Siebenter Auftritt

[225] Die Vorigen ohne Robert.


EINE STIMME aus dem Volk.

Ihr Himmelsscharen, ihr geflügelten,

So steht uns bei!

EINE ANDERE.

Verloren ist das Volk!

EINE DRITTE.

Verloren ohne Guiskard rettungslos!

EINE VIERTE.

Verloren rettungslos!

EINE FÜNFTE.

Errettungslos,

In diesem meerumgebnen Griechenland! –

DER GREIS zu Abälard, mit erhobenen Händen.

Nein, sprich! Ist's wahr? – – Du Bote des Verderbens!

Hat ihn die Seuche wirklich angesteckt? –

ABÄLARD von dem Hügel herabsteigend.

Ich sagt es euch, gewiß ist es noch nicht.

Denn weil's kein andres sichres Zeichen gibt,

Als nur den schnellen Tod, so leugnet er's,

Ihr kennt ihn, wird's im Tode leugnen noch.

Jedoch dem Arzt, der Mutter ist's, der Tochter,

Dem Sohne selbst, ihr seht's, unzweifelhaft –

DER GREIS.

Fühlt er sich kraftlos, Herr? Das ist ein Zeichen.

DER ERSTE KRIEGER.

Fühlt er sein Innerstes erhitzt?

DER ZWEITE.

Und Durst?[225]

DER GREIS.

Fühlt er sich kraftlos? Das erled'ge erst.

ABÄLARD.

– Noch eben, da er auf dem Teppich lag,

Trat ich zu ihm und sprach: Wie geht's dir, Guiskard?

Drauf er: »Ei nun«, erwidert' er, »erträglich! –

Obschon ich die Giganten rufen möchte,

Um diese kleine Hand hier zu bewegen.«

Er sprach: »Dem Ätna wedelst du, laß sein!«

Als ihm von fern, mit einer Reiherfeder,

Die Herzogin den Busen fächelte;

Und als die Kaiserin, mit feuchtem Blick,

Ihm einen Becher brachte, und ihn fragte,

Ob er auch trinken woll? antwortet' er:

»Die Dardanellen, liebes Kind!« und trank.

DER GREIS.

Es ist entsetzlich!

ABÄLARD.

Doch das hindert nicht,

Daß er nicht stets nach jener Kaiserzinne,

Die dort erglänzt, wie ein gekrümmter Tiger,

Aus seinem offnen Zelt hinüberschaut.

Man sieht ihn still, die Karte in der Hand,

Entschlüss' im Busen wälzen, ungeheure,

Als ob er heut das Leben erst beträte.

Nessus und Loxias, den Griechenfürsten,

– Gesonnen längst, ihr wißt, auf einen Punkt,

Die Schlüssel heimlich ihm zu überliefern,

– Auf einen Punkt, sag ich, von ihm bis heut

Mit würdiger Hartnäckigkeit verweigert –

Heut einen Boten sandt er ihnen zu,

Mit einer Schrift, die diesen Punkt3 bewilligt.

Kurz, wenn die Nacht ihn lebend trifft, ihr Männer,

Das Rasende, ihr sollt es sehn, vollstreckt sich,

Und einen Hauptsturm ordnet er noch an;[226]

Den Sohn schon fragt' er, den die Aussicht reizt,

Was er von solcher Unternehmung halte?

DER GREIS.

O möcht er doch!

DER ERSTE KRIEGER.

O könnten wir ihm folgen!

DER ZWEITE KRIEGER.

O führt' er lang uns noch, der teure Held,

In Kampf und Sieg und Tod!

ABÄLARD.

Das sag ich auch!

Doch eh wird Guiskards Stiefel rücken vor

Byzanz, eh wird an ihre ehrnen Tore

Sein Handschuh klopfen, eh die stolze Zinne

Vor seinem bloßen Hemde sich verneigen,

Als dieser Sohn, wenn Guiskard fehlt, die Krone

Alexius, dem Rebellen dort, entreißen!


3

Dieser Punkt war (wie sich in der Folge ausgewiesen haben würde) die Forderung der Verräter in Konstantinopel: daß nicht die, von dem Alexius Komnenes vertriebene, Kaiserin von Griechenland, im Namen ihrer Kinder, sondern Guiskard selbst, die Krone ergreifen solle.

Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 1978, S. 225-227.
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