE erschrocken.

Den Dolch – er ist vergiftet, Agnes, kann

Vergiftet sein. – Wirf gleich, sogleich ihn fort.


[145] Agnes legt ihn nieder.


Du sollst mit deinen Händen nichts ergreifen,

Nichts fassen, nichts berühren, das ich nicht

Mit eignen Händen selbst vorher geprüft.


Alle ab. Der Vorhang fällt.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 1978, S. 137-146.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Familie Schroffenstein
Gedichte; Die Familie Schroffenstein; Amphitryon
Die Familie Ghonorez / Die Familie Schroffenstein: Eine textkritische Ausgabe
Sämtliche Werke und Briefe in 4 Bänden: Band 1: Dramen 1802-1807. Familie Schroffenstein / Robert Guiskard / Der zerbrochne Krug / Amphitryon
Sämtliche Werke und Briefe in 4 Bänden: Band 1: Dramen 1802-1807. Familie Schroffenstein / Robert Guiskard / Der zerbrochne Krug / Amphitryon
Die Familie Schroffenstein

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Condor / Das Haidedorf

Der Condor / Das Haidedorf

Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon